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Ansage der Post-Beschäftigten
Ines Schwerdtner hält die Forderung der Gewerkschaft in der Tarifauseinandersetzung bei der Post für angemessen
Das Ergebnis nach der Eröffnungsrunde bei der Tarifauseinandersetzung der Beschäftigten der Deutschen Post AG und dem Konzern war erwartbar: Die Arbeitgeber lehnen die Forderung nach 15 Prozent mehr Lohn ab und legen ihrerseits kein Angebot vor. Es geht also am 18. Januar in die zweite Runde. Kommt es dort nicht zu einem Kompromiss, könnten Warnstreiks folgen.
Den Briefträgerinnen und Postboten kommt in diesem Januar eine besondere Rolle zu: Sie läuten das Streikjahr mit einer saftigen Forderung ein, die die Arbeitgeberseite entsprechend als »realitätsfern« bezeichnet. Tatsächlich sind die 15 Prozent bei einer Laufzeit von einem Jahr und 200 Euro mehr pro Ausbildungsjahr für Azubis eine Ansage der Beschäftigten. Bei der vergangenen Tarifverhandlung sprangen gerade einmal zwei Prozent heraus; dazwischen liegen allerdings auch eine Pandemie und eine Rekordinflation.
Die Deutsche Post AG gehört zu den wenigen Gewinnern der Pandemie. 2022 machte der Konzern 8,4 Milliarden Euro Gewinn. Entsprechend stieg auch die Arbeitsbelastung der Angestellten, nicht aber ihr Lohn. Hinzu kommen immer mehr ungeregelte Beschäftigungsverhältnisse, die im Zuge der Aufsplitterung in Subunternehmen den Lohndruck untereinander nur erhöhen. Die Forderungen der Beschäftigten sind vor diesem Hintergrund nicht realitätsfern, sondern angemessen. Verdi fordert nach der Befragung der Beschäftigten also einen Inflationsausgleich sowie einen Anteil an den Krisengewinnen und geht damit erstmals seit Jahren wieder in die Offensive.
In den kommenden Monaten wird es weitere Auseinandersetzungen geben, für die der Abschluss bei der Post eine Vorbildfunktion einnehmen könnte. Wenn dann nämlich im öffentlichen Dienst mit 2,7 Millionen Beschäftigten, bei der Deutschen Bahn AG oder im Handel weitere Warnstreiks möglich sind, könnte man sich an den kämpferischen Kolleginnen und Kollegen in Schwarz-Gelb orientieren. Anders als beim Abschluss der IG Metall, der die Lohnsteigerung von 8,5 Prozent über zwei Jahre hinweg sogar aufsplittet, ist die Forderung von Verdi mit 10,5 Prozent für den öffentlichen Dienst ein wirklicher Stärketest der Gewerkschaft und sogar historisch.
Zuletzt forderten deutsche Gewerkschaften nach Ölkrise und Inflation zu Beginn der 1970er Jahre vergleichbare Lohnsteigerungen und konnten diese auch durchsetzen. Vorangegangen war eine konzertierte Aktion zwischen Bundesregierung, Arbeitgeberseite und Gewerkschaften 1967. Gerade erleben wir ein Revival dieses Zusammenkommens in der Krise. Bereits damals hatte man vor einer Lohn-Preis-Spirale gewarnt und damit versucht, den Beschäftigten und den Gewerkschaften höhere Lohnforderungen auszureden. Doch anders als in den 1970ern ist der Organisationsgrad der Gewerkschaften zurückgegangen. Zwischen diesem historischen Moment und den heutigen Verhandlungen liegen außerdem gut 40 Jahre neoliberale und anti-gewerkschaftliche Politik.
Es wird also nicht einfach sein, diesen Trend umzukehren. Doch in der Krise bleibt den Gewerkschaften keine Wahl, wenn sie den Mitgliederverlust stoppen und zugleich in ihrem Kerngeschäft, den Tarifverhandlungen, nennenswerte Siege erringen wollen.
Die Auseinandersetzung bei der Post ist aber nicht nur für Verdi oder die Gewerkschaftsbewegung insgesamt wichtig. Auch gesellschaftlich bedeutet sie, dass Krisengewinne nicht notwendig auf wenige Aktionäre ausgeschüttet werden müssen, sondern umverteilt werden können.
Die Deutsche Post steht wie der öffentliche Dienst im Ganzen außerdem für einen gesellschaftlichen Bereich, der seit Jahrzehnten dem Privatisierungswahn erlegen ist. Umso wichtiger, dass dem Kampf um höhere Löhne auch eine politische Auseinandersetzung darüber folgt, was uns die öffentliche Daseinsvorsorge eigentlich wert ist. Streiks sind dafür ein guter Anfang.
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