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Die Slowakei schlittert in die Krise
Das Regierungsdebakel und die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs werden zu einer großen Herausforderung
Der Schritt war längst überfällig: Nach einem Misstrauensvotum hat die slowakische Staatspräsidentin Zuzana Čaputová die aktuelle Regierung unter Premier Eduard Heger abberufen. Und beauftragte gleichzeitig den Politiker der Partei Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten (OĽaNO), die Amtsgeschäfte bis auf Weiteres auszuüben.
Genau das dürfte für das Minderheitskabinett schwer sein, denn es ist nahezu handlungsunfähig. Nicht weil es jetzt eine Übergangsregierung ist, sondern vor allem wegen des nicht vorhandenen Rückhalts im Parlament. Dabei muss gerade in diesen Tagen der Haushalt für das kommende Jahr verabschiedet werden, ohne den die Slowakei in eine noch tiefere Krise abrutschen könnte als in der derzeit schon desolaten Lage.
Die aktuelle Krise im Parlament hat sich bereits Anfang September angedeutet. Damals verließ die Partei Freiheit und Solidarität (SaS) des Wirtschaftsliberalen Richard Sulik das Kabinett – aus Protest gegen die wenig durchsichtigen Manöver des Finanzministers und vorherigen Ministerpräsidenten Igor Matovič. So war die Regierung quasi in eine Minderheitsposition gerutscht, nachdem sich im Nationalrat auch noch zwei Abgeordnete der Partei Za Ludi (Für die Menschen) des früheren Präsidenten Andrej Kiska der Koalition entzogen. Für den Misstrauensantrag am Donnerstag stimmten 78 der 102 anwesenden Parlamentarier – eine Quote von 76 der insgesamt 150 Abgeordneten wäre erforderlich gewesen.
Wie andere Länder auch leidet die slowakische Wirtschaft unter den Auswirkungen des Ukraine-Krieges. Viele Betriebe können nur noch eingeschränkt produzieren. Grund dafür sind die immens gestiegenen Energiekosten und der Ausfall von Zulieferungen von Handelspartnern aus der Ukraine und aus Russland. Für das kommende Jahr steht nun ein Haushalt zur Debatte, der wenigstens die Spitzen dieser Krise abschwächen soll. Doch gerade hier ist man über die Vorgehensweise in der Regierungspartei OĽaNO deutlich anderer Meinung als die Liberalen unter Sulik. Diese Differenzen könnten einerseits dazu führen, dass der Haushalt nicht oder bestenfalls nur in einer abgespeckten Notvariante durchs Parlament kommt. Andererseits könnte die Regierung bei einer erneuten Niederlage zurücktreten und die Präsidentin schließlich dazu zwingen, bis zu den Wahlen im Februar 2024 eine Technokraten-Regierung aus unabhängigen Experten zu installieren.
Doch auch eine solche Regierung müsste mit dem Handicap leben, dass ihr die parlamentarische Grundlage für Gesetzesbeschlüsse fehlt und sie so nur den Status quo verwalten kann. Für das Land und seine Bürger eine unbefriedigende Lösung, die stärkste Forderungen nach Neuwahlen nach sich ziehen könnte.
Das führt zum nächsten Dilemma: Die geltende Verfassung sieht keine Ausrufung von vorgezogenen Neuwahlen vor. Für die nötige Verfassungsänderung sind im Parlament mindestens 90 Stimmen (eine Vier-Fünftel-Mehrheit) erforderlich. Beim gegenwärtig zerstrittenen und in viele Splittergruppen zerfallenen Nationalrat ist ein Erreichen dieses 90-Stimmen-Quorums jedoch eher unwahrscheinlich.
Allerdings könnte der Druck auf die Parlamentarier wachsen, sollte eine von Čaputová berufene Regierung zwar nicht die Unterstützung des Nationalrates, wohl aber der Gesellschaft bekommen. Für diesen Fall könnten die Abgeordneten – eher zum Vermeiden einer politischen Schande – dann doch bereit sein, den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Die Präsidentin hat vorsorglich schon einmal den Termin 3. Juni 2023 ins Spiel gebracht.
Wie auch immer die neue Regierung in Bratislava aussieht, die Krise wirkt sich schon jetzt auf die Europäische Union aus. Als Nachbar des Kriegslands Ukraine benötigt die Slowakei erhebliche Unterstützung aus Brüssel. Das Land ist zu fast 100 Prozent von russischen Energielieferungen abhängig. Sollte sich die soziale Lage in der Slowakei wegen der anhaltenden Inkompetenz der Regierung verschärfen, könnten die Wähler doch wieder die russlandfreundlichen Sozialdemokraten an die Macht bringen. Intern könnten dann kurzfristig Energieprobleme behoben werden, extern dürfte das jedoch erhebliche Schwierigkeiten beim Durchsetzen der EU-Politik gegenüber Russland bedeuten. Eine Slowakei an der Seite von Orbáns Ungarn dürfte die Lage in Europas Osten nicht verbessern. Insofern beobachtet man auch in Brüssel und anderen westeuropäischen Metropolen die Entwicklung in Bratislava mit kritischen Augen.
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