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  • Berlin
  • Knastdemo zu Silvester

Glitzern über Gefängnismauern

Rund 200 Menschen haben in der Silvesternacht vor der JVA Moabit gegen Knäste demonstriert

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.
Parolen statt Sekt: Auch in vergangenen Neujahrsnächten bekundete die Knast-Demo Solidarität mit den Gefangenen in der JVA Moabit.
Parolen statt Sekt: Auch in vergangenen Neujahrsnächten bekundete die Knast-Demo Solidarität mit den Gefangenen in der JVA Moabit.

Als es knallt, wird applaudiert. Ein paar Raketen und Böller müssen Demonstrant*innen in die Verbotszone geschmuggelt haben. Eigentlich hat die Berliner Polizei die Taschen und Rucksäcke aller Passant*innen auf Pyrotechnik kontrolliert – nur Wunderkerzen, Knallerbsen und Tischfeuerwerke sind in der abgesperrten Verbotszone rund um die Justizvollzugsanstalt Moabit erlaubt.

Wie jedes Jahr läuft die Knastdemo in der Silvesternacht zu einem Berliner Gefängnis, um Solidarität mit den Insassen zu zeigen und ihnen einen guten Rutsch ins neue Jahr zu bescheren. Rund 200 Menschen haben den Weg durch die knallende Hauptstadt auf sich genommen, um die »Isolation des Knast-Systems« zu brechen, wie es im Aufruf heißt. »Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen«, rufen die Teilnehmer*innen bei dem Spaziergang um das Gefängnis. Hinter einigen vergitterten Fenstern sind Silhouetten zu erkennen. Sie antworten mit Rufen und Pfiffen.

Die Demonstration erinnert an den Tod von Ferhat M., der am 23. Juli 2020 in der JVA Moabit bei einem Zellenbrand starb. Während die Justizbehörde von einem Suizid sprach, berichteten Mitinsassen von rassistischer Schikane und ignorierten Hilferufen. »Es gibt keinen Suizid im Knast«, sagt Kai, ein ehemaliger Mitgefangener von M., in seinem Redebeitrag. »Todesfälle in Knästen sind die traurige Konsequenz von Rassismus und staatlicher Gewalt.«

Eine weitere Rednerin stellt den Bezug zu Abschiebezentren her, »die werden Zentrum und nicht Gefängnis genannt, um ihre tatsächliche Funktion zu verschleiern«. Bis 2025 soll das sogenannte Ein- und Ausreisezentrum am Flughafen BER entstehen, im Dezember beschloss der Brandenburger Landtag mit den Stimmen der regierungsbeteiligten Grünen den entsprechenden Haushaltsbeschluss. Andere Redner*innen verurteilen Gefängnissysteme über Deutschland hinaus, etwa die italienischen Haftbedingungen nach dem sogenannten »Artikel 41-bis«. Der inhaftierte Anarchist Alfredo Cospito trat deshalb im Oktober in einen Hungerstreik. Und auch auf die Situation im Iran und auf die systematische Verhaftung, Folter und Ermordung des politischen Widerstands dort verweisen Aktivist*innen. Der gemeinsame Tenor: Gefängnisse dienen nicht der Gerechtigkeit, sondern bestrafen vor allem arme und widerständige Menschen.

Um Punkt null Uhr fliegen zwischen Wunderkerzen und Live-Musik der Rapperin Sohra doch ein paar Raketen in Richtung der Gefängnismauern. Explosive Zeichen dafür, dass die Menschen hinter Gittern nicht alleine sind. »Ich bin hier, um den Leuten in Gefangenschaft zu zeigen, dass mir nicht egal ist, was mit ihnen passiert«, sagt eine Teilnehmerin. Sie habe selbst vor zwei Jahren für einige Monate in Untersuchungshaft gesessen. »Alles ist darauf ausgerichtet, dass du dich vergessen fühlst. Wenn dann Leute vor dem Knast stehen, die laut rufen und Feuerwerk schießen, ist das ein unbeschreibliches Gefühl.«

Im Vergleich zu früheren Knast-Demos kann die solidarische Böllerei jedoch nur eingeschränkt stattfinden. In den vergangenen zwei Jahren sorgte bereits im Namen des Infektionsschutzes ein allgemeines Verkaufsverbot für Pyrotechnik sowie Ansammlungsverbote für weniger Feuerwerk in Richtung Gefängnismauern. Während das Überwachungssystem der JVA 2019 noch 323 Alarmmeldungen registrierte, waren es 2020 bereits 46 weniger. In diesem Jahr diente nicht mehr die Pandemie, sondern die Sicherheit als Verbotsargument. Zu den zwei bestehenden Verbotszonen am Alexanderplatz und im Steinmetzkiez in Schöneberg kam das Areal um die JVA Moabit hinzu.

Außerhalb der Verbotszonen ging es dieses Silvester heiß her. Bereits im Vorfeld hatte der Bundesverband Pyrotechnik von großer Nachfrage nach Feuerwerkskörpern berichtet. Tatsächlich überstiegen die Einsatzzahlen der Feuerwehr nicht nur die zwei vergangenen Jahre, sondern auch das Prä-Pandemie-Niveau von 2019: 1717-mal rückte die Feuerwehr in der Nacht aus, fast 200-mal mehr als 2019 und 700-mal mehr als 2021. Besonders an der gestiegenen Zahl von Brandeinsätzen, die sich im Vergleich zum vergangenen Jahr mehr als verdreifachte, lässt sich ablesen, dass mit Ende des Verkaufsverbotes die Lust auf Zündelei zurückkam.

Die Feuerwehr hatte nach eigenen Angaben ausreichend Personal für den selbst ausgerufenen Ausnahmezustand bereitgestellt. Nicht die Einsatzdichte habe die Mitarbeiter*innen belastet, »überrascht wurden wir allerdings von der Masse und der Intensität der Angriffe auf unsere Einsatzkräfte«, heißt es in der Pressemitteilung. 38 Übergriffe seien gemeldet worden, von 15 verletzten Einsatzkräften befinde sich einer in stationärer Behandlung.

Auch die Polizei beklagte Angriffe auf Kolleg*innen. Der Berliner Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, Stephan Weh, forderte deshalb am Sonntag ein Verkaufsverbot. »Wir haben deutschlandweit gesehen, dass Pyrotechnik ganz gezielt als Waffe gegen Menschen eingesetzt wird. Das muss ein Ende haben.« Auf Twitter machten vor allem Bilder aus der Sanderstraße und dem Kottbusser Damm in Neukölln die Runde. Zu sehen sind horizontal abgeschossene Raketen, die zum Teil auf Einsatzwagen der Polizei treffen.

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