Blaupause für den Osten

Auch für die neuen Bundesländer könnte es zu einem Deal für einen früheren Kohleausstieg kommen

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Braunkohle unter Lützerath sei nötig, um ausreichend Energie für Menschen und Wirtschaft zu erzeugen, erklärte Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) kürzlich. Deswegen führe leider kein Weg daran vorbei, Lützerath zu räumen. Im Rheinland reicht diese Notwendigkeit bis 2030. Dann soll RWE sein letztes Kohlekraftwerk abschalten. In der Zwischenzeit darf der Kohlestrom die Lücke füllen, die der Ausfall der russischen Gasimporte sowie der verschleppte Ausbau der Erneuerbaren gerissen hat.

Im Windschatten dieses Brennstoff-Switches läuft die Debatte über die Frage heiß, ob auch in ostdeutschen Revieren der Kohleausstieg vom Endtermin 2038 vorgezogen werden soll. Dagegen wandten sich Ende letzten Jahres die Länderchefs der drei Ost-Kohleländer Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Ihr Vorwurf im Brandbrief an den Kanzler: Das Wirtschaftsministerium übe Druck aus, damit im Osten auch so etwas wie der RWE-Deal zustande kommt. Darauf reagierte Wirtschaftsminister Robert Habeck erst letzte Woche und erklärte, es müsse für einen früheren Ausstieg im Osten einen Konsens geben, dort sei die Skepsis deutlich größer.

Skepsis beschreibt die Gemütslage noch recht nett. Den Ausstiegskritikern im Osten spielt die Rückkehr der Kohle ganz neue Argumente in die Hand. Es ergebe wenig Sinn, sich von einer heimischen Energieversorgung zu verabschieden, um dann auf teuer importierte Atomenergie aus Frankreich, Fracking-Gas aus den USA, Gas aus der Monarchie Katar und Braunkohlenstrom aus Polen zu setzen, fasste dieser Tage Siegurd Heinze, Landrat des Brandenburger Landkreises Oberspreewald-Lausitz, die neue Pro-Argumente zusammen. Heinzes Landkreis grenzt an den Lausitzer Tagebau Welzow-Süd, aus dem der Leag-Konzern 2021 rund 16 Millionen Tonnen Kohle hervorholte, ein Achtel der deutschen Förderung.

Ganz offensichtlich docken die Kohlebefürworter auch bei jenen an, die nicht müde werden, den klimapolitisch fragwürdigen Ausbau der Flüssiggas-Terminals anzuprangern. So stellt sich die Frage: Ist über die Meere geschippertes Flüssiggas aus Autokratien oder gefrackten Quellen klimapolitisch eine bessere »Brücke« als Kohle? Neuere, dem Kohlelobbyismus unverdächtige Studien kommen schon zur Erkenntnis, dass Flüssiggas in Sachen Klimaschädlichkeit sich der Kohle annähert, wenn man alle sogenannten Vorketten-Emissionen bei Förderung und Transport berücksichtigt.

Den Vergleich griff jüngst auch Carsten Drebenstedt, Tagebau-Experte der Bergakademie Freiberg, in einem Interview dankbar auf. Wenn man Kohle verstrome, entstünden etwa 950 Gramm CO2 pro Kilowattstunde, sagte er. Komme das zu verstromende Erdgas per Pipeline, liege der Wert bei bis zu 750 Gramm – und nutze man künftig verstärkt Flüssiggas, verschlechtere sich die Klimabilanz weiter, insbesondere wenn das LNG aus »unkonventionellem« Schiefergas stamme, also aus Fracking-Gas.

Klar ist insofern: Je mehr Flüssiggas eingesetzt wird, desto schlechter sieht die klimapolitische Bilanz aus, allerdings global gesehen. Die meisten Vorketten-Emissionen werden dem Land zugerechnet, in dem sie entstehen, und nicht dem Land, das LNG importiert. All das lässt weiten Spielraum, Gas und Kohle – je nach Anliegen – mehr oder weniger sauber zu rechnen. Klar ist nur: Die Braunkohle behält ihren Spitzenplatz als klimapolitisch schmutzigster Energieträger.

Aber auch die Braunkohle kann wieder Hoffnung schöpfen. Und die Idee dazu lieferte kein Geringerer als Robert Habeck. Bei seinem kürzlichen Besuch in Norwegen warb er nicht nur dafür, aus dem Land der Fjorde blauen, also aus Erdgas hergestellten fossilen Wasserstoff zu beziehen, sondern dorthin auch CO2 retour zu schicken, beispielsweise aus deutschen Zementfabriken, und das Treibhausgas dann vor der Küste in alte Erdgaslager zu verpressen. Was der deutschen Industrie billig ist, kann der Ost-Braunkohle nur recht sein. Brandenburgs CDU-Fraktionschef Jan Redmann kam denn auch gleich auf die Idee, CO2 aus Kohlekraftwerken abzuspalten und nicht wie früher unter die Brandenburger Erde zu verbringen sondern zu den ausgebeuteten Erdgas-Lagerstätten unter der Nordsee.

Für Habeck selbst sprechen übrigens vor allem wirtschaftliche Gründe gegen die Kohle im Osten. Deren Verstromung, sagte er, rechne sich ab 2030 schlicht nicht mehr, da der europäische Emissionshandel nachgeschärft worden sei. Dadurch, so Habeck, werde die Kohleverstromung teurer und unattraktiv. Wenn das wirklich so ist, fragt sich, warum die Ampel überhaupt den Deal mit RWE geschlossen hat? Da hätte die Regierung doch entspannt warten können, bis der Konzern selbst das energiewirtschaftliche Handtuch wirft. Einen quasi »automatischen« früheren Ausstieg wird es im Osten ebenso nicht geben. Die Ampel kommt hier um einen Deal nicht herum.

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