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Das Kalkül des Weltmeisters
Effiziente Franzosen freuen sich nach dem Sieg gegen Marokko auf das Finale gegen Argentinien
Es war vermutlich auch noch Kalkül, dass französische Fußballer selbst ihre Feierlichkeiten auf dem Rasen des Al Bayt sehr sparsam aussehen ließen. Klar, es erfolgten am Mittwochabend die üblichen Gratulationen für das mühsame 2:0 im WM-Halbfinale gegen Marokko in dem katarischen Wüstenzelt. Aber mehr als einen Jubelsprung für den verloren wirkenden Anhang der »Bleus« hinter dem Tor inmitten der großen nordafrikanischen Fangemeinde gab es nicht. Sollte die Ehrenrunde doch ruhig dem tapferen Außenseiter vor seinen vielen Schlachtenbummlern gehören, während der abgeklärte Weltmeister lieber in die Kabine entschwand, wo es sich im Beisein von Frankreichs Staatspräsidenten viel besser feiern ließ.
Emmanuel Macron wedelte symbolträchtig mit drei französischen Fähnchen, um fürs Finale gegen Argentinien am kommenden Sonntag bald per Twitter eine staatstragende Rückendeckung zu bezeugen: »Merci, les Bleus! Maintenant, la Coupe!« (Danke, ihr Blauen. Jetzt den Pokal!). Es wäre das dritte Mal nach 1998 und 2018. Daher das Flaggen-Trio. Was in der Umkleide passierte, erinnerte bereits verdächtig an eine Sause, die auch am katarischen Nationalfeiertag im Stadion Lusail nach dem Endspiel losbrechen könnte. Zum Gala-Hit »Freed from desire« sprangen und hüpften die Fußballprofis umher – und ein Präsident mittendrin. Macron lobte später artig das Zusammenspiel »mehrerer Generationen« und nannte seine Mannschaft gleich auch noch »ein Stück kompletter« als Finalgegner Argentinien.
Ganz falsch lag der auf Profilierung achtende Politiker mit seiner Einschätzung nicht. Die aktuelle Equipe Tricolore bietet gegenüber 2018 einige erfrischende Gesichter wie den mit 22 Jahren großartigen Mittelfeldkämpfer Aurélien Tchouaméni auf, hat aber die traditionellen Werte vom Turnier von vor vier Jahren bewahrt. Zuerst kommt immer das Resultat. Für die Grande Nation könnte diese Gemeinschaft als Lehrbeispiel für Seriosität stehen. Spektakel wird nie zum Selbstzweck aufgeführt.
Trainer Didier Deschamps sprach von »herausfordernden Momenten«, wozu auch die krankheitsbedingten Ausfälle von Verteidiger Dayot Upamecano, der am Sonntag wieder fit sein soll, und Mittelfeldspieler Adrien Rabiot gehörten, die sich laut Deschamps wegen der ständig laufenden Klimaanlage grippeähnliche Symptome eingefangen hätten. Kein Problem für diesen professionellen Trupp, der mit seiner Spielweise aber nicht zum Weltmeister der Herzen taugt.
Der Selectionneur hat wieder ein Team der Effizienz geformt. Es passt zum pragmatischen Ansatz, dass der 54-Jährige nicht die geringste Neigung verspürte, seine Person zu überhöhen. Dass der Baske bei drei WM-Titeln als Spieler und Trainer und der ersten Titelverteidigung seit Brasilien 1962 selbst einen Platz im Geschichtsbuch erhalten würde, interessierte ihn angeblich nicht: »Ich bin nicht wichtig. Ich bin stolz auf das Team.« Deschamps schafft es, dass sich manche seiner Stars noch mal neu erfinden.
In seiner Rolle als Spielmacher strahlt Antoine Griezmann einen solchen Erfolgshunger aus, dass ihn die Experten als besten französischen Fleißarbeiter zum Spieler des Spiels kürten. »Marokko hat mich beeindruckt. Sie haben in der zweiten Halbzeit eine Reihe von Möglichkeiten herausgespielt«, räumte der 31-Jährige ein, wohlwissend, »dass uns das frühe Tor die Dinge erleichtert hat«. Nach dem ersten WM-Treffer des nur durch die schwere Verletzung seines Bruders Lucas Hernandez in die Stammelf gespülten Theo nach fünf Minuten konnte der Favorit in der Küstenstadt Al Khor geduldig auf Chancen lauern, die durch die individuelle Klasse eines Kylian Mbappé zwangsläufig entstehen. Der 23-Jährige war an der Entstehung des 1:0 beteiligt und auch Auslöser für das 2:0 in der 79. Minute des just eingewechselten Randal Kolo Muani, als der Stürmer von Eintracht Frankfurt mit seinem ersten Ballkontakt den wichtigsten Treffer der Karriere erzielte.
Deschamps hatte zu diesem Zeitpunkt mit Marcus Thuram von Borussia Mönchengladbach bereits einen weiteren Bundesliga-Angreifer eingewechselt, um die Statik zugunsten des Unterschiedsspielers Mbappé zu verändern. Am Ende war Frankreichs Nummer zehn zwar weniger als zehn Kilometer gelaufen, aber aus dem Stand auf 35 Stundenkilometer zu beschleunigen, schafft ein Lionel Messi mit 35 Jahren nicht mehr.
Dass sich die Fußballwelt nun auf den Showdown der aus einem katarischen Staatsfonds bei Paris St. Germain fürstlich entlohnten Giganten stürzt, ist gar nicht zu verhindern. Nur ist diesmal nicht davon auszugehen, dass der eine dem anderen so sehr das Rampenlicht stiehlt wie am 30. Juni 2018. Der Jungstar Mbappé hatte damals im russischen Kasan beim furiosen Achtelfinalsieg (4:3) die Argentinier als Doppeltorschütze überrannt, während der Weltstar Messi mit versteinerter Miene von dannen stapfte. Zu bedeuten hat das für Sonntag nichts, mahnte Descamps: »Es ist eine andere Mannschaft als die, gegen die wir vor vier Jahren gespielt haben.« Vor allem Messi sei »in einer herausragenden Form. Und er spielt jetzt in einer anderen, offensiveren Rolle. Wir werden auch diesmal versuchen, seinen Einfluss aufs Spiel zu begrenzen.« Wenn das gelingt, wird nicht nur mit drei Fähnchen gewedelt.
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