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Biden in Mexiko: Ein leiserer Trump
Beim Nordamerika-Gipfel steht Handels- und Migrationspolitik im Mittelpunkt. Den US-Präsidenten trennt hier immer weniger von seinem Vorgänger
Zum ersten Mal seit 2014 reiste mit Joe Biden am Montag ein US-Präsident nach Mexiko. Biden trifft sich dort mit dem mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador und Kanadas Premierminister Justin Trudeau auf dem Nordamerika-Gipfel der drei Staaten, nachdem er am Wochenende die US-Grenze zum südlichen Nachbarland besucht und sich dort ein Bild von der Lage gemacht hatte. Für Biden steht beim Gipfel einiges auf dem Spiel. Er will dort zentrale Vorhaben seiner Agenda voranbringen: die Stärkung der US-amerikanischen Industrie und eine Einwanderungspolitik, die Kritiker*innen der hohen Zahl an Grenzübertritten zufriedenstellen soll.
In beiden Punkten offenbaren sich immer mehr Kontinuitäten zwischen Bidens Politik und der seines Vorgängers im Amt, Donald Trump. Das liegt nicht nur an der neuen republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, wo Biden nun mit dem frisch gewählten Parlamentssprecher Kevin McCarthy zusammenarbeiten muss, der seinerseits von rechten Hardlinern in den eigenen Reihen abhängig ist. Bislang unterschied sich Bidens Grenzpolitik vor allem in rhetorischer Hinsicht von der Trumps. Biden zeigte sich zwar grundsätzlich offener gegenüber der Aufnahme von Geflüchteten, behielt aber wichtige Elemente von Trumps Grenzregime bei. Vergangene Woche stellte Biden Pläne vor, die legale Einreisen aus Ländern wie Venezuela und Nicaragua ermöglichen sollen, solange sich Asylsuchende vorher um die Einreisegenehmigung bewerben und einen Bürgen in den USA vorweisen können. Wer sich direkt an die US-Südgrenze begibt, soll hingegen abgewiesen werden.
Die Anzahl der irregulären Grenzübertritte pro Jahr überschritt laut dem Nachrichtenportal »Voice of Africa« im August erstmals die Zwei-Millionen-Marke und lag damit doppelt so hoch wie unter der Präsidentschaft Trumps. Man wolle beim Nordamerika-Gipfel »die irreguläre Migration in der Region gemeinsam angehen«, so die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre. Biden wolle mit López Obrador und Trudeau »eine gemeinsame Vision für Nordamerika« fördern, so Jean-Pierre. Der US-Präsident sieht sich in der Migrationspolitik und bei der Kriminalitätsbekämpfung offensichtlich unter Druck gesetzt, die Themen kosteten die Demokraten in Staaten wie New York und Florida wohl viele Stimmen und damit die Kongressmehrheit. Mexiko ist das wichtigste Transitland für Migrant*innen aus Zentral- und Südamerika. Die Kooperation mit López Obrador auf diesem Gebiet ist deshalb essenziell, soll die neue Abschreckungsstrategie gelingen.
Auch in der Handelspolitik finden sich bei genauerem Hinsehen einige Gemeinsamkeiten zwischen Biden und Trump. Die Rhetorik unterscheidet sich auch hier, doch während Trump öffentlichkeitswirksam Handelsstreitigkeiten mit China und Europa vom Zaun brach, führt Biden die neoprotektionistische Wende leiser, aber effektiv weiter. Das unter Trump neu verhandelte Nafta-Abkommen, das nun den Namen »United States Mexico Canada Agreement« (USMCA) trägt, stieß sowohl bei Republikanern als auch bei Demokraten auf positive Resonanz. Sogar der US-Gewerkschaftsverband AFL-CIO begrüßte die neuen Handelsregeln. Unter anderem ist darin die zollfreie Einfuhr von Fahrzeugen und Automobilkomponenten aus Mexiko an die Bedingung geknüpft, dass ein bestimmter Teil der Wertschöpfung in Regionen stattfindet, in denen Stundenlöhne von mindestens 16 Dollar gezahlt werden.
Bidens Vorhaben wie der Chips Act – ein Gesetzespaket, das die Fertigung von Mikroprozessoren in den USA fördern soll –, aber auch der Inflation Reduction Act, der vor allem den klimafreundlichen Umbau der US-Wirtschaft voranbringen will, schließen sich dieser Politik an, beinhalten aber mehr direkte industriepolitische Förderung. Während es Trump vor allem ein Anliegen war, Industriejobs jeglicher Art zurückzuholen, scheint die Biden-Regierung vor allem auf Sektoren fokussiert zu sein, denen eine besondere strategische Bedeutung zugewiesen wird. Für Unmut bei den Handelspartnern sorgen die neuen Wirtschaftsförderungsmaßnahmen trotzdem. Führende EU-Politiker sehen die heimische Industrie und den grünen Umbau in Europa durch die üppigen Subventionen, die US-Firmen vorbehalten sind, bedroht. Diese tragen bereits Früchte: Laut dem US-Energieministerium plant die Industrie, die Kapazitäten für die Fertigung von Batterien in Nordamerika bis 2030 um das 20-Fache zu steigern, der Großteil der neuen Werke soll in den USA gebaut werden.
Für Mexiko ergeben sich durch den neuen US-Protektionismus durchaus Chancen. Das Land könnte mitprofitieren, sollten Unternehmen tatsächlich ernst machen und ihre Lieferketten aus China zurückverlagern: Mexiko ist offensichtlicher Alternativstandort zur Volksrepublik. Wie sich López Obrador, ein Linker mit nationalistischem Einschlag, in Zukunft geopolitisch positioniert, ist deshalb offen. Biden kommt nicht mit leeren Händen zum Gipfel.
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