Kolumbien auf friedlichen Pfaden

Verhandlungen mit der ELN-Guerilla gehen in die zweite Runde

  • Sara Meyer, Bogotá
  • Lesedauer: 4 Min.

In Kolumbien könnte das neue Jahr einen entscheidenden Schritt in Richtung Befriedung bringen. Die linke Regierung von Präsident Gustavo Petro hat sich einen vollständigen Frieden zum Ziel gesetzt und dafür auch mit der letzten verbliebenen Guerilla ELN den Friedensdialog wieder aufgenommen. Am 23. Januar läuten die Regierung und die ELN-Guerilla die zweite Runde ihrer kürzlich in Venezuelas Hauptstadt Caracas begonnenen Friedensgespräche ein. Dieses Mal treffen sich die Delegation der »Elenos« (Mitglieder der ELN) und die Unterhändler der Regierung in Mexiko. Um ihre Bereitschaft zum Frieden zu bekräftigen, haben die Kämpfer für die Feiertage eine Waffenruhe für alle Regionen angekündigt.

Das Verhandlungsteam des linken Präsidenten Gustavo Petro bildet das breite Spektrum der kolumbianischen Gesellschaft ab: Die Führung übernahm ein Ex-Guerillero der M-19, eine Guerillagruppe, der Petro selbst einst angehörte und die sich 1990 in eine politische Partei umwandelte. Zum progressiven Teil der Regierungsdelegation gehören der Abgeordnete Iván Cepeda und María Pizarro an, Feministin und Tochter des 1990 ermordeten Anführers der M-19, Carlos Pizarro, sowie Menschenrechtsverteidiger*innen, indigene und afrostämmige Anthropolog*innen und mehrere Journalist*innen. Das rechte Gegengewicht innerhalb der Regierungsdelegation bildet insbesondere der derzeitige Präsident des nationalen Verbandes der Viehzüchter José Lafaurie und ein Oberst der Streitkräfte, Álvaro Matallana.

Die ersten Vereinbarungen wurden im Eiltempo innerhalb von 21 Tagen verkündet. Beide Parteien verließen den Verhandlungstisch in Venezuela mit der Zusicherung, nicht nur die ernste Lage, was die Gewalt in den Territorien betrifft, anzuerkennen, sondern einigten sich darauf, möglichst bald humanitäre Sofortmaßnahmen einzuleiten. Die Rebellengruppe gab in den vergangenen Wochen mehrere Geiseln frei, im Gegenzug wurden mehrere gefangene ELN-Kämpfer aus dem Gefängnis entlassen.

Mit der erneuten Aufnahme der Friedensgespräche hauchte Präsident Gustavo Petro einem seiner Wahlversprechen Leben ein. Petro ist nicht nur der erste linke Präsident des Landes, sondern auch der erste, der konkrete Abmachungen mit der letzten aktiven Guerilla Kolumbiens erreicht hat. Die Organisation Indepaz schätzt die Zahl der aktiven Kämpfer auf 3000. Die ELN ist in 23 der 32 bestehenden Verwaltungsgebieten und im Nachbarland Venezuela aktiv. Zuletzt sanken die Auseinandersetzungen mit dem Militär, wogegen die Guerilla sich vermehrt an bewaffneten Auseinandersetzungen mit Drogenhändlern und Paramilitärs beteiligte.

Die Delegation beschloss die Umsetzung eines Teilabkommens über die verheerende Situation im Westen-Kolumbiens in Chocó und Valle de Cauca. Im Zuge dessen sollen vertriebene Indigene schon bald in ihre Gebiete zurückkehren. Am 21. Dezember traten bereits die ersten 250 Mitglieder der Gemeinschaft der Embera die langersehnte Rückkehr an. Der Präsident selbst verkündete, dass es künftig allen ethnischen Gruppen möglich sein sollte, in ihre Territorien zurückzukehren.

Neben dem Festsetzen der Regeln für die bevorstehenden Gespräche einigten sich die Parteien auf eine Bildungskampagne, die darauf abzielt, die Beteiligung des kolumbianischen Volkes und der internationalen Gemeinschaft in den laufenden Friedensprozess zu integrieren.

Bisher steht fest, dass künftige Verhandlungsrunden neben Venezuela und Mexiko auch in Norwegen, Kuba und Chile abgehalten werden können. Die Vereinten Nationen und die katholische Kirche sowie Deutschland und weitere Länder begleiten den Prozess. Im Raum steht das von der Regierung geäußerte Begehren, eine nationale Zusammenkunft zu organisieren, auf der sämtliche Akteure der Gesellschaft ihre Standpunkte zum Konflikt mit der ELN äußern und auf dem sie ihre Lösungen vorschlagen können. Dieser Ansatz wird nicht von allen Beteiligten begrüßt.

Das südamerikanische Land kennt kaum Zeiten des Friedens: Seit den 1960ern existieren im Staatsgebiet linke Guerilla-Gruppen, rechte Paramilitärs sowie kriminelle Banden und Drogenkartelle. Davor lieferten sich Konservative und Liberale nach der Ermordung des liberalen Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliécer Gaitán 1948 bis 1958 blutige Kämpfe, diese Phase ging offiziell als die Gewaltepoche »la violencia« in die Geschichte ein.

Mit den neuaufgenommenen Friedensverhandlungen der letzten Guerilla des Landes wird das Versprechen auf Wandel der neuen Regierung unterstrichen. Die Zusammensetzung der Delegation verdeutlicht das Bewusstsein, dass das Land nur Ruhe finden kann, wenn sowohl konservative als auch progressive Stimmen Berücksichtigung finden. Das Streben Petros nach mehr sozialer Gerechtigkeit ist ganz im Sinne der ELN. Der rasche Beginn der Umsetzung des bereits Besprochenen und das kürzlich gemachte Bekenntnis der Kämpfer, sich künftig »dem Frieden und einem demokratischen Kolumbien für alle« zu verschreiben, lässt Hoffnung zu.

Die größte Gefahr für das Scheitern des »vollständigen Friedens« – wie bereits mehrmals in der Vergangenheit – birgt die Abspaltung von Guerilleros, die nicht mit dem Vereinbarten einverstanden sind und den bewaffneten Kampf fortsetzen. Problematisch könnte sich auch erweisen, dass die ELN nicht nur in Kolumbien, sondern auch in Venezuela agiert. Derzeit überwiegt aber der Optimismus mit Blick auf 2023.

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