Warum die Konjunktur bisher besser als erwartet läuft

Umsatzwachstum, Beschäftigungsrekord, Konsum- und Exportboom: Volkswirtschaftlich macht sich keine Krise bemerkbar

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Ausgerechnet das nicht für seinen Unterhaltungswert bekannte Statistische Bundesamt überraschte Ende Oktober die bundesdeutsche Öffentlichkeit mit einer freudigen Nachricht: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sei im dritten Quartal um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal gestiegen, preis-, saison- und kalenderbereinigt. Einen Monat später wurde die Schnellmeldung nach detaillierterer Berechnung revidiert: Das BIP sei sogar um 0,4 Prozent gewachsen. Damit lag die Wirtschaftsleistung erstmals über dem Niveau vor Beginn der Coronakrise – dabei legten die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit anhaltender Corona-Pandemie, gestörten Lieferketten, steigenden Preisen und dem Krieg in der Ukraine andere Ergebnisse nahe. »All jene, die Deutschland und Europa in eine tiefe Rezession stürzen sahen, müssen bitter enttäuscht sein«, ätzte Martin Moryson, Chefvolkswirt der Deutsche-Bank-Investmenttochter DWS.

Haupttreiber war, auch dies eine Überraschung, der private Konsum und das trotz rekordhoher Inflationsrate. Im Windschatten der Wachstumszahlen hellten sich zuletzt auch die Prognosen der Konjunjunkturforscher und Analysten auf. 2023 könnte auch an den Finanzmärkten ein Jahr der Entspannung werden, schreibt die vor allem im Mittelstand verankerte Commerzbank. Schließlich dürfte die Inflationsrate in diesem Jahr spürbar sinken.

Auch in der Wirtschaft ist der Blues verstummt. Der Geschäftsklima-Index des Münchner Ifo-Instituts stieg zuletzt zwei Mal. Das Barometer gilt als wichtigster Frühindikator für die Konjunktur in Deutschland.

Insbesondere der Arbeitsmarkt sorgt für gute Laune: Die Zahl der Berufstätigen ist im Jahresdurchschnitt 2022 um 1,3 Prozent auf 45,6 Millionen Menschen gestiegen, wie das Statistische Bundesamt jetzt vermeldete. Damit wurde die bisherige Höchstzahl aus dem Vor-Pandemie-Jahr 2019 von 45,3 Millionen übertroffen. Und selbst die Zahl der Beschäftigten im Niedriglohnsektor sinkt, wenngleich von einem hohen Sockel aus. Der Fachkräftemangel gilt inzwischen als eine der größten Herausforderungen, was zugleich aber die Dynamik der Wirtschaft illustriert. Über alle Berufe hinweg wird derzeit eine halbe Million Fachkräfte gesucht – Tendenz steigend. Besonders große Lücken sieht das unternehmensnahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln in der Sozialarbeit, der Erziehung, der Pflege, der IT und dem Handwerk.

Zum Stimmungswandel trägt auch die besonders exportorientierte deutsche Industrie bei. Sie profitiert vom ungebrochenen globalen Wachstumstrend. Trotz der coronabedingten Langsamfahrt der Konjunkturlokomotive China erwarten der Internationale Währungsfonds und der Industrieländerclub OECD ein Wachstum der realen Wirtschaftsleistung um die drei Prozent in diesem und gut zwei Prozent im kommenden Jahr. Dadurch brummt auch der Welthandel weiter. Als wichtiger Frühindikator gilt hierfür der Containerumschlag im Seeverkehr: »Insgesamt ist er weiterhin recht stabil aufwärtsgerichtet«, sagt Torsten Schmidt, Konjunkturexperte des RWI-Wirtschaftsforschungsinstituts in Essen.

Richtig rasant läuft es für die Autokonzerne: Hohe Preise bescheren weiter Rekordgewinne. Beim Gewinnwachstum zeigten die deutschen Hersteller der Konkurrenz aus den USA und Fernost die Rücklichter: Der Gewinn der hiesigen Autobauer kletterte um 58 Prozent, im Durchschnitt erzielten alle von der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) untersuchten Hersteller ein Gewinnplus von 28 Prozent. Mercedes-Benz und Volkswagen waren zudem im dritten Quartal die gewinnstärksten Autokonzerne weltweit.

Auch anderen Branchen geht es blendend. Fast alle Dax-Unternehmen legten beim Umsatz zu – nur ein einziges verzeichnete niedrigere Umsätze als im Vorjahreszeitraum. Das dritte Quartal schlossen die Dax-Konzerne mit einem Umsatzplus von insgesamt 23 Prozent erneut auf Rekordniveau ab – das stärkste Wachstum seit mindestens zehn Jahren. Das sind Ergebnisse einer aktuellen EY-Analyse. Auch beim Gewinn wurde ein neuer Rekordwert erreicht: Der operative Gewinn kletterte um 28 Prozent auf 44,7 Milliarden Euro und war damit so hoch wie nie zuvor in einem dritten Quartal.

Noch im Frühjahr hatten gewerkschafts- wie unternehmensnahe Ökonomen die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg heraufziehen sehen, sollte Deutschland kein russisches Erdgas mehr beziehen. Mittlerweile sind die Gasspeicher gefüllt, die Industrie hat ihren Verbrauch heruntergefahren, und der befürchtete Kaskadeneffekt blieb aus. Die jüngsten Daten nähren die Hoffnung, dass die Winter-Rezession zumindest milder als zeitweilig erwartet ausfallen wird.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -