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  • Fußball-WM in Katar

Messis himmelblaue Krönungsmesse

Der WM-Titel mit Argentinien vollendet Lionel Messis sportliches Lebenswerk

  • Frank Hellmann, Doha
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Trophäe für den besten Spieler im Arm, einen Kuss für den WM-Pokal: Lionel Messi
Die Trophäe für den besten Spieler im Arm, einen Kuss für den WM-Pokal: Lionel Messi

Abertausende Argentinier haben sich am Tag danach sichtlich gezeichnet zum Hamad International Airport von Doha geschleppt. Die meisten waren nach einer Nacht ohne Schlaf zu kaputt, um weiterzusingen, aber sie vereinte die glückliche Gewissheit, dass sich der teure Trip auf die Arabische Halbinsel gelohnt hatte. Viele gaben für ihre Verhältnisse ein Vermögen aus, manche auf dem Schwarzmarkt 4000 Dollar und mehr für ein Ticket, ungefähr dieselbe Summe für die Langstreckenflüge, um den historischen Moment ihres neuen Gottvaters im goldenen Tempel von Lusail mitzuerleben: die himmelblaue Krönungsmesse eines Lionel Messi, der Argentinien den dritten WM-Titel bescherte – und sein sportliches Lebenswerk abrundete.

Auch wenn in dem Wüstenstaat nicht die beste WM aller Zeiten stattgefunden hat, bekam Katar an seinem Nationalfeiertag das beste Finale geschenkt. Dass der sechsmalige Weltfußballer ein solches Spektakel wie gegen Frankreich (4:2 im Elfmeterschießen) orchestrierte, mit der hochdramatischen Inszenierung mit sechs Toren bis zur Verlängerung, um erstmals die wichtigste Trophäe zu küssen, mutete fast surreal an. Die besungene Sehnsucht von der gemeinsamen Mission eines Diego Maradona und Lionel Messi hat sich tatsächlich erfüllt, und die fiktive Handreichung zwischen der verstorbenen Legende und der lebenden Ikone trug solch rituelle Züge, dass ein von einer schweren Wirtschaftskrise geplagtes Land sich durch den Fußball zumindest für ein paar Tage wieder stark fühlen kann.

»Gegen Ende meiner Karriere wurde mir fast alles gegeben. Es ist verrückt, dass es so passiert ist. Ich wollte es so sehr«, sagte Argentiniens Kapitän. »Ich wusste, dass Gott es mir geben würde, ich hatte das Gefühl, dass es so sein würde.« Auch Nationaltrainer Lionel Scaloni fühlte sich Maradona ganz nah, als er mit tränenerstickter Stimme sagte: »Wenn er hier wäre, hätte er eine unbändige Freude empfunden und wäre der Erste auf dem Platz gewesen.«

Es sind spirituell anmutende Verbindungen, die am Río de la Plata ein solch starkes Band zwischen der »Albiceleste« und den Menschen machen, von denen eine Million in Buenos Aires auf die Straßen strömte. Die Menge besetzte das Stadtzentrum um den berühmten Obelisken. Am Montag um 22 Uhr Ortszeit wurden die Weltmeister in der Heimat zurückerwartet, der Flieger musste noch einen Zwischenstopp in Rom einlegen. In der Kabine in Doha hatten die Feierlichkeiten der himmelblauen Helden begonnen, die Abwehrchef Nicolás Otamendi festhielt. Sollte doch jeder sehen, dass Schampus und Bier nicht nur in einschlägigen Hotelbars im hinter den Kulissen oft gar nicht so prüden Emirat in Strömen fließen. Auch Messi gönnte sich ein Schlückchen, gab er doch den Anführer in den berauschenden Momenten: einen Elfmeter in der regulären Spielzeit, einen im Elfmeterschießen verwandelt, einen Treffer seines Kumpels Ángel Di María eingeleitet und dann noch sein 98. Länderspieltor erzielt. Dieses phänomenale Endspiel war die passende Schleife für fast 20 Jahre Profifußball auf nahezu unerreichtem Niveau.

Am Sonntag stieg der 35-Jährige gleich noch zum WM-Rekordspieler und besten WM-Spieler auf. Als »Man of the Match« schwänzte er die Pressekonferenz, weil er lieber bei Freunden und Familie sein wollte. Der Antrieb, den der Ausnahmekönner aus der Anwesenheit von Ehefrau Antonella Roccuzzo und seiner drei Kinder Thiago, Mateo und Ciro schöpfte, war nicht zu unterschätzen. Messi fühlt sich bei der Nationalelf seit dem Gewinn der Copa América 2021 inzwischen deutlich mehr wertgeschätzt als bei Paris St. Germain, wo er bis heute nicht solchen Einfluss hat.

Deshalb soll nach 172 Länderspielen nicht sofort Schluss sein. »Es ist kein Geheimnis, dass ich meine Karriere mit diesem Pokal beenden wollte«, sagte Messi. Er möchte aber nun noch »ein paar Spiele als Weltmeister« erleben. Dass ihm Trainer Scaloni diese Entscheidung selbst überlässt, überraschte nicht. »Es liegt bei ihm. Alles, was er weitergibt, das ist surreal, so etwas habe ich noch nie gesehen, dass jemand so viel gibt«, schwärmte der 44-Jährige. Die Scouting-Crew des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) merkte am Montag auf dem Weg nach Frankfurt noch an, Messi habe wohl nie so viele Defensivzweikämpfe geführt und Fouls begangen wie bei dieser WM. Wer als kreativer Schöngeist auch kratzbürstiger Kämpfer sein kann, taugt wirklich zum Vorbild für jene der 47 Millionen Argentinier, deren Alltag vom Kampf ums Überleben geprägt ist. Bedauerlich, dass die Strahlkraft eines solchen Idols von Fifa-Präsident Gianni Infantino und dem Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, bei der Siegerehrung missbraucht wurde.

Erst hielten sich zwei profilierungssüchtige Herrscher zu lange am Goldpokal fest, um dann dem vielleicht sogar größten Fußballer aller Zeiten eine »Bischt«, ein durchsichtiges Übergewand, umzuhängen. Der bei PSG aus einem katarischen Staatsfonds sehr fürstlich bezahlte und als Tourismusbotschafter für Saudi-Arabien eingespannte Messi hat sich gegen die Vereinnahmung mit einem Kleidungsstück aus dem arabischen Raum nicht gewehrt, aber es ist auch nicht anzunehmen, dass dieses Utensil einen Ehrenplatz in seinem Zuhause in Barcelona bekommt. Der WM-Gastgeber hat mit der Schlussszene indes deutlich gemacht, dass es bei dieser gigantischen Show am Ende weniger um Fußball ging, sondern eher darum, die weltbesten Kicker für eigene Zwecke einzuspannen.

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