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Die gepfefferte Inflation
Die Kosten für Energie, Mieten und Lebensmittel steigen deutlich schneller als die Löhne
Das erste Wahlgeschenk 2023 hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan schon verteilt: Mehr als zwei Millionen Beschäftigte brauchen dieses Jahr nicht mehr zu arbeiten. Erdoğan schickt sie persönlich in den Ruhestand und hofft, dass ihm das viele Stimmen für die Wiederwahl im Sommer einbringt.
Die Türkei steckt in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage mit einer rasanten Geldentwertung. Im November wurde offiziell erstmals seit anderthalb Jahren ein leichter Rückgang der Inflation gemessen. Offiziell lag diese bei 84,4 Prozent, ein Prozentpunkt weniger als im Oktober. Die von der staatlichen Statistikbehörde veröffentlichten Zahlen werden jedoch kritisch betrachtet, unabhängige Forschungsinstitute gehen von einer noch weitaus höheren Teuerungsrate aus.
Die Inflation äußert sich in rasant steigenden Verbraucherpreisen, vor allem die Kosten für Energie, Mieten und Lebensmittel steigen von Woche zu Woche. In der letzten Dezemberwoche wurde zudem eine Erhöhung der Preise für den öffentlichen Nahverkehr angekündigt, die ab Januar gilt. Um die schwindende Kaufkraft zu stärken, kündigte die AKP-Regierung eine Erhöhung des Mindestlohns zum Beginn des neuen Jahres an. Dieser liegt aktuell bei 5500 Lira (275 Euro) und soll mit der ersten Lohnzahlung Anfang Februar auf 8500 Lira steigen. Rund die Hälfte der Lohnabhängigen bezieht nach offiziellen Angaben den Mindestlohn, im privaten Sektor sind es 60 Prozent. Die Erhöhung gleicht den Kaufkraftverfall jedoch bei Weitem nicht aus.
Saruhan Oluç von der pro-kurdischen HDP sagte während einer Pressekonferenz im türkischen Parlament, »die Werktätigen, die Geringverdienenden und Beziehenden des Mindestlohns werden von der Inflation erdrückt. Laut der Statistikbehörde sind Preise für Pfeffer um 259 Prozent, für Butter um 150 und für Brot um 100 Prozent gestiegen.« An die Regierung gerichtet kritisierte er, »eine frohe Botschaft der Lohnerhöhung wollen sie überbringen und verkünden 54,66 Prozent mehr. Was kann an dieser Botschaft erfreulich sein?«
Auch Veli Ağbaba von der kemalistischen CHP, der größten Oppositionspartei, kritisierte die Lohnerhöhung als unzureichend, sowohl um die bereits erlittenen Verluste auszugleichen, als auch um die Kaufkraft im nächsten Jahr zu stärken. »Erdoğan, der in seinem Palast täglich 10 Millionen Lira ausgibt, hat für Millionen von Mindestlohnbeziehenden wieder einmal den Hunger für angemessen betrachtet«, schrieb Ağbaba auf Twitter.
Die Konföderation progressiver Arbeitergewerkschaften DISK kritisierte in ihrem Statement nach Verkündung der Lohnerhöhung, dass nicht der Mindestlohn, sondern flächendeckende Tarifverträge das richtige Mittel gegen die Verarmung der Arbeiter*innen wären. Die Konföderation, die selbst nicht Teil der Kommission ist, die den Mindestlohn festlegt, hatte zuvor eine Erhöhung auf 13 500 Lira gefordert. Der Gewerkschaftsbund Türk-İş hatte im Oktober eine Studie veröffentlicht, laut der die monatlichen Ausgaben einer vierköpfigen Familie rund 24 200 Lira betragen. Selbst bei zwei in Vollzeit arbeitenden Elternteilen wäre somit auch mit dem neuen Mindestlohn kein Auskommen möglich. Auch die Jugendarbeitslosigkeit steigt gerade zum Ende der Tourismussaison wieder an und liegt aktuell bei 22 Prozent.
Bereits im Juli vergangenen Jahres wurde der Mindestlohn erhöht, nun hoffen viele auf eine erneute Anpassung kurz vor den Wahlen, die für Juni 2023 geplant sind. Finanzielle Not und Unmut gegenüber der wirtschaftlichen Lage sind bereits jetzt die bestimmenden Themen im Wahlkampf. Die Gewerkschaftskonföderation DISK fordert, dass der Mindestlohn in Zeiten hoher Inflation vier Mal pro Jahr angepasst wird. Außerdem sollen nicht nur der Lohn, sondern auch die Renten entsprechend erhöht werden. Aufgrund massiver staatlicher Repressionen gegen die Versuche gewerkschaftlicher Organisierung fehlen den Angestellten vielerorts jedoch die nötigen Strukturen, um sich gegen Niedriglöhne und Entlassungen zu wehren. Erst im Dezember ließ Präsident Erdoğan einen Streik in der Fabrik Bekaert per Präsidialdekret verbieten mit dem Argument, dieser stelle eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar. Die Belegschaft trat dennoch in den Ausstand und hält den Streikposten bis heute aufrecht.
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