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Linus Straßer ist immer noch auf dem Sprung in die Weltspitze
Der Slalomfahrer aus München gehört zu den Besten, die Konstanz fehlt noch
Es war vor ein paar Tagen, da hatte Linus Straßer wieder einmal einen Auftritt – nicht zwischen Slalomstangen, sondern in den sozialen Medien. Und das Thema war auch kein Sportereignis, es ging um etwas Privates. Der Skirennläufer vom TSV 1860 München ist gerade Vater einer Tochter geworden. »Herzlich willkommen, kleine Maus«, schrieb er unter ein Foto, das ihn glücklich lächelnd mit der Neugeborenen auf dem Arm zeigte.
Viel Zeit konnte er aber nicht mit der Familie verbringen, denn schon kurz nach der Geburt musste er wieder die Tasche packen, um sein nächstes Jobprojekt in Angriff zu nehmen: den Nachtslalom an diesem Donnerstag in Madonna di Campiglio. Mit der Piste Canalone Miramonti hat Straßer noch eine Rechnung offen. Sein Trainer Christian Schwaiger hätte es zwar gerne gesehen, wenn der 30-Jährige auch bei beiden Riesenslalom-Rennen in Alta Badia am Sonntag und Montag gestartet wäre, aber man muss eben Prioritäten setzen.
Schwaiger kann sich allerdings darauf verlassen, dass Straßer im Normalfall nicht weitere Rennen schwänzen wird. »Er ist ein extremer Profi«, sagt der Cheftrainer der deutschen Männer. Und Straßer hat ja auch noch einiges vor. Die Siege in Zagreb 2021 und Schladming im Januar dieses Jahres sollten nicht die letzten seiner Karriere sein. Der Slalom-Auftakt in diesem Winter in Val d’Isere mit Platz 13 klingt erst einmal nicht berauschend. Aber die Situation für ihn, das Warten auf das Kind, sei nicht so einfach gewesen, sagt Schwaiger: »Ich weiß, was der Linus kann, und darum mache ich mir auch keine Sorgen.«
Zumal Linus Straßer ohnehin nicht als Frühstarter in den Winter bekannt ist. Im vergangenen Jahr hatte er sich geschwächt von einem Infekt im ersten Saison-Slalom nicht für den zweiten Durchgang qualifiziert und war in Madonna di Campiglio nach nur fünf Toren ausgeschieden. Der Winter begann für ihn deshalb erst so richtig im neuen Jahr – mit zwei dritten Plätzen und dem Sieg in Schladming. Am Ende wurde er Fünfter in der Slalom-Gesamtwertung und war damit so gut wie noch nie. Auch die Saison davor hatte zäh begonnen, ehe er Anfang Januar zu seinem ersten Weltcup-Sieg gecarvt war.
Und dennoch waren die beiden bisher erfolgreichsten Jahre nicht miteinander zu vergleichen. Nach dem Premierenerfolg in Zagreb und dem darauffolgenden zweiten Platz von Adelboden hatte er sich womöglich ein wenig zu sehr unter Druck gesetzt, zu viel von sich erwartet. Es folgte ein Rückschlag auf den anderen, die gute Form war dahin bei der WM in Cortina d’Ampezzo. Im vergangenen Winter konnte er das Januarniveau halbwegs halten, schaffte insgesamt vier Top-Ten-Resultate. Dass es bei den Olympischen Winterspielen in Peking nicht zu einer Medaille reichte, sondern nur zu Platz sieben, ist auch der Leistungsdichte im Slalom geschuldet. In der vergangenen Saison gab es in zehn Torläufen acht verschiedene Sieger.
Das Schwierigste sei, »konstant gut zu sein«, sagte er jüngst. Wer ganz oben angekommen ist, will oft noch einen draufsetzen, »was ganz Besonderes machen« und »das ist das Schlimmste, was es gibt«. Die Kunst, sagt er, »liegt in der Einfachheit«.
Straßer weiß, wovon er spricht. Als er vor knapp acht Jahren in Schladming in seinem erst siebten Weltcup-Torlauf einen beachtlichen fünften Platz erreichte, galt er als neuer deutscher Slalom-Stern, der sich im Schatten der damals zu den Besten der Welt gehörenden Felix Neureuther und Fritz Dopfer entwickeln und in deren Fußstapfen treten sollte. Aber es kam anders. Der Stern Straßer erlosch schnell. Der Hochbegabte hatte zu kämpfen mit diesem raschen Aufstieg und seinem risikobehafteten Fahrstil, den Schwaiger einmal als »tickende Zeitbombe« bezeichnete, weil der Münchner zwar extrem schnelle Schwünge fahren konnte, aber stets Gefahr lief auszuscheiden. Damals wollte er es im Rennen immer noch einmal besser machen als im Training – und scheiterte.
Es war ein langer Reifeprozess, das zu begreifen – und umzusetzen. Jetzt versucht er, im Rennen »nur mich, mein Skifahren und den Berg im Kopf zu haben«. Das gelingt manchmal perfekt, manchmal nicht ganz so. Wichtig sei es, »ganz bei sich« zu bleiben, auf sich zu vertrauen, sagt er. Straßer hat erkannt, dass es besser ist, mehr auf sich zu hören als auf andere. »Es bringt wenig, wenn Leute einem vorsagen, was man zu tun hat oder wie es gehen sollte«, sagt er. »Du musst deinen eigenen Weg finden.«
Und dazu gehört, auch einmal einen Schritt zurückzugehen, nicht alles zu riskieren, wie zuletzt in Val d’Isere, wo er bis zu dieser Saison fast immer ausgeschieden war oder den zweiten Durchgang verpasst hatte. »Es ging mir darum, mit dem Hang Frieden zu schließen«, sagte er anschließend. Das erste Etappenziel der Saison hat er erreicht. Vielleicht schafft er nun auch das zweite: die offene Rechnung in Madonna zu begleichen.
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