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»Ich möchte, dass sich die Menschen vertragen«
Der Antiquitätenhändler Heinz Amann über den Bau der Mauer, Fidel Castro und Samoware aus Russland
Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für Samoware entdeckt?
Heinz Amann ist in der Nähe des Flughafens Tempelhof in Berlin geboren. Seit 40 Jahren betreibt er im Stadtteil Charlottenburg einen Antiquitätenhandel. In seinem Geschäft finden sich noch Samoware mit Stempeln aus der Zarenzeit.
Das war Ende der 70er Jahre, weil mich ein Bekannter darauf aufmerksam machte, dass es überall in der Sowjetunion Samoware zu kaufen gibt. Er meinte, es seien schöne Teile, und ich sollte sie mir anschauen. Ich hatte damals in meinem Antiquitätengeschäft Möbel und Kleinkram, vor allem englische Möbel, die ich selbst mit meinem eigenen Lkw aus England geholt hatte. »Samoware«, meinte er, »passen doch gut zu den Möbeln.«
Seit wann sind Sie in Ihrem Beruf?
Ich bin seit über 40 Jahren Versteigerer für Möbel und Antiquitäten und ebenso lange Antiquitätenhändler. Seit 30 Jahren vereidigter Versteigerer für alles.
Waren Sie schon immer hier in diesem Geschäft tätig?
Ich hatte zuvor ein anderes Antiquitätengeschäft, auch in Berlin-Charlottenburg, bin dann aber hierher in die Marburger Straße umgezogen. Hier bin ich jetzt seit 40 Jahren ansässig.
Sind Sie eher sesshaft oder eher reiselustig, etwa um schöne Dinge aufzufinden?
Ich bin viel herumgereist in Europa und habe mich für alles Mögliche interessiert. Meine Reisen haben mich unter anderem nach Polen, Italien und in die Türkei geführt.
Auch nach Russland beziehungsweise in die damalige Sowjetunion?
Ja, auch.
Von dort haben Sie die Samoware mitgebracht?
Zuerst kamen vier Studenten, die an der Lumumba-Universität in Moskau studiert hatten. Sie kamen nach Westberlin und haben verschiedene Dinge mitgebracht, die sie eintauschen wollten, um zum Beispiel Jeans und Nylonstrumpfhosen, »Nylons« sagten wir damals, kaufen zu können. Die haben sich also bei mir umgeguckt und dann gesagt, Samoware könnten sie auch mitbringen. Sie brachten mir bald darauf antike Samoware, die sie in Moskau aufgestöbert hatten.
Wie konnte man dazu kommen?
Nun ja, sie haben sich umgehört. Die hatten ja viele russische Kommilitonen. Sie haben dann also antike russische Samoware mitgebracht und standen morgens um neun vor der Tür, weil der Zug Moskau–Berlin ja früh ankam. Sie verkauften mir die Samoware gegen Bargeld und sind dann losgezogen ins Kaufhaus C & A.
Aber der Zug hielt doch am Ostbahnhof, also in der DDR?
Genau. Aber die Studenten durften trotzdem einreisen. Als Staatsbürger afrikanischer Staaten brauchten sie ja kein Visum für Westberlin, das als selbstständige politische Einheit galt. Sie konnten also mit der S-Bahn einfach von Ost nach West weiterfahren. Sowjetbürger hätten das nicht gedurft.
Und Sie selbst, wann waren Sie dann vor Ort?
Zu der Zeit noch nicht. Irgendwann erwachte aber mein Interesse, einmal selbst nach Russland zu fahren, um mir anzuschauen, wo und wie die Samoware repariert werden. Also bin ich in den 70ern nach Tula gefahren, etwa 150 Kilometer südlich von Moskau. Tula war eine Handwerkerstadt, im 19. Jahrhundert die Gründungsstadt der Samoware. Dort wurden früher fast alle Samoware produziert. In den 70ern wurden aber fast nur noch alte Stücke repariert, vor allem für den Export.
Was ist von der Handwerkerstadt heute übrig?
Die alten Handwerksbetriebe gibt es nicht mehr. Sie gingen schon in der Sowjetzeit kaputt. Es gab allerdings bis Anfang der 80er die kleinen Reparaturfirmen, meist Familienbetriebe mit zehn, zwölf Beschäftigten.
So lange bestanden all die Firmen?
Ja, die kleinen Reparaturbetriebe blieben noch bestehen. Es gab darüber hinaus spätestens seit Mitte der 70er schon eine neue industrielle Samowar-Produktion. Es wurden ausschließlich elektrische »Selbstkocher«, was ja Samowar bedeutet, hergestellt, die unter anderem auch in die DDR exportiert wurden. Diese kosteten ohne Aufsatz und Kännchen für den Teesud 250 DDR-Mark.
Sind Sie immer rein geschäftlich nach Tula gereist?
