- Kommentare
- Lützerath
Wir haben schon jetzt gewonnen
Der Protest gegen die Abbaggerung des Ortes Lützerath durch den Energiekonzern RWE steht für die Hoffnung auf eine andere Zukunft als die Klimahölle
Manchmal frage ich mich, warum Leute hierherkommen, warum ich hierhergekommen bin. Nach Lützerath – ein Ort im Rheinischen Braunkohlerevier, der schon seit über zwei Jahren verschwunden sein sollte. Ein Ort, dessen Umgebung der Definition von Mordor aus Tolkiens »Herr der Ringe« entspricht: ein riesiges Loch, die größte CO2-Quelle Europas. Ein Ort, der dem Untergang geweiht ist, weil die anscheinende »Rechtslage« verlangt, dass er abgebaggert wird. Dabei ist die wissenschaftliche Lage klar: Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung brauchen wir die Kohle unter Lützerath nicht, um die Energieversorgung in Deutschland sicherzustellen. Nötig ist, dass sie im Boden bleibt, damit die von der Regierung gesteckten Klimaziele eingehalten werden.
Es ist ein Trauerspiel, dass RWE sich für den Profit jeden Tag Meter für Meter näher an Lützerath ranbaggert, momentan nur noch etwa 30 Meter vom Ortseingang entfernt. Trotzdem sorgt jetzt eine Regierung, an der die Grünen beteiligt sind, dafür, dass mehrere Polizei-Hundertschaften bereitstehen, um das Kapital gegen den Widerstand der Kohlegegner*innen zu verteidigen. Obwohl der Paragraf 48 des Kohleausstiegsgesetzes, auf dem die Räumung fußt, rechtswidrig ist. Und den Tagebau Garzweiler II brauchen wir seit mindestens 1994 nicht mehr.
Deswegen stehen Tausende Menschen immer wieder in Lützerath. Weil sie die Ungerechtigkeit und Ignoranz nicht mehr aushalten. Weil sie sich nicht einreden lassen, dass es ausreichen soll, nur kalt zu duschen, vegan zu essen und nie mehr Auto zu fahren, während Dörfer abgebaggert werden. Wir, die wir in Lützerath protestieren, spüren die Zerstörung jeden Tag: Vom Feinstaub haben wir einen rauen Rachen. Mit Baggergeräuschen und Flutlicht schlafen wir ein und wachen wieder auf. Der Polizeihelikopter schwebt immer wieder über uns.
Wir stellen uns dagegen in der Hoffnung, dass wir den Energieriesen RWE, einen der 100 größten Klimaverseucher, aufhalten können. Hoffnung auf eine andere Zukunft als die Klimahölle. Das bedeutet revolutionäre Arbeit: Hoffnung dort zu sehen, wo andere sie nicht erkennen. Netzwerke zu schaffen, wo Menschen zusammenkommen. Hier im Angesicht der Zerstörung sind mutige Leute von allen Kontinenten, die sich in Bangladesh, Kurdistan, Uganda oder Kolumbien gegen fossile Energien stellen und ihr Leben riskieren. Und das in einer Zeit, da das kapitalistische System vor den gleichzeitigen Krisen versagt – ob Corona, Krieg oder Klima.
Wir haben es geschafft, diesen Ort zu erhalten, wir haben Demonstrationen, Aktionen, Bündnistreffen, Festivals und Gottesdienste organisiert, Delegationen nach ganz Deutschland und in die Welt gesandt und von unserer Hoffnung erzählt. Damit haben wir verhindert, was RWE eigentlich wollte – dass seine Hinhaltestrategie uns auslaugt. Im Gegenteil: Die letzten zwei Jahre haben wir genutzt, um unsere Netze zu spannen, neue Freund- und Kameradschaften zu knüpfen, uns über die üblichen Zirkel hinaus zu organisieren. Um die Fehler des Systems, in dem wir aufgewachsen sind, wie Rassismus und Sexismus, zu analysieren und zu bekämpfen.
Ich hätte nie gedacht, dass Lützerath mir eine unglaublich inspirierende Freundin schenkt, die mich aus Namibia anruft, weil hier die ersten Bäume gefällt wurden. Oder den Kontakt zu einer Bauernfamilie aus dem Nachbardorf, die mir anbietet, bei ihr zu schlafen, sobald ich eine Pause brauche. Diese Netze werden weiter wachsen, gerade in den nächsten Wochen der Räumung werden mehr und mehr Menschen sich uns anschließen, um diesen Ort zu erhalten. Die RWE-Aktie ist gefallen, international machen sich Leute bereit für einen zweiten Hambi-Moment. Egal, was passiert – das wird uns niemand mehr nehmen. Wir haben schon jetzt gewonnen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.