Heizung, Brot und Briefe

Friedensaktion in Berlin und Friedensappelle aus Brandenburg

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Brot und Frieden, das klingt nach einer Losung von 1917. Davor dann das Wort Heizung. Eine seltsame Mischung, dachte Alexander King im ersten Moment, als er im August den Vorschlag hörte, Sozialproteste unter der Losung »Heizung, Brot und Frieden« zu organisieren. Im Sommer dachten viele nicht daran, dass die Heizkosten im Winter ein Problem werden könnten. »Jetzt passt es mega«, findet King, der zur Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus gehört. »Die Worte Heizung, Brot und Frieden stehen genau für die Dinge, um die sich die Menschen heute Sorgen machen.«

Am 5. September protestierte das Bündnis »Heizung, Brot und Frieden« vor der Bundeszentrale der Grünen, am 3. Oktober demonstrierte es am Potsdamer Platz, und am 8. November gab es eine Saalveranstaltung in einer Schankwirtschaft in der Schönhauser Allee. Am Sonnabend von 13 bis 15 Uhr soll es nun eine Kiezaktion am U-Bahnhof Tierpark geben. Für 500 Teilnehmer sei sie angemeldet, berichtet King. Es kommt ihm nicht darauf an, dass alle die vollen zwei Stunden bleiben. Er kann sich auch gut ein Kommen und Gehen, ein Vorbeischauen vorstellen. Zur Kundgebung und zur Demonstration ließen sich Menschen aus der linken Szene mobilisieren. Jetzt solle mit den Anwohnern des Tierparks auch die »einfache Bevölkerung« erreicht werden, erläutert King die Idee der Kiezaktion, bei der zum Aufwärmen Kaffee und Tee, vielleicht auch Glühwein ausgeschenkt werden soll. Im nächsten Jahr sollte es eine solche Aktion in Berlin-Spandau geben und danach auch in anderen Bezirken, findet der Abgeordnete King.

Am Tierpark sollen Nancy Larenas von der Chile-Freundschaftsgesellschaft »Salvador Allende« sprechen und auch Königs Wusterhausens Bürgermeisterin Michaela Wiezorek (parteilos). Wiezorek hatte einen von den Stadtverordneten am 20. Oktober beschlossenen offenen Brief an Kanzler Olaf Scholz (SPD) gerichtet. Darin heißt es, der russische Angriff auf die Ukraine habe eine Eskalationsspirale ausgelöst. Eine Politik, die sich darauf versteife, dass es nur eine militärische Lösung dieses Konfliktes geben könne, nehme Tod und Zerstörung billigend in Kauf. Und weiter: Die Folgen der Sanktionen »schlagen auf uns zurück«. Mit Entlastungsmaßnahmen werde an Symptomen herumgedoktert, statt umzusteuern. Der Brief schließt mit dem Appell, »alles zu unterlassen, was diesen Krieg verlängert, und alles dafür zu tun, dass die Waffen schweigen«.

Diese Textfassung war mit 17 zu 6 Stimmen bei einer Enthaltung vom Stadtparlament beschlossen worden. »Die parteilose Bürgermeisterin, die Linksfraktion, große Teile der CDU und andere waren dafür – und leider natürlich auch die AfD«, berichtet Linksfraktionschef Michael Wippold. Die AfD sei im Vorfeld nicht eingebunden gewesen, »sonst hätte ich nicht unterschrieben«, versichert er.

SPD und Grüne hatten einen geänderten Text vorgeschlagen, der aber keine Mehrheit fand. Dieser Version zufolge sollte die Bundesregierung aufgefordert werden, »sich mit allen zur Verfügung stehenden diplomatischen Mitteln für ein Ende des Krieges einzusetzen«. Enthalten war eine Verbeugung vor den damals schon angekündigten Entlastungsprogrammen. Die Kommunalaufsicht des Innenministeriums bescheinigte der Stadt Königs Wusterhausen inzwischen, sie habe ihre Kompetenzen überschritten. »Wir dürfen keine Briefe schreiben und uns nicht in die Außenpolitik einmischen«, fasst Linksfraktionschef Wippold sarkastisch zusammen. »Wir stehen aber dazu.« Der offene Brief ist auf der Internetseite der Stadt nach wie vor zu finden.

