Gut vorbereitet vor der Klasse stehen

Pädagogen-Verband präsentiert Konzept für eine praxisorientierte Lehrerausbildung

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Ann-Elen Krüger will Lehrerin für Biologie und Politische Bildung werden. Sie studiert an der Universität Potsdam, ist bereits im 9. Semester, hat aber noch keinen Bachelor-Abschluss. Sie ist damit etwas in Verzug. Wenig verwunderlich, denn sie muss Geld verdienen und arbeitet 20 Stunden pro Woche in einem Fitnesscenter. Da bleibt nur Luft für ein Teilzeitstudium.

Theoretisch könnte die 22-Jährige neben dem Studium auch schon Vertretungslehrerin sein. An einem Oberstufenzentrum in Oranienburg hat sie sich mal nach dieser Möglichkeit erkundigt. Doch sie hätte dann gleich eine 9. Klasse übernehmen, Zensuren erteilen und Elterngespräche führen sollen. Dafür fühlte sie sich von der Universität aber noch längst nicht ausreichend vorbereitet. »Man glaubt gar nicht, wie wenig Praxiserfahrung man während des Bachelor-Studiums sammelt«, sagt Krüger am Dienstag. Es gebe in den drei Jahren nur drei Praktika, von denen eines noch außerschulisch sei, und man müsse in dieser Zeit nicht mehr als vier Schulstunden selbst unterrichten.

Aus diesen Gründen steht die junge Frau voll und ganz hinter einem Konzept, das der Brandenburgische Pädagogen-Verband (BPV) für eine praxisorientierte Lehrerausbildung entwickelt hat – und das BPV-Präsident Hartmut Stäker am Dienstag in der Potsdamer Jägerallee vorstellt.

Ausgangspunkt ist für Stäker, dass Brandenburg für das kommende Schuljahr knapp 1700 junge Lehrer einstellen müsste, um alle Kollegen zu ersetzen, die in den Ruhestand treten. Danach – bis 2035 – müssten es nicht in jedem Jahr so viele sein, aber immer wenigstens 1000, rechnet Stäker vor, der selbst Lehrer für Mathematik und Physik ist. Die Universität Potsdam halte aber nur knapp 1100 Plätze für sämtliche Lehramtsstudenten vor und könne bisher in der Regel nur etwa 850 Studienplätze besetzen. »Wir wissen: Nicht jeder, der ein Studium anfängt, beendet es auch«, sagt Stäker. Insbesondere Studenten für die naturwissenschaftlichen Fächer entscheiden sich nach dem Bachelor, ihren Master nicht als Lehramtsstudent zu machen, sondern wechseln auf den Weg in die Wirtschaft und speziell in die Industrie, die ebenfalls Nachwuchskräfte sucht.

Beim Referendariat, dem einjährigen Vorbereitungsdienst an den Schulen, zeigt sich dann ein ähnliches Problem. Von 729 jungen Menschen, die dieses Schuljahr in ein Referendariat eingestiegen sind, schaffen vielleicht 30 die Prüfungen nicht oder werfen gleich nach ein paar Wochen oder Monaten hin, weil sie erst jetzt herausfinden, dass der Lehrerberuf doch nichts für sie ist.

Um den tatsächlichen Bedarf an Lehrkräften in Brandenburg zu decken, müssten sich von den jährlich rund 10 000 Abiturienten im Bundesland 20 Prozent für ein Lehramtsstudium entscheiden, »und das ist illusorisch«, sagt der BPV-Präsident. Hier setzt das Konzept für eine praxisorientierte Ausbildung an. Das Masterstudium und das Referendariat sollen zu einer dreijährigen Ausbildung zusammengezogen werden, bei der die Studenten bereits zehn Schulstunden pro Woche selbst unterrichten und dafür auch ein Gehalt beziehen. Die angehenden Lehrer sollen an einer bestimmten Schule eingesetzt werden, möglichst an einer, an der ein Kollege mit ihrer Fächerkombination in drei Jahren in Rente geht. Der könnte sie einarbeiten und zum Schluss seine Stelle an den Nachfolger abtreten, schwebt Stäker vor. Der habe dann an dem Ort »vielleicht auch schon eine Bude«. Denn das Land und die Kommunen sollen die späteren Lehrer während des Masterstudiums mit Wohnraum am Einsatzort versorgen. Auch das gehört zu dem Konzept.

