Myfest oder kein Fest

Das Kreuzberger Straßenfest am 1. Mai scheint vor dem Ende zu stehen – Die Linke ärgert sich über grüne Alleingänge

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.

Das traditionelle Kreuzberger Straßenfest am 1. Mai könnte nach drei Jahren Pause ein definitives Ende finden. Das geht aus einer Pressemitteilung der Linksfraktion Friedrichshain-Kreuzberg hervor. Demnach habe die Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) in der Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 14. Dezember überraschend mitgeteilt, dass für 2023 kein Myfest geplant sei und das Bezirksamt auch nicht vorhabe, eine alternative Großveranstaltung zu genehmigen.

Herrmann selbst stellte im Anschluss klar, dass ihr keine Informationen zu den Vorhaben des privaten Organisators vorliegen und das Bezirksamt nicht für Veranstaltungen am 1. Mai zuständig sei. Sie dementierte jedoch nicht das angebliche Ende des Straßenfestes. In den vergangenen drei Jahren war das Fest pandemiebedingt ausgefallen. Die Linksfraktion zeigte sich insbesondere über die Beiläufigkeit der voraussichtlichen Abschaffung empört. So sei sie nur aufgrund einer spontanen Nachfrage über den aktuellen Stand informiert worden. »In der BVV wird sonst über jeden Straßenpoller diskutiert, aber die Absetzung des riesigen Myfests ist Bürgermeisterin Herrmann keine Diskussion wert«, ärgerte sich Vizefraktionschef Janis Ehling. Herrmann habe die Versammlung vor vollendete Tatsachen gestellt: Der Bezirk kümmere sich nicht um einen alternativen Träger, die Genehmigung einer anderen Großveranstaltung für den Tag sei nicht geplant.

Die Grünen stellen die Geschichte indes etwas anders dar. Clara Herrmann erklärte am Wochenende, dass der Bezirk ausschließlich für die Genehmigung der Veranstaltung zuständig sei. Weder die Organisation noch die Suche nach einem Alternativprogramm für den 1. Mai liege demnach in der bezirklichen Verantwortung. Außerdem habe sie der BVV keine definitive Absage verkündet. »Dieser Vorwurf ist falsch und offensichtlich dem Wahlkampf geschuldet.« Ob der Trägerverein tatsächlich das Myfest beenden wolle, wisse sie nicht. Dass die Grünenfraktion dem Event nicht ausschließlich positiv gegenübersteht, ist jedoch kein Geheimnis. Sie habe in der Sitzung erläutert, dass sich Anwohnende vor Ort keine große Party wünschen, »sondern ein kleines, politisches Fest«, so Herrmann. »Diese Einschätzung teile ich.«

Unterstützung bekommt Herrmann dabei von der Landespartei. Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, betont ebenfalls, dass die Feierlichkeiten im Kiez in der Vergangenheit nicht nur auf Freude stießen. »Das war immer mit sehr viel Belastung für die Anwohner*innen verbunden. Da gab es die Kritik der Ballermannisierung, wegen riesiger Flaschen- und Müllberge«, bezieht sich Franco auf die Ergebnisse einer Umfrage in der Nachbarschaft von 2018. Die Angst, dass mit dem Ende des Myfestes Kreuzberg wieder zum Schauplatz politischer Kämpfe werden könnte, teilt Franco nicht. »Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass ein friedlicher 1. Mai möglich ist, und das sollte er weiter sein, egal ob ein kommerzieller Veranstalter ein Myfest organisiert oder nicht«, sagt er dem »nd«.

Seit 2003 organisierte ein Bündnis aus Anwohner*innen, Gewerbetreibenden und Initiativen das Straßenfest. Mit Essensständen, Konzertbühnen und Schnapsverkäufen vor der Haustür sollte das Fest für einen 1. Mai ohne brennende Barrikaden und Glasschäden im Kiez sorgen. 2004 erhielt das Netzwerk Myfest dafür den Berliner Präventionspreis.

Der Bezirksverordnete Moheb Shafaqyar (Linke) sieht durchaus die Argumente, die gegen das Myfest sprechen. Er würde gar nicht ausschließen, dass eine Debatte genau zu diesem Ergebnis gekommen wäre. Doch so, wie es jetzt gelaufen sei, würden manche Perspektiven schlicht ignoriert. Er betont gegenüber »nd« etwa, wie wichtig die Veranstaltung für Spätis sei: »Die planen diesen Tag für ihren Jahresumsatz ein und setzen darauf, dass es weitergeht.« Das Myfest nun wegen Beschwerden von Anwohner*innen ersatzlos zu streichen, ohne mit der BVV in eine Debatte zu gehen, hält Shafaqyar deshalb für vorschnell. »Mit dem Argument von Müll und Lärm lässt sich jede andere Kreuzberger Veranstaltung einstampfen.«

Wieder andere dürften sich über das voraussichtliche Ende aus politischen Gründen freuen. Das Myfest gilt in linksradikalen Kreisen als bewusste Demobilisierungstaktik. Das Bündnis zum Revolutionären Mai betonte dementsprechend auf Twitter: »Das Myfest 2023 fällt aus. Unsere #R1MB-Demo nicht. Wir sehen uns am #b0105 in Neukölln und Kreuzberg auf der Straße.«

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