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Juri Knorr soll das Spiel der DHB-Auswahl lenken
Sieg und Niederlage für die deutschen Handballer vor der WM
Die düsteren Mienen der deutschen Handballer verhießen nichts Gutes. Auch Juri Knorr schaute, nachdem die letzte Sirene in der Bremer Arena ertönt war, recht bedröppelt drein. Die Nationalmannschaft hatte beim vorletzten Test für die Weltmeisterschaft am Sonnabend zwar eine gute Leistung abgeliefert. Auch Knorr, der 22-jährige Regisseur, hatte in vielen Szenen sein enormes Potenzial aufblitzen lassen. Aber es endete wie so oft in den letzten Jahren mit einer Niederlage.
Das Team von Bundestrainer Alfred Gislason verspielte eine klare Führung und verlor mit 30:31 (18:14)-Toren gegen Island, einen der Mitfavoriten beim Weltchampionat vom 11. bis 29. Januar in Polen und Schweden. Deshalb trug der Coach seine kritische Analyse danach mit versteinerter Miene vor und nahm sich neben anderen auch speziell seinen jungen Spielmacher vor. Knorr habe ein sehr gutes Spiel gemacht in den ersten 40 Minuten, sagte Gislason. »Aber er macht unglaublich teure Fehler im Angriff.«
In der Tat sah es nach leichtsinnigen Aktionen aus, als zwei Fehlpässe Knorrs in den Schlussminuten von den Isländern bestraft wurden. Auf der anderen Seite hatte er zuvor aus dem zentralen Rückraum mit seiner überzeugenden Spielsteuerung die klare Führung erst ermöglicht. Seine sechs Treffer und zahlreichen Assists für den Kreisläufer und seine Nebenleute unterstrichen eindrucksvoll, dass er aktuell das größte Versprechen des deutschen Handballs darstellt. Das untermauerte er sogleich am Sonntag in Hannover: Im letzten Länderspiel vor der WM warf Knorr 13 Tore – und das DHB-Team revanchierte sich beim 33:31 gegen Island für die Niederlage tags zuvor. Bundestrainer Alfred Gislason stellte fest: »Der erste Anzug passt sehr gut, aber die Breite fehlt.«
Die noch junge Karriere des Hochbegabten erscheint von heute aus betrachtet fast logisch. Vater Thomas Knorr war ebenfalls Nationalspieler und viermal Deutscher Meister mit dem THW Kiel. Er förderte seinen Sohn, der wohl auch eine Karriere als Fußballprofi hätte starten können – und riet ihm 2018, in die berühmte Jugendakademie des FC Barcelona zu wechseln.
Der gebürtige Flensburger war also gerade volljährig, als er seinem großen Vorbild, dem Isländer Aron Palmarsson begegnete: »Er hat den saubersten Spielstil und die elegantesten Bewegungen. Das mag ich.« Aber er trainierte plötzlich auch mit vielen anderen Stars. Der erste Tag sei »schon extrem aufregend« gewesen, erzählte Juri Knorr später. »Erst am Abend, als ich im Bett lag, konnte ich das alles realisieren.«
Früher als gedacht, schon ein Jahr später, ergriff er die Chance, als Profi in der Bundesliga aufzulaufen. Bei GWD Minden erhielt Knorr unter Trainer Frank Carstens viele Einsatzzeiten und erprobte sich auf höchstem Niveau. Aufgrund starker Leistungen debütierte er bereits im November 2020 in der DHB-Auswahl – und spielte die WM 2021 in Ägypten.
Dort war der junge Mann mit dem Zopf, anders als heute, noch nicht erste Wahl. Als er in der Vorrunde gegen Spanien ins Spiel kam, gelangen ihm dennoch sensationelle Szenen in Serie. »Ich war wunderbar im Flow, bin dann aber ein wenig übermütig geworden«, erinnerte er sich später. Es kamen zwei Fehlpässe – und die Spanier drehten die Partie. Gislason tobte. Deutschland verpasste das Viertelfinale. Aber Knorr erklärte rückblickend, dass er keine andere Wahl habe, als so zu agieren. »Tatsächlich aber würde ich diese Pässe immer wieder spielen«, sagte er mit Blick auf sein WM-Debüt. »Weil ich das Risiko in meiner Art, Handball zu interpretieren, auch brauche. Sonst ist es nicht besonders.«
Wenn auch Knorrs Auftritt in Bremen den gleichen Leichtsinn wie 2021 suggeriert: Seine Leistungen in der zurückliegenden Bundesliga-Hinserie sprechen eine andere Sprache. Er lernte, als er 2021 aus Minden zu den Rhein-Neckar Löwen wechselte, offensichtlich sehr viel von der Spielmacher-Legende Andy Schmid, insbesondere für das Spiel mit dem Kreisläufer. Und nun, da Schmid zurück in der Schweiz ist, begeistert er die Fachleute mit teils sensationellen Partien.
Knorrs Spiel ist immer noch sehr mutig, aber gleichzeitig deutlich ruhiger, abgezockter und kalkulierter geworden. Seine Spielübersicht ist fantastisch. Zugleich ist er so torgefährlich, wie es in der deutschen Schaltzentrale zuletzt Michael Kraus war, der Weltmeister von 2007. Damit schafft er wichtige Räume für alle anderen.
In Katowice, wo Deutschland in der Vorrunde auf Katar, Serbien und Algerien trifft, wird sehr viel von seinem jungen Regisseur abhängen – noch mehr vom Defensivverhalten. Wie weit das führt, ist völlig offen. Aber sicher ist, dass Knorr eine goldene Zukunft bevorsteht. Die meisten Spielmacher erleben ihre besten Zeiten erst nach ihrem 30. Geburtstag.
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