Äh, wo geht’s jetzt hin?

Männer trinken zu viel, Frauen sind zu vernünftig: In »Vorglühen« beschreiben die Indie-Musiker Jan Müller und Rasmus Engler ihre Indie-Jugend

  • Luca Glenzer
  • Lesedauer: 3 Min.

Vorglühen – das kann einerseits die durch Zufluss von Alkohol beförderte soziale Einstimmung auf einen langen Abend, andererseits das Warmwerden der Röhren eines Gitarrenverstärkers meinen. Im Falle des Romans »Vorglühen« von Jan Müller und Rasmus Engler meint es wohl beides, denn sowohl das Musikmachen als auch der gemeinsam inszenierte Alkoholkonsum nehmen darin einen prominenten Platz ein.

Die beiden Autoren – die man jenseits des Literaturbetriebs als Musiker der Indie-Rock-Bands Tocotronic (Müller) und Herrenmagazin (Engler) kennt – erzählen in ihrem Debütroman die um die Jahrtausendwende angesiedelte Geschichte des 20-jährigen Albert. Gerade erst aus der oberbergischen Einöde nach Hamburg gezogen, befindet er sich alterstypisch mitten in einem Selbstfindungsprozess, der im Wesentlichen durch Punk, eine allgemeine Orientierungslosigkeit und die erste Liebe geprägt ist. Dabei soll er doch eigentlich studieren, doch wird ihm schon kurz nach seiner Ankunft bewusst, dass das Studium bloß ein sozial verträglicher Vorwand war, um der provinziellen Tristesse zu entfliehen und lästige Nachfragen seitens der Familie im Keim zu ersticken. Statt im Hörsaal zu pauken, probt er nun lieber mit seiner Band und schlägt sich auf St. Pauli die Nacht um die Ohren.

Das Buch lebt von seinem trockenen, lakonischen Sprachwitz, der mehr als nur einmal an die Herr-Lehmann-Reihe des Musikerkollegen Sven Regener erinnert. Die Tendenz zum Gedanklich-im-Kreise-Drehen und zum Overthinking teilt Protagonist Albert jedenfalls mit Frank Lehmann, dem Antihelden Regeners, der ebenfalls einen ausgeprägten Hang zum Alkoholismus und eher passiven Müßiggang pflegt. Das aufkommende Identifikationspotenzial resultiert in beiden Fällen nicht zuletzt aus ihrer Unbeholfenheit, mit der sie mitunter durch ihren Alltag stolpern und ihr Leben dabei mehr schlecht als recht meistern.

Gelegentlich ermüdend zu lesen sind die breit ausgetretenen Alkohol-Exzesse der Protagonisten – hier bewusst in der männlichen Form –, die zwar womöglich einen authentischen Eindruck der damaligen Szenerie vermitteln, dadurch erzählerisch aber nicht zwangsläufig an Spannung gewinnen. Den Frauen im Buch bleibt oft nur die Rolle als vernunftbegabte Antipoden, die die Männerclique zu Räson und Mäßigung rufen.

Angesprochen auf diese manchmal arg klischeehaft anmutende Rollenverteilung, antwortete Rasmus Engler kürzlich in einem Interview, dass sie aller Klischeehaftigkeit zum Trotz seiner Einschätzung nach das Geschlechterverhältnis des beschriebenen Kontexts durchaus realistisch abbilde. Damit liegt er möglicherweise gar nicht so falsch, dennoch hat man das Gefühl, dass sich insbesondere die männlichen Protagonisten dabei eigentlich auch ganz wohlfühlen und an keiner Stelle ein Riss in der Fassade erscheint, den man erzählerisch durchaus hätte mit einbinden können.

Aller kleinen Schwächen zum Trotz bleibt »Vorglühen« am Ende eine unterhaltsame und mitunter urkomische Geschichte, mit der sich Jan Müller und Rasmus Engler in den gleichermaßen illustren wie opulenten Kreis schreibender Indie-Musiker*innen wie Dirk von Lowtzow, Christiane Rösinger, Frank Spilker, Jochen Distelmeyer, Jens Friebe, Schorsch Kamerun, Almut Klotz und Dutzender weiterer einreihen.

Jan Müller und Rasmus Engler: Vorglühen. Ullstein, 384 S., geb., 21,99 €.

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