- Wirtschaft und Umwelt
- Strom- und Gaspreisbremse
Längst nicht scharf genug gebremst
Gas- und Strompreise werden gedeckelt
Wenn es um die Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten geht, lassen wir uns nicht erpressen. Das können Sie direkt nach Moskau senden», rief Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei der abschließenden Debatte zur Strom- und Gaspreisbremse am Donnerstag ins Plenum des deutschen Bundestags. Er wandte sich damit gleichermaßen an die Fraktionen der AfD und der Linken, denen er ihre angeblich unkritische Haltung zu Putins Krieg gegen die Ukraine vorhielt. Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gesine Lötzsch, reagierte empört auf diese Gleichsetzung und Unterstellung und erinnerte Lauterbach zudem daran, dass er seit 2005 Mitglied des Bundestages in den Reihen der SPD sei und damit selbst mitverantwortlich für die Energieabhängigkeit von Russland – und somit auch die derzeit horrenden Heiz- und Stromkosten.
Am Freitag hat auch der Bundesrat dem Gesetz zur Strom- und Gaspreisbremse zugestimmt. Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Industrie sollen so von den seit Kriegsbeginn stark gestiegenen Energiepreisen entlastet werden. Für private Haushalte sowie kleine und mittlere Unternehmen gelten die Preisbremsen ab März; für Januar und Februar ist eine rückwirkende Entlastung geplant. Für große Industriebetriebe greift die Gaspreisbremse bereits ab Januar. Bei den Heizkosten werden 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs auf 12 Cent pro Kilowattstunde für Haushalte und Gewerbe begrenzt. Der Strompreisdeckel soll bei 40 Cent angesetzt werden.
Die Linksfraktion im Bundestag kritisiert das Gesetz als nicht ausreichend und unsozial. «Arme Familien mussten schon immer Energie sparen und haben jetzt umso weniger Geld, um sich energiesparende Technik zu kaufen. Damit müssen diese Menschen im Gegensatz zu Gutverdienenden auch trotz der Preisbremsen mehr zahlen», sagte der Linke-Abgeordnete Ralph Lenkert in der Debatte. Er setzte die für Millionen Menschen so belastende Situation ins Verhältnis zu den insgesamt rund 50 Milliarden Euro Sondergewinnen, die deutsche Energiekonzerne seit Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs bisher eingestrichen haben. Diese 50 Milliarden Euro gelte es abzuschöpfen, «doch die Ampel schöpft nur kümmerliche drei Milliarden Euro von den Konzernen ab. Sie kuscht vor den Aktionären, das ist ein falsches Signal», so Lenkert.
Die Ampel-Koalition setzt zur Sicherung der Energieversorgung tatsächlich nicht auf die Milliarden des Kapitals, sondern auf einen «Winter der Solidarität», den das Gesetz ermögliche, wie es Grünen-Chefin Ricarda Lang formulierte. Alle müssten nun zusammenarbeiten, forderte auch die Grünen-Abgeordnete Ingrid Nestle die Bevölkerung auf. Angesichts der von der Ampel-Koalition mit großem, auch medialem Aufwand beworbenen Energiesparanreize gab sich Nestle frappierend optimistisch. «Jeder, der einspart, hat am Ende richtig viel mehr im Geldbeutel», zeigte sie sich am Donnerstag überzeugt.
Für die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sind solche Aussagen völlig unverständlich. «Die Preisbremsen reichen schlicht nicht aus, um die existenzielle Not vieler Menschen zu lindern. Millionen Menschen können es sich nicht leisten, den doppelten Preis für Strom, Gas und Öl zu bezahlen», sagte Bentele nach Bekanntwerden des Gesetzesbeschlusses. Dass bei der Berechnung letztlich herauskomme, dass Verbraucherinnen und Verbraucher trotz der Regelungen den doppelten Preis zahlen müssten, monierte auch der Vorsitzende des Ausschusses für Klimaschutz und Energie im Bundestag, Klaus Ernst (Linke).
Warum sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der das Gesetzesvorhaben zu verantworten hat, in der finalen Abstimmung am Donnerstag im Bundestag selbst nicht äußerte, blieb unklar. Stattdessen verteidigte Gesundheitsminister Lauterbach das Gesetz im Namen der Bundesregierung und malte es dabei in den schönsten Farben. In seinem Grundgerüst sei es das, «was uns durch diese Krise bringt», sagte der SPD-Politiker und fügte hinzu: «Wir werden damit stärker und unabhängiger. Und wir schaffen Ausgleich für jeden, wir nehmen jeden mit.»
Wie groß die Unterschiede in der Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realitäten sein können, zeigt dagegen das Szenario, dass VdK-Präsidentin Bentele für 2023 kommen sieht. Sie forderte die Bundesregierung erneut auf, schnellstmöglich einen echten Härtefallfonds aufzulegen, aus dem Menschen mit kleinen Renten und Einkommen schnell Hilfe erhalten können. Es sei jetzt schon klar, dass sich Millionen Menschen beim Jobcenter anstellen müssten, um Bürgergeld zu beantragen. «Das würde in den Jobcentern allerdings dazu führen, dass der Betrieb zusammenbricht. Die Behörden warnen selbst, dass sie nächstes Jahr durch die hohe Arbeitsbelastung nur noch eingeschränkt handlungsfähig sind», so Bentele.
VdK, der Sozialverband Deutschland (SoVD) und weitere Sozialverbände fordern zudem in einem breiten Bündnis als ergänzende Maßnahme ein Verbot von Energiesperren sowie ein Kündigungsmoratorium für Mietverträge für Situationen, in denen Menschen wegen der enormen Energiekosten ihren Zahlungsverpflichtungen an Energieversorger oder Vermieter nicht mehr nachkommen können. «Seit Jahren steigen die Mieten und die Zahl der Wohnungslosen. Diese angespannte Situation droht sich nun noch weiter zu verschärfen», warnte SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier. Daher begrüßt sie die Preisbremsen dennoch «als eine wichtige Maßnahme gegen ungebremst weitersteigende Energiepreise».
Außerdem sei es laut Engelmeier gut, dass die Ampel-Koalition nun auch dafür gesorgt habe, dass jene 25 Prozent der Bevölkerung, die mit Öl oder Pellets heizen, mit einem Härtefallfonds Beachtung fänden. Hier müsse aber schnell die Ausgestaltung im Detail geklärt werden. «Man will sich aktuell weder eine kalte Wohnung noch abgeschaltete Elektrizität vorstellen müssen. Für viele ist das aber eine reale Bedrohung, der die Bundesregierung deutlich entgegentreten muss», so Engelmeier.
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