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»2023 müsst ihr liefern!«
Die Linke hat ein ziemlich miserables Jahr hinter sich. Das Neue soll unbedingt besser werden
Janine Wissler hat eine turbulente Woche hinter sich. Zwei Tage war die Vorsitzende der Linkspartei bei den Besetzern des von Abbaggerung bedrohten Kohledorfs Lützerath, dann bei der Klausur der Linke-Bundestagsfraktion in Leipzig. Am Sonnabend Klausur des Parteivorstands in Berlin, am Sonntag das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, dazwischen am Freitagabend der Politische Jahresauftakt der Partei.
Das Programm umreißt das Pensum der gesamten Partei – in den aktuellen Auseinandersetzungen aktiv werden, Bündnispartner suchen, interne Probleme klären, Rückbesinnung auf die historische Aufgabe einer linken Partei gerade in Zeiten des Krieges, und schließlich: nach einem verkorksten Jahr wieder in die Offensive kommen. Unstrittig ist, dass 2022 nicht zu den hellsten Kapiteln in der Geschichte der Linkspartei gehört. Misslungene Landtagswahlen, Rücktritt einer Vorsitzenden, Debatten über Sexismus, Richtungsstreit bis hin zu Abspaltungