Großkonflikt um höheres Rentenalter

Frankreichs Gewerkschaften und Linksparteien kündigen Widerstand gegen Pläne der Regierung an

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

An diesem Dienstag will die französische Premierministerin Elisabeth Borne ihre genauen Pläne für eine Rentenreform vorlegen. Diese soll nach bisherigem Fahrplan in zwei Wochen vom Ministerrat verabschiedet und dann dem Parlament zugeleitet werden, wo sie zunächst in den Ausschüssen und im Februar zwei Wochen lang im Plenum der Nationalversammlung behandelt wird.

Nach Konsultationen mit den Gewerkschaften, die sich durchweg ablehnend äußerten, verhandelte die Regierungschefin in der vergangenen Woche mit der rechten Oppositionspartei Die Republikaner (LR), um die Aussichten für eine Annahme der Reform im Parlament auszuloten. Da das Regierungslager dort nicht mehr wie noch während der ersten Amtszeit von Präsident Emmanuel Macron über die absolute Mehrheit verfügt, ist sie für die Verabschiedung von Gesetzen auf die Unterstützung von Teilen der Opposition angewiesen. Wenn sie die nicht bekommt, bleibt nur der umstrittene Ausnahmeparagraf 49.3 der Verfassung, dem zufolge eine Abstimmung mit der Vertrauensfrage verbunden werden kann.

Dieses Verfahren hat Borne im vergangenen Herbst bereits mehr als zehnmal mit Erfolg angewendet. Die in diesem Zusammenhang von der linken Bewegung La France insoumise und der rechtsextremen Rassemblement National eingebrachten Misstrauensanträge fanden nie die nötige Mehrheit.

Allerdings erlaubt die Verfassung seit 2008 nur noch einmal pro Sitzungsperiode des Parlaments den Einsatz des Ausnahmeparagrafen, es sei denn, es handelt sich um einen notwendigen Nachtragshaushalt. Borne könnte die Rentenreform per Nachtragshaushaltsgesetz für die Sozialversicherung durchs Parlament schleusen, zieht dieses bereits ausgiebig genutzte, demokratisch höchst fragwürdige Manöver aber nur für den Notfall in Betracht.

Da alle Gewerkschaften, die im Bündnis Nupes zusammengeschlossenen linken Oppositionsparteien wie auch die rechtsextreme Rassemblement National vor allem die im Zuge der Reform geplante Anhebung des Renteneintrittsalters von derzeit 62 auf 65 Jahre entschieden ablehnen, bleiben als möglicher Mehrheitsbeschaffer nur die Republikaner. Die Rechten sind nicht abgeneigt, diese Rolle zu spielen und sich so nach dem dramatischen Absturz bei den Wahlen 2017 und 2022 wieder in der Öffentlichkeit als mögliche Regierungspartei zu positionieren.

Die LR schlagen, da Umfragen zufolge vier von fünf Franzosen das Rentenalter von 65 Jahren ablehnen, eine stufenweise Anhebung bis 2032 auf schließlich 64 Jahre vor. Das Regierungslager stellt sich auf einen solchen Kompromiss offenbar ein. So sagte Präsident Macron in einem Interview, die ursprünglich von ihm geforderten 65 Jahre seien »kein Totem«. Premierministerin Borne wiederum versicherte, dass Beschäftigte, die besonders früh ins Arbeitsleben eingetreten sind, und auch Arbeiter aus körperlich besonders strapaziösen Berufen früher als zur Regelaltersgrenze Rente beziehen können.

Die Republikaner fordern als Preis für ihre Unterstützung von der Regierung außerdem eine Erhöhung der Mindestrente von heute 950 auf 1200 Euro. Wegen der damit verbundenen Kosten in Milliardenhöhe waren Macron und Borne lange zögerlich, doch ein Interview des Regierungssprechers und Budgetministers Gabriel Attal in der jüngsten Ausgabe der Sonntagszeitung »JDD« macht deutlich, dass man die höhere Mindestrente zu akzeptieren bereit ist, wenngleich dies erst für die künftigen Rentner vom Jahre 2032 an gelten soll.

Dies würde eine Erhöhung der Beiträge vermeiden, aber eine Verlängerung der Beitragsdauer bis zum Jahr 2035 auf 43 Jahre bedeuten. »Das ist ein möglicher Weg, denn so kann die Reform schon ab 2030 die Wiederherstellung des Gleichgewichts des Rentensystems sichern«, betonte Attal.

Doch im gegenwärtig angespannten sozialen Klima, das durch beispiellosen Kaufkraftverlust angesichts von Inflation und Energiekrise geprägt ist, dürfte sich das Ringen um die Rentenreform nicht nur im Parlament abspielen, sondern auch auf der Straße. So war es schon Ende 2019 bei Macrons erstem Versuch, die ihm besonders am Herzen liegende Rentenreform durchzusetzen. Nach wochenlangen Streiks und machtvollen Demonstrationen musste er die Reform im Februar 2020 zurückziehen, wobei ihm die Corona-Pandemie zur Begründung zupass kam.

Auch jetzt haben alle großen Gewerkschaften und die linken Oppositionsparteien wieder Kampfmaßnahmen gegen die Rentenpläne angekündigt. Am Wochenende meldeten sich auch die »Gelbwesten« mit spontanen Demonstrationen zurück und kündigten an, dass sie beim Kampf gegen die Rentenreform »mitmischen« wollen. Selbst Laurent Berger, Vorsitzender der in der Vergangenheit oft kompromissbereiten Gewerkschaft CFDT, sprach am Wochenende in der Zeitung »Le Parisien« von einem sich abzeichnenden »Flächenbrand«. Die Gewerkschaft CGT fordert eine »gute Rente für alle« und die Rückkehr zu dem 1981 unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand auf 60 Jahre festgesetzten Renteneintrittsalter. Das wurde dann 2000 unter dem rechten Präsidenten Nicolas Sarkozy auf die heutigen 62 Jahre heraufgesetzt.

Die Kommunistische Partei schlägt eine »große nationale Debatte« über die Rentenfrage vor und sammelt Unterschriften für ein Referendum gegen die Reformpläne. Auch die Kommunisten unterstützen die Forderung nach Rente ab 60 und rechnen vor, wie das durch eine gerechtere Verteilung der Reichtümer finanziert werden kann.

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