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Im Interesse der Autolobby
Der jüngste Mobilitätsgipfel im Kanzleramt hätte wohl eher Autogipfel heißen müssen, kritisiert Wolfgang Pomrehn.
Um den Klimaschutz in Deutschland ist es schlecht bestellt. Nicht nur, weil der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck Frackinggas aus den USA importieren und mit massivem Polizeiaufgebot das rheinländische Lützerath für den Braunkohlekonzern RWE räumen lässt. Auch die fortgesetzte Arbeitsverweigerung im Verkehrsministerium, dem mit Volker Wissing ein Liberaler vorsteht, verhagelt die Klimabilanz. Eigentlich ist die Gesetzeslage ganz klar. Das Klimaschutzgesetz macht für den Zeitraum 2020 bis 2030 für die einzelnen Sektoren wie Verkehr, Industrie oder Landwirtschaft klare jährliche Vorgaben, auf welches Niveau die jeweiligen Emissionen gesenkt werden müssen.
Doch der Verkehrssektor reißt Jahr für Jahr die Latte. Auch für 2022 ist davon auszugehen, dass die Treibhausgasemissionen aus diesem Bereich, der vom Straßenverkehr dominiert wird, nicht zurückgingen, sondern bestenfalls stagnierten, eventuell sogar zunahmen. Nach den jüngsten Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen hat der Verbrauch von Mineralöl um drei Prozent zugenommen. Eigentlich wäre es nun Wissings Aufgabe – so sieht es das Klimaschutzgesetz vor – einen Plan vorzulegen, wie das Versäumte nachgeholt und die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors gesenkt werden können. Doch der Minister weigert sich, wobei ihm uneindeutige Formulierungen im Klimaschutzgesetz eine gewisse Deckung bieten.
Dass es sich dabei lediglich um juristische Spitzfindigkeiten handelt, dürfte allen Beteiligten klar sein. Nicht zuletzt Kanzler Olaf Scholz könnte es wissen und mit seiner Richtlinienkompetenz eingreifen. So wie er es zuletzt bei der unsinnigen Laufzeitverlängerung der letzten drei Atomkraftwerke tat. Doch Scholz lässt Wissing gewähren und lädt stattdessen zu einem sogenannten Mobilitätsgipfel ins Kanzleramt. Ein Treffen, das eher den Titel Autogipfel verdient hätte, denn geladen waren am Dienstag vor allem Vertreter der Autolobby. Andere waren nur als schmückendes Beiwerk anwesend. Die klare Botschaft an alle, die kein Auto fahren können oder wollen, an alle Kinder, Jugendlichen und Gebrechlichen, an Blinde und an die vielen Menschen mit geringem Einkommen: Eure Mobilität ist uns schnurzpiepegal. Für uns zählt nur der motorisierte Individualverkehr, Bahn und ÖPNV sind lediglich geduldet, Fahrräder bestenfalls Trimm-Dich-Geräte.
Entsprechend die wenig überraschende Scheinlösung, die nach der Runde bei Scholz präsentiert wurde: Alle seien sich einig gewesen, heißt es, »dass ein rascher Hochlauf der E-Mobilität erforderlich ist, um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen«. 15 Millionen Elektro-Pkw wolle man bis 2030 auf die Straße bringen.
Doch unsere Städte ersticken seit langem im Autoverkehr und sein Blutzoll ist mit mehr als 2500 Toten und fast 260 000 Leicht- und Schwerverletzten im Jahr noch immer viel zu hoch. Daran ändert kein Elektroantrieb etwas. Auch nicht daran, dass sich Menschen mit schmalem Geldbeutel kein Auto leisten können. 75 Prozent der Haushalte mit einem Monatseinkommen unter 1500 Euro besitzen keinen Pkw, hatte 2017 eine im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums erstellte repräsentative Befragung herausgefunden.
Insbesondere diese Bevölkerungsgruppe – und die genannten per se vom Autoverkehr Ausgeschlossenen – hatte letztes Jahr vom 9-Euro-Ticket profitiert. Für drei Monate waren ärmere Menschen nicht nur spürbar entlastet worden, sondern konnten plötzlich auch eine nie geahnte Mobilität genießen und mussten auf Besuche in anderen Städten nicht mehr verzichten. Doch derlei Freiheit ist nicht gemeint, wenn die FDP von selbiger schwadroniert. Wir leben im Kapitalismus. Nicht der Bedarf interessiert, sondern allein die kaufkräftige Nachfrage. Und diese ist bei den Liebhabern der modernen Stadt-Panzer, der SUV, dieses Inbegriffs neoliberaler Barbarei, am größten, weshalb diese auch bei den Herstellern besonders beliebt sind. Demnächst eben vermehrt mit E-Motor.
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