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Großdemonstration und Schlammschlacht in Lützerath
Bis zu 35 000 Menschen demonstrieren gegen die weitere Abbaggerung im Tagebau Garzweiler II
Zum Frühstück war im Camp bei Lützerath am Samstag noch alles ruhig. Unter den Menschen, die zur Großdemonstration angereist sind, war auch die 26-jährige Jade aus den Niederlanden. Dort sei der Konflikt um das deutsche Braunkohledorf in den Medien sehr präsent. Sie sei deshalb hier, um zu zeigen, »dass wir alle gemeinsam im Kampf gegen die Klimazerstörung sind«, sagte sie dem »nd«. Um sie herum saßen Menschen auf Bierbänken, dazwischen ein blau-weißes Zirkuszelt. Der Boden war schlammig, die meisten trugen Regenhosen. Je dreckiger die Kleidung, desto länger waren die Menschen meist schon im Camp.
In den letzten Wochen wurde die Räumung von Lützerath zum wichtigen Schauplatz der Klimabewegung. In einem Abkommen mit dem Energiekonzern RWE hatte die Bundesregierung dem Abbaggern des Dorfes, das auf dem Gebiet des Tagebaus Garzweiler liegt, zugestimmt. Im Ausgleich dafür zieht RWE den Kohleausstieg um acht Jahre auf 2030 vor.
Dass die Kohle unter Lützerath abgebaggert werden muss, begründet die Regierung auch mit der aktuellen Energiekrise. Die Klimabewegung widerspricht dieser Argumentation und beruft sich auf wissenschaftliche Studien, wonach die Kohle unter Lützerath nicht benötigt werde.
Gegen zwölf Uhr setzte sich die Demonstration von der benachbarten Stadt Keyenberg in Richtung Lützerath in Bewegung. 35 000 Menschen zählten die Veranstalter, die Polizei geht von 15 000 aus. Als die Spitze an der Bühne ankam, hatten immer mehr Menschen den Aufzug in Richtung Tagebau verlassen. Hunderte standen anschließend an der Abbruchkante mit direktem Blick auf den Schaufelbagger im Tagebau Garzweiler. Der Großteil der Menge aber wollte weiter – nach Lützerath.
Die Polizei versuchte, die ausbrechenden Aktivist*innen zurückzudrängen und kündigte über Lautsprecher an, dass »körperliche Gewalt und Wasserwerfer« eingesetzt würden. Der Regen hatte den Boden um Lützerath in eine Schlammlandschaft verwandelt. Es kam zu Auseinandersetzungen, bei denen Beamt*innen teilweise regelrecht im Matsch versanken, dabei hätten sich mehrere von ihnen laut einem Polizeisprecher Verletzungen zugezogen. Berichten zufolge liefen die Polizist*innen auch in von ihnen selbst versprühtes Pfefferspray.
In der chaotischen Gemengelage rannten Greiftrupps mit Kampfgebrüll und gezogenem Schlagstock auf Aktivist*innen zu, um diese zu zerstreuen. Viele wurden bei dieser als »Sprint-Räumung« bezeichneten Taktik verletzt und von Sanitäter*innen versorgt. Die Polizei habe gezielt Schläge auf den Hals mit Fäusten und Schlagstöcken sowie Wasserwerfer und Pfefferspray eingesetzt, heißt es von Demonstrant*innen. Wegen der schieren Anzahl hätten die Ersthelfenden bei der Feuerwehr einen »Massenanfall an Verletzten« gemeldet und um Unterstützung gebeten.
Das Bündnis »Lützerath bleibt!« zählte mehrere Schwerverletzte, mindestens eine Person sogar lebensgefährlich. Die Zahl wurde am Sonntag nach oben korrigiert, die Polizei wollte dies aber nicht bestätigen. »Das Vorgehen der Polizei hat gezeigt, wie der Staat sein Gewaltmonopol einsetzt, um Klimazerstörung zu schützen«, sagt Alma, Pressesprecherin des Bündnisses. »Bei der Demo haben wir verschiedene Beobachtungen gemacht«, schreibt das in Köln ansässige Komitee für Grundrechte und Demokratie, das hierzu noch einen Bericht vorlegen will, auf Twitter. »An manchen Stellen recht zurückhaltende Polizei, an vielen anderen Stellen Gewalt.« Seit Beginn der Räumung will die Polizei rund 150 Strafverfahren eingeleitet haben, darunter wegen Widerstands gegen die Polizei, Körperverletzung und Landfriedensbruchs.
Auch Greta Thunberg war bei den Protesten in Lützerath anwesend. Auf Twitter sind Videos zu sehen, auf denen sie und die Klimaaktivistin Luisa Neubauer mit einer Gruppe von Menschen von der Polizei abgedrängt und mehrfach gestoßen wird. Zuvor hatte Thunberg auf der Kundgebung gesprochen. »Was in Lützerath passiert, bleibt nicht in Lützerath«, sagte sie. »Deutschland ist einer der größten Klimasünder weltweit.« Menschen weltweit lehnten sich gegen Kohlekonzerne auf – diesen Kampf gelte es nun zu vernetzen.
Immer noch ist die Besetzung des Braunkohledorfes nicht beendet. Dort harren »Pinky« und »Brain« – die zwei Personen, die sich in einem Tunnel verschanzt haben – weiter aus. Die Polizei sei nicht zuständig für ihre »Bergung«, heißt es von dort. Das Technische Hilfswerk stehe bereit, um die Werksfeuerwehr bei einem Notfall auf Anforderung von RWE bei der Tunnelräumung zu unterstützen.
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