- Kommentare
- Viktor Orbán
Obelix auf ungarisch
Ildikó Lendvai über das Verhältnis zwischen Ungarn und Russland
In der Rolle des letzten Vasallenstaates macht Ungarn eine gute Figur. Man ist mittlerweile reich an Erfahrungen. Zwar kann man nicht behaupten, dass Ungarn in seiner Geschichte aus solchen Unterwürfigkeiten je glimpflich davongekommen wäre, aber Übung macht ja bekanntlich den Meister. Oder anders ausgedrückt: Einen ausgetretenen Pfad sollst Du wegen einem anderen nicht verlassen. Irgendwann kommen wir damit durch. Wenn nicht jetzt, dann eben einige Jahrzehnte später. Einen Anführer wird es dabei immer geben. Der wird dafür sein Leben opfern. Genauer gesagt, unser Leben, aber das ist ein vernachlässigbarer Unterschied.
Der Typ »Führer« des letzten Vasallenstaates muss besonders talentiert sein. Es ist nicht leicht zu erkennen, wo man sich als Vasall andienen muss, um sicherzustellen, dass einem außer einer Blamage nichts Schlimmeres passieren kann. Ansonsten muss nämlich das Volk die Folgen viele Jahre lang tragen.
Ein Beispiel: Im Zweiten Weltkrieg ist es Ungarn als Vasall des Deutschen Reichs gelungen, beide Bedingungen vollständig zu erfüllen, nämlich die Schande einerseits und deren verheerende Folgen andererseits. Gegenwärtig gibt es einen »deutschen Weg« aber für uns nicht. Nach Ansicht von Ministerpräsident Viktor Orbán sind alle multikulturellen, liberalen Parteien in Deutschland, einschließlich CDU und CSU, linksorientiert. Einzige Ausnahme ist für ihn die AfD, die er in sein Herz geschlossen hat. Also hat sich Ungarn nach einem anderen Staat umgeschaut, der gerne Vasallen um sich hat.
Dabei schadet es nicht, wenn der Staat, dessen Vasall wir werden wollen, etwas hat, was wir nicht haben. Vielleicht Öl oder Gas. Etwas, wofür es sich lohnen könnte, Vasall zu sein. Allerdings kann sich herausstellen, dass es die erhofften Vergünstigungen gar nicht gibt. Ungarn bekommt jetzt das Gas von Putin nicht billiger als andere in der EU. Trotzdem ist es gelungen, uns in Europa mit beinahe allen anderen Staaten anzulegen.
Auch die von der Orbán-Regierung zu allen europäischen rechtsextremen Parteien aufgebaute Freundschaft ist nicht eng mit dem Glück der Ungarn verbunden. Es mag sein, dass das am Anfang pragmatisch war, doch aus dieser Zweckehe wurde später eine Liebesehe. »Wir schauen nicht auf den Zustand der Demokratie oder des politischen Systems in anderen Ländern, sondern darauf, welche Vorteile Ungarn für sich daraus ziehen kann«, so Orbán.
Orbán und seine Regierung schnupperten die Luft von Ländern mit autoritärer Führung. Sie fanden sie erfrischend und inhalierten sie mit Inbrunst. Es ist kein Zufall, dass sie den erhofften wirtschaftlichen Nutzen gerade von diesen Ländern erwarteten. Mittlerweile missachtet die Orbán-Regierung nicht nur die Aspekte der Demokratie, sondern feiert sogar die groben Anzeichen des Mangels an ihr. Sie weigert sich, die Nichteinhaltung von Menschenrechten in China zu verurteilen. Sie befürwortet stattdessen blutige Wiederherstellung von Frieden und Stabilität im »brüderlichen« Kasachstan.
Den vorbildlichen Vasallen motiviert niemals nur der erhoffte Sold, sondern auch die Bewunderung seines Herrn. So wie Obelix, der treue Untertan seines Asterix.
In der Regierungspresse lässt Orbán die ihre Heimat verteidigenden Ukrainer*innen verunglimpfen. Dabei hält er Ausschau nach weiteren Mitstreitern. Er geht dabei auch Risiken ein. Der letzte Vasall will jetzt der Erste sein – und das, obwohl der Erfolg seines Herrn überhaupt noch nicht sicher ist. Mit Bolsonaro, Le Pen und Trump lag er falsch, das Comeback von Netanjahu gefällt ihm aber. In den Wogen der Krise, die über ihm zusammenbrechen, hält ihn die Hoffnung am Leben: Vielleicht gewinnt Putin oder nächstes Mal wieder Trump. Und auch das Kräfteverhältnis in der EU könnte sich ändern.
Wir aber fragen uns: Wohin geht er? Bei wem verdingt er sich? Wo hinein zieht er uns als nächstes?
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.