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Klimaschutz im historischen Stadtkern
Auch Kirchen könnten Solardächer bekommen, aber diese Vorstellung gefällt nicht jedem
Als 1990 die Freizügigkeit beim innerdeutschen Reisen wiedergewonnen war, machten viele Besucher aus dem Westen eine für sie interessante Entdeckung: Die Bausubstanz in Ostdeutschland war vielerorts brüchig und sanierungsbedürftig. Das hatte man zumindest schon geahnt. Aber die Vielzahl und der Umfang dessen, was an historischer Bausubstanz überhaupt noch vorhanden war, löste Begeisterung aus. Das kannten die Besucher aus ihrer westdeutschen Heimat nicht. Dort war in den 50er, 60er und 70er Jahren nach großflächigen Abbrüchen etwas entstanden, was man später nur noch Bausünde nennen konnte.
Die brandenburgische Arbeitsgemeinschaft »Städte mit historischem Stadtkern« konnte auf Grundlage dieser Tatsache seit 30 Jahren ihre Programme entwickeln und umsetzen. Am Freitag stellte dieser Bund von 31 Kommunen bei seiner Jahrespressekonferenz in Potsdam das »Denkmal des Monats« insofern intensiver vor als sonst, als die Pressekonferenz in genau diesem Denkmal stattfand, nämlich im historischen Rathaus des Stadtteils Babelsberg. Das alte Rathaus an der Ecke Breischeidt- und Liebknecht-Straße ist heute, was es schon zu DDR-Zeiten war, ein Klub- und Kulturhaus.
Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU) lobte bei dieser Gelegenheit sein Ministerium für die finanzkräftige Unterstützung der Denkmalsanierung in den kleinen Städten des Bundeslandes. Im Vorjahr waren Millionenbeträge unter anderem für das Franziskanerkloster in Gransee, das Zentrum von Beeskow und die Neustadt von Lübbenau locker gemacht worden. Laut Beermann sind Denkmäler oder auch Denkmalensembles für die Umgebung identitätsstiftend und für Besucher anziehend.
Wie alle übrigen Redner rückte auch Beermann den Klimaschutz ins Zentrum seiner Darlegungen, weil die »Enkeltauglichkeit« nur dann erreichbar sei, wenn »wir gemeinsam dem Klimawandel entgegentreten« und es im Bundesland schafften, bis 2045 klimaneutral zu werden. Er verwies in diesem Zusammenhang auf Förderangebote der EU, des Bundes und des Landes. Denkmalschutz und Energiewende gingen eine interessante Beziehung ein. Denn es sei anspruchsvoll, »in die eng bebauten steinernen Strukturen unserer historischen Städte« die Technologie des Klimawandels zu implantieren. Dass diese Vorgänge bei den Einheimischen keineswegs auf ungeteilte Zustimmung stoßen, war bei ihm indirekt zu erfahren, als er sagte, dass solche Maßnahmen im Gebäudebereich »für manchen schwer vorstellbar« seien.
Dass es offenbar Furcht vor einer entstellenden oder sogar zerstörerischen Wirkung dieser Städtebaupolitik gibt, war bei der Rede von Frank Steffen zu erahnen, dem Bürgermeister von Beeskow und Vorsitzenden der AG »Städte mit historischem Stadtkern«. Zwar bekannte auch er sich zur »zentralen Rolle« von Klimaschutz und Nachhaltigkeit, doch warnte er auch davor, »die gestalterische Qualität aufzugeben«. Niemand käme auf den Gedanken, sich in seinem edel ausgestatteten Wohnzimmer eine High-Tech-Heizung aufzustellen. Sollte eine moderne Luft-Wärme-Pumpe wirklich vor einem historischen Gebäude stehen? Bei aller Begeisterung solle man sich die Frage stellen: »Macht jede Anlage ökologisch wirklich Sinn?« Dabei nannte Steffen Balkonsolaranlagen. Er verwies auf die Idee, die Dächer mit Solaranlagen quasi noch einmal abzudecken. Für ihn werde der tatsächliche energetische Effekt »überbewertet«.
Sein Stellvertreter Frederik Bewer, Bürgermeister von Angermünde, hingegen steht uneingeschränkt hinter der Idee der Solarstromproduktion auch auf historischen Dächern. Er forderte die Kirchen auf, ihren Widerstand dagegen aufzugeben und »etwas für die Bewahrung der Schöpfung zu tun«.
Keine Rolle spielte, dass der Sinn von Städten nicht in erster Linie in liebevoll sanierten Stadtzentren besteht, sondern darin, Lebens- und Arbeitsort für Menschen zu sein. Vor diesem Hintergrund war das, was vor über 30 Jahren mit der politischen Wende einsetzte, für die märkischen Klein- und Mittelstädte wie übrigens auch für die Großstädte Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg/Havel eine Katastrophe und ihr Bevölkerungsverlust nur noch mit dem nach dem 30-jährigen Krieg zu vergleichen. Hunderttausende verloren ihre Existenzgrundlagen, vor allem die Jugend zog weg. Alle Städte Brandenburgs wuchsen zu DDR-Zeiten, später wurden sie oftmals zu schrumpfenden Städten in Rentnerregionen. Das kam jetzt immerhin indirekt zur Sprache. Mehrere Bürgermeister bestätigten, dass der Bevölkerungsschwund sich in den vergangenen Jahren nicht mehr fortgesetzt habe und man teilweise schon wieder von leicht wachsenden Kommunen sprechen könne. Fast triumphierend äußerte der Bürgermeister von Luckau, Gerald Lehmann, das Statistische Landesamt werde mit seiner Prognose, dass sich der »Einwohnereinbruch« fortsetzen werde, »nicht recht behalten«.
Ohnehin müssen Städte im Berliner Speckgürtel oder mit einem günstigen Regionalbahnanschluss ein Absinken der Bevölkerungszahl schon lange nicht mehr fürchten, sei es mit, sei es ohne historischen Stadtkern. Sie wurden inzwischen von großstadtmüden Berlinern entdeckt und wachsen auf der Grundlage der Funktion »Schlafstadt«. Manche – wie Hennigsdorf, Teltow und Ludwigsfelde – entwickelten inzwischen auch wieder eine achtbare gewerbliche Struktur. In Luckau gebe es sogar noch bezahlbaren Baugrund für Menschen, die sich den Traum vom Eigenheim erfüllen wollten, warb Bürgermeister Lehmann.
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