»Alles zu unterlassen, was diesen Krieg verlängert«, das forderte auch der Bürgermeister von Zehdenick (Oberhavel) in einem Brief an den Kanzler. Mit erst 24 Jahren wurde Lucas Halle im Frühjahr jüngster Bürgermeister Deutschlands. Er ist Sozialdemokrat, hat sein Parteibuch 2021 aus den Händen von Olaf Scholz persönlich erhalten.

An dem Brief von Lucas Halle, der den Segen des Zehdenicker Stadtparlaments bekam, orientierte sich die Linksfraktion im Kreistag Oder-Spree. Ihr Vorschlag, Landrat Rolf Lindemann (SPD) solle ebenfalls so einen Brief abschicken, verfehlte knapp die notwendige Mehrheit. Es gab bei der Abstimmung ein Patt. »Das Positive dabei: Der Kreistag hat zwar nicht für den Frieden gestimmt, aber immerhin auch nicht für den Krieg«, findet Linksfraktionschef Artur Pech. Ihn wurmt, dass dem gemeinsam mit FDP und Bürgervereinigung Fürstenberg (Oder) eingebrachten Antrag nur eine Stimme fehlte, die ausgerechnet der Abgeordnete Stephan Wende (Linke) verweigert habe.

Wende selbst erklärt das so: »Ich habe nicht zugestimmt, weil von Beginn an abzusehen war, dass dieser Appell nur eine Mehrheit finden würde durch die AfD.« Wenn es aber so ist, hätte man nicht einfach den Zehdenicker Brief abschreiben und zur Abstimmung stellen, sondern weiter mit den demokratischen Parteien über eine Fassung verhandeln sollen, der dann vielleicht auch die SPD zustimmen könnte. Stephan Wende glaubt, da wäre eine Einigung möglich gewesen.

Zur Klarstellung: Für einen Antrag der AfD haben Linke im Kreistag Oder-Spree noch nie gestimmt. Das gilt innerparteilich als die rote Linie, die nicht überschritten werden darf. Dass umgekehrt die AfD einem Antrag der Linken zustimmt, wird als manchmal unvermeidlich hingenommen.

An dem im Kreistag durchgefallenen Friedensappell hat Stephan Wende inhaltlich nichts auszusetzen. Schließlich habe er seit dem 24. Februar, als Russland in die Ukraine einfiel, sieben Friedensdemonstrationen in Fürstenwalde organisiert, betont Wende. Das Argument, der Kreistag sei nicht für Außenpolitik zuständig, hält er für ein sehr formales. Da könnte man seiner Ansicht nach durchaus Haltung zeigen. Indessen wird auch der Landkreis Oberhavel keinen Friedensappell an den Kanzler richten. Die Linksfraktion im Kreistag hatte einen Brief »für Frieden, Diplomatie und Deeskalation« vorgeschlagen. Krieg dürfe niemals Mittel der Politik sein. Abrüstung statt Aufrüstung, keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und Überprüfung der gegen Russland verhängten Sanktionen lauteten die Stichworte. Man solle ermitteln, ob sich die Sanktionen zielgerichtet gegen Präsident Wladimir Putins Machtapparat und seine Kriegsführung richten oder nur zur Verarmung führen.

»Weitere Waffenlieferungen, eine weitere Eskalation dieses Krieges sind keine Lösung. Das sehen wir seit neun Monaten, und wir müssen uns alle darüber bewusst sein, dass man einen Krieg mit militärischen Mitteln gegen eine Atommacht nicht gewinnen kann«, erklärt der Kreistagsabgeordnete Lukas Lüdtke (Linke). Doch nur seine Linksfraktion und eine Kreistagsabgeordnete der SPD stimmten am 7. Dezember für den unterbreiteten Friedensappell.

Auch die Sozialproteste sind im Moment gedämpft. Da macht sich Alexander King von »Heizung, Brot und Frieden« keine Illusionen. Viele Menschen fühlen sich durch den Gaspreisdeckel und andere Maßnahmen der Regierung erst einmal ein wenig beruhigt und wollen abwarten, ob die Entlastungen wirken – die aber nach Kings Einschätzung nicht ausreichen und ohne Frieden langfristig keine Lösung sind. Wenn aber die Heizung kalt bleibt, der Strom abgestellt wird und die Lebensmittelpreise weiter steigen, kann die Stimmung schnell wieder umschlagen.

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