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Marokko lässt sich nicht lumpen
Rabat schmierte EU-Abgeordnete womöglich intensiver als Katar
Der als »Katargate« benannte Korruptionsskandal im Europaparlament zieht weitere Kreise, und das Blickfeld verschiebt sich immer stärker nach Marokko. Diverse Beschuldigte haben nun zumindest Teilgeständnisse abgelegt. Nach Francesco Giorgi, dem Lebensgefährten der ehemaligen Vizepräsidentin Eva Kaili, hat auch sie ausgepackt – und dann zum Teil der Mann, der als zentrale Figur in dem Skandal gilt. Es handelt sich um den italienischen Ex-Europaparlamentarier Antonio Panzeri. Er ist wie Kaili inhaftiert.
In der Wohnung des 67-jährigen Sozialdemokraten ist nach Angaben der Ermittler Bargeld in Höhe von 600 000 Euro gefunden worden. Die Gelder, die in abgehörten Gesprächen als »Geschenke« verschleiert wurden, hat Francesco Giorgi verwaltet. Das hat der Italiener, der als Assistent des Strippenziehers Panzeri beschäftigt war, dem Ermittlungsrichter gestanden. Panzeri ist teilweise geständig.
Mit den Aussagen Panzeris wurden nicht nur die Vorwürfe gegen Katar, sondern auch die gegenüber Marokko erdrückender, die beide Länder weiter bestreiten. Auf Basis von Panzeris Auslassungen, der zwei weitere Europaparlamentarier angeschuldigt hat, beantragte die belgische Justiz nun die Aufhebung deren Immunität beim Europaparlament. Es handelt sich um den belgischen Sozialdemokraten Marc Tarabella und den italienischen Sozialdemokraten Andrea Cozzolino. Beide bestreiten weiter, Bestechungsgelder angenommen zu haben, Tarabella spricht gar von einer »Hexenjagd«.
Giorgi, der die beiden auch schon benannt hatte, weiß über die Vorgänge Bescheid. Aber nach den Aussagen Panzeris wird es jetzt kritisch für diese beiden Sozialdemokraten. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola wird den Antrag der belgischen Justiz nun dem Parlament vorlegen. Dann muss sich der Rechtsausschuss damit befassen. Danach wird das Plenum mit einfacher Mehrheit entscheiden. Metsola will das Verfahren prioritär behandeln. Da die beiden früheren Fraktionen und die nationalen Parteien sich von Tarabella und Cozzolino schon distanziert haben, gilt die Aberkennung der Immunität nur noch als Formsache.
Über das Vorgehen im Bestechungsskandal hatte schon Giorgi im Verhör Auskunft gegeben und frühzeitig Marokko ins Blickfeld gerückt. Er erklärte: »Das Geld aus Marokko und Katar wurde unter Vertretern des Europäischen Parlaments, parlamentarischen Assistenten und anderen Persönlichkeiten umverteilt, die Abstimmungen und das Verhalten innerhalb der Brüsseler Institutionen beeinflussen könnten.« Schaut man sich genauer an, wo Panzeri gewirkt hat, rückt vor allem Marokko in den Blick. Die Vorgänge seien über eine Nichtregierungsorganisation abgewickelt worden, die ausgerechnet den Namen »Fight Impunity« (Bekämpft Straflosigkeit) hat.
Panzeri war in seiner Zeit als Europaparlamentarier bis 2019 Vorsitzender der Parlamentsdelegation für die Beziehungen zur Union des Arabischen Maghreb (DMAG). Dazu gehört zwar nicht Katar, aber Marokko. Auch über die Delegation soll massiv Einfluss auf die Politik genommen worden sein, um Entscheidungen positiv für Marokko zu beeinflussen. So ist es für die Ermittler auch kein Zufall, dass an der Spitze der Delegation nach dem Abgang von Panzeri Cozzolino folgte, der auch Giorgi als Assistent übernahm.
Panzeri habe stets die marokkanische Sache vertreten, erklärte auch dessen frühere Kollegin Ana Gomes. Die streitbare Sozialistin aus Portugal berichtete von »unzähligen Streits«. Immer wieder hätten Panzeri und seine Truppe Resolutionen zur Frage der von Marokko illegal besetzten Westsahara und zu Menschenrechtsfragen erfolgreich torpediert. Denn Panzeri war auch Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses.
Gomes hält Panzeri für einen marokkanischen Agenten. Das vermuten auch belgische Ermittler, der Geheimdienstagent Agent Belharace Mohamed sei der Führer der Truppe gewesen. Sogar Yassine Mansouri, Chef des Geheimdienstes DGED, soll sich mit Mitgliedern des Trios getroffen haben.
Marokko sei »hyperaktiv« in Brüssel tätig, erklären Experten. Es fällt unter anderem das 2019 verabschiedete Fischereiabkommen auf, das vom Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg vor einem Jahr für nichtig erklärt wurde. Denn darüber wurden Ressourcen der besetzten Westsahara ohne die Zustimmung der Sahrauis ausgeplündert.
Über einen unglaublichen Vorgang hat auch der spanische Europaparlamentarier Miguel Urban in »Le Soir«berichtet. Er geht davon aus, dass die Sozialdemokraten 2021 dafür sorgten, dass die Sahraui-Menschenrechtsaktivistin Sultana Khaya als Kandidatin für den Sacharow-Preis ausgebootet worden sei. Eigentlich hatten die Sozialdemokraten der Kandidatin der Linken die Unterstützung versichert, doch dann sei eine neue Abstimmung erzwungen worden. Diese sei dann aus »unerfindlichen« Gründen zudem eine halbe Stunde verzögert worden. Danach habe die S-&-D‑Fraktion plötzlich aus »taktischen Gründen«, wie sie eingeräumt hatten, für die Kandidatin der extremen Rechten gestimmt.
Es wurde von einem obskuren Mailverkehr gesprochen, der nie aufgeklärt wurde. Angesichts der Korruptionsenthüllungen erscheint der Vorgang in einem neuen Licht. Die französische Linke-Abgeordnete Manon Aubry forderte unlängst eine Aufräumaktion vom »Keller bis zum Dach«.
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