Bereits das Bachelor-Studium soll mehr als bisher für den Lehrerberuf rüsten. Das bedeutet für Stäker, den Schwerpunkt der Vorlesungen und Seminare auf die Erziehungswissenschaften zu legen. Heute ist es so, dass beispielsweise ein angehender Physiklehrer zusammen mit Physikstudenten Kurse belegt, in denen er Fachwissen erwirbt, das er selbst in einer 12. Klasse im Leistungskurs niemals wird vermitteln müssen.

Wenn die Studenten mehr praxisorientierte Lehrveranstaltungen belegen und weniger Vorlesungen und Seminare in ihren Fächern, dann hätten sie es auch nicht mehr so leicht, in die Industrie zu wechseln, nennt Stäker einen weiteren Vorteil der vorgeschlagenen Verfahrensweise. Von der praxisorientierten Ausbildung erhofft er sich eine geringere Abbrecherquote. Hilfreich wäre auch, wenn künftige Lehrer bereits als Schüler eine Arbeitsgemeinschaft leiten oder eine Trainingsgruppe in einem Sportverein. So könnten sie frühzeitig herausfinden, ob ihnen die Arbeit mit Kindern gefällt. Hartmut Stäker, heute 61 Jahre alt, gehörte als Schüler in der DDR einer AG Junger Pädagogen an. So etwas in der Art wäre auch heute nicht schlecht, findet er.

Auch nach Überzeugung von Brandenburgs Linksfraktion müsste die Lehrerausbildung stärker an den Bedürfnissen der Praxis ausgerichtet sein. »Das haben wir schon in der letzten Legislaturperiode gefordert«, sagt die Landtagsabgeordnete Kathrin Dannenberg, die von Beruf Lehrerin für Sport und Geschichte ist. »Da ist schon ein bisschen was passiert an der Universität Potsdam, aber aus unserer Sicht noch nicht genug.«

Die Potsdamer Universität wäre durchaus offen für Veränderungen, weiß Dannenberg. Bewegen müssten sich die Ressorts von Bildungsministerin Britta Ernst und Wissenschaftsministerin Manja Schüle (beide SPD). »Ich finde es gut, dass der Pädagogen-Verband ein Konzept vorgelegt hat, denn von der Bildungs- und der Wissenschaftsministerin haben wir dazu wenig gehört«, sagt Dannenberg. Sie meint: »Solche Vorschläge gehören in eine Expertenkommission.« Dort wäre zu diskutieren, wie dem Lehrkräftemangel kurz- und langfristig zu begegnen ist. »Sonst wird es katastrophal«, warnt die Politikerin.

Die Zahlen sprechen für schwere Zeiten. Nur 450 Absolventen der Lehramtsstudiengänge verlassen derzeit pro Jahr die Uni Potsdam, so die Landtagsabgeordnete. Das seien viel zu wenig angesichts rund 1700 bis 1800 neuer Lehrer jährlich, die in nächster Zeit gebraucht werden. Und da seien der zusätzliche Bedarf durch geflüchtete Kinder und die bei den Privatschulen ebenfalls benötigten Lehrer noch gar nicht eingerechnet.

Das Vorhaben, durch die Technische Universität Cottbus am Standort Senftenberg im Wintersemester 2023/2024 eine zusätzliche Ausbildung für Grundschullehrer in Brandenburg zu starten, hält Dannenberg für eine »gute Entscheidung«. Leider gebe es dafür keinen Plan. »Man arbeitet jetzt im D-Zug-Tempo daran«, sagt die Linke-Politikerin. »Aber wir wissen: Was schnell gemacht wird, das wird nicht unbedingt gut gemacht.«

Der Brandenburgische Pädagogenverband schlägt vor, sein Konzept zur praxisorientierten Ausbildung in Senftenberg zu erproben. »Es ist gut, dass der BPV einen konkreten Vorschlag erarbeitet hat«, heißt es auf Nachfrage aus dem Bildungsministerium. Man werde natürlich mit dem Verband darüber beraten. Aber: »Mit Blick auf die Studienqualität muss ein ausgewogenes Verhältnis von schulpraktischen und wissenschaftlich-theoretischen Ausbildungsphasen gewährleistet sein. Nicht alle vom BPV benannten Forderungen sind in diesem Sinne sinnvoll und auch organisatorisch umsetzbar.« Der Vorschlag, Master und Referendariat zusammenzuziehen, sei auch nur dort umsetzbar, wo ein hoher Bedarf an Lehrkräften in der Nähe des Studienortes bestehe und eine berufsbegleitende Variante mit Blick auf spätere Einstellungsperspektiven sinnvoll ist. Dies treffe für die Universität Potsdam nicht zu.

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