Das war sozusagen privatgeschäftlich. Ich durfte aber auch von Moskau nach Tula fahren, um mich dort umzusehen. Dafür brauchte man allerdings eine spezielle Reiseerlaubnis.
Wie bekam man diese?
Ich habe angegeben, dass ich ein Geschäft in Berlin besitze und dafür Samoware importieren möchte. Ich fuhr dann nach Tula, schaute mich in den Kleinbetrieben um, machte einen Vertrag, und ab da wurden die antiken Samoware in Holzkisten versandt. Erst musste bezahlt werden, dann kam die Ware nach drei, vier Monaten in Ostberlin an und wurde weiter in den westlichen Teil der Stadt transportiert.
Gab es Zwischenhändler?
Es war der staatliche Handel in Tula, der alles organisiert hat. Es wurde alles wirklich sehr sorgsam verpackt mit Holzwolle! Großartig!
Wie haben Sie sich verständigt?
Ich hatte einen Dolmetscher dabei, der auch mein Aufpasser war. Obwohl immer einer dabei war, fühlte ich mich nicht besonders kontrolliert. Eher unterstützt. Er war auch dabei, als ich oft herzlich eingeladen wurde und wir Wodka aus Wassergläsern tranken. Handwerker sind überall auf der Welt im Wesen gleich. Sie freuen sich, wenn sich jemand für ihre Arbeit interessiert. Es gab immer eine gute Verbindung.
Sie waren dann auch in Ostberlin?
Ja, natürlich! Als Westberliner durfte man ja, wenn man einen Mindestsatz von D-Mark in Mark der DDR umgetauscht hatte, nach Ostberlin fahren. Ich bin also rübergekommen und habe gesagt, ich könnte die Ware mit dem eigenen Lkw abholen. Das ging aber nicht. Die staatliche Firma Deutrans übernahm die Ost-West-Transporte.
Wie haben Sie den Bau der Mauer miterlebt?
Nach der Grenzschließung am 13. August 1961, also Sonntagnacht, fehlten am nächsten Montag in Westberlin 50 000 Arbeiter. Es waren die Arbeitspendler aus der DDR, die mit einem Schlag wegblieben. Die Fabrikhallen waren leer. Siemens ist dann nach München abgezogen.
Welche Phase hat Sie damals besonders bewegt?
Vor allem die der Entspannung zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik.
Die ist gerade im Eimer, salopp gesagt!
Mir wäre es lieber, wenn sich die Menschen vertragen würden.
Sie haben sich auch für Fidel Castro und für Che interessiert.
Fidel war ein Typ! Er konnte reden, war groß, sprach perfekt Englisch. Ich war ihm einmal auf 500 Meter nahegekommen anlässlich einer Rede, die vier Stunden dauerte und erst mit einem Regenfall beendet wurde, obwohl die Leute ihre Schirme aufspannten und bereit waren zum Zuhören. Sie waren schon Stunden vorher gekommen, um Fidel nicht zu verpassen. Und auch bei Che Guevara haben mich seine Inhalte interessiert. Ich finde alle Ideen interessant, die ermöglichen, dass Menschen ein besseres Verhältnis zueinander haben können.
Das Konzept der friedlichen Koexistenz?
Diesen Begriff als solchen kannte man hier nicht so. Ich war mit der Brandt-Ära einverstanden und habe lange die SPD gewählt, weil meine Eltern Arbeiter waren. Dann nicht mehr – und die letzten Jahre wegen »Mutti« CDU.
Zurück zu den Samowaren! Wie viele stehen hier?
Aktuell habe ich hier noch etwa 150 stehen. Die meisten davon sind aus den frühen 20er Jahren. Die sind alle funktionsfähig.
Wer kauft heute Samoware?
Im Moment ist die Nachfrage stockend. Etwa ab 1990 wurde es weniger. Vorher hatte ich sehr viele US-amerikanische Kunden, etliche davon hatten noch entfernte Verwandte in der Sowjetunion. Auch Franzosen haben hier gern gekauft.
Und sonst noch?
Sehr viele Künstler, Geschäftsleute, Schauspieler. Gleich nebenan war ja ein Hotel und auch das Restaurant »Bocca«. Da gab es immer viele Leute, die hier vorbeigelaufen sind. Gegenüber befand sich das Transvestitenlokal »Chéz Nous«. Da hielten jeden Abend um 20 Uhr die Touristenbusse. Die Besucher haben hier ins Schaufenster geschaut und kamen am nächsten Tag. Es waren zumeist sehr nette, freundliche Kunden.
Legen Sie selbst auch mal Holzkohle auf für einen Tee?
Wenn ich Zeit habe, heize ich auch einen Samowar an. Wenn Schnee liegt, stell ich einen sehr großen Samowar vor die Tür. Zuerst wird das Wasser aufgefüllt, dann die Holzkohle angezündet.
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