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In Rojava wird das Wasser knapp
Die Türkei setzt Wasser als Waffe gegen die Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens ein
Geprägt von scheinbar endlosen Weizenfeldern gilt Nordostsyrien, besser bekannt unter dem kurdischen Namen Rojava, als Kornkammer Syriens; rund 70 Prozent der syrischen Weizen- und Gerstenproduktion kommen von dort. Doch das Ackerland ist von Dürre bedroht, heute ist diese Lage prekärer denn je.
Von der an der Grenze zur Türkei liegenden Stadt Kobanê braucht man nicht lange mit dem Auto, bis man die erwähnten Felder ausmacht. Rund um die Ortschaften leben die meisten Menschen von der Landwirtschaft. Viele von ihnen fordern mehr Unterstützung von der Autonomen Administration Nord- und Ostsyriens (AANES). Bewässerungsprojekte müssten her, nachdem die letzte Ernte aufgrund des Mangels an Regen und Wasser aus dem Euphrat erneut knapp ausgefallen sei.
Dorfbewohner*innen und Bäuer*innen betonen, dass sich die Lebensumstände unter der Autonomen Verwaltung zwar verbessert hätten, ihnen die Wasserknappheit aber Sorgen bereite. »Durch die Ernteausfälle mussten bereits viele Bäuer*innen ihre Ersparnisse ausgeben und sich verschulden, um ihre Tiere am Leben zu erhalten«, erzählen Landwirte, die gerade ihr Feld für die kommende Saison aufarbeiten.
Durch enorme Anstrengungen und logistischen Aufwand gelingt es der Selbstverwaltung gerade so, eine Mindestversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Jeder verfügbare Tankwagen wird genutzt, um den Wasserbedarf zu decken. 70 000 Tonnen Getreide wurden in den vergangenen Monaten an Landwirte verteilt. Die Landwirtschafts- und Bewässerungsbehörde stellt landwirtschaftliche Geräte bereit, um eine erfolgreiche Erntesaison zu ermöglichen.
Seit den 60er Jahren haben Bewässerungs- und Staudammprojekte der Türkei den Wasserverbrauch auf türkischer Seite deutlich erhöht und die Durchflussmenge nach Syrien verringert. Der daraus entstandene Konflikt verschärfte sich in den 80er Jahren, als die Türkei die neuen Dämme als Waffe gegen die syrische Unterstützung der PKK nutzte. »1987 wurde erstmals in einem Abkommen zwischen Syrien und der Türkei vereinbart, dass die Türkei mindestens 500 Kubikmeter Euphrat-Wasser pro Sekunde nach Syrien fließen lassen muss. In den letzten Jahren hielt sich die Türkei allerdings nie an dieses Abkommen«, erklärt der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger.
Die Türkei begann bereits 2015, Wasser als Waffe gegen Rojava einzusetzen, indem sie Flüsse, die durch Syrien fließen, so manipulierte, dass Wasser auf der türkischen Seite der Grenze zurückgehalten werden konnte. Ernteausfälle, erschöpfte Brunnen, mehr Mückenbrut und die dadurch folgende Ausbreitung von Krankheiten sind nur einige Auswirkungen des Wassermangels.
In einem Krankenhaus in Tel Tamr, einer Ortschaft am Fluss Khabur, arbeitet der Arzt Omar Mardo. Er berichtet von den Gesundheitsfolgen des Wassermangels: »Durchfall, Fieber und Erbrechen sind die häufigsten Symptome, die wir behandeln. Frisches Trinkwasser gibt es hier nur noch sehr wenig, so holen sich die Menschen Wasser von woanders. Oftmals ist es dann kontaminiert. Die Anzahl der Cholera-Ausbrüche wurde im Sommer so hoch, dass wir Patienten in Krankenhäuser anderer Städte verlegen mussten.«
Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie wirkt sich der Wassermangel gravierend auf die Sanitärversorgung in der Region aus. Auch wenn die Ausbreitung des Virus eingedämmt wurde, birgt dieses weiterhin eine Gefahr für viele ohnehin geschwächte Menschen. »Ohne vernünftige Hygiene ist die Eindämmung von Covid natürlich recht schwierig. Und auch sonst sind die meisten Symptome, die wir hier behandeln, dem Wassermangel geschuldet«, ergänzt Mardo.
Der Wassermangel hat außerdem großen Einfluss auf die Stromversorgung. Wasserkraftwerke, die genug Strom für die gesamte Region produzieren könnten, liegen teilweise still. Nahezu jede Stadt in Nord- und Ostsyrien leidet inzwischen unter täglichen Stromausfällen. Dies wirkt sich auch auf den Betrieb wichtiger Infrastruktur einschließlich der Gesundheitseinrichtungen aus.
Alternativen zu Wasserkraftwerken in Rojava wurden in der Vergangenheit immer wieder Ziele türkischer Luftangriffe. So bombardierte die Türkei am 20. November auch das Öl- und Elektrizitätswerk in der Nähe von Teqil Beqil. Nachdem Bewohner der umliegenden Dörfer die Einschläge gehört hatten, begaben sich mehrere Autos an den Ort der Bombardierung, um Verletzte zu bergen. Die Selbstverwaltung und lokale Aktivist*innen vermuten, dass die beiden letzten Angriffe den Ersthelfer*innen galten. Den Behörden zufolge kamen 13 Menschen ums Leben. Das Öl- und Elektrizitätswerk, das zuvor Strom für 14 Dörfer lieferte, ist nun komplett zerstört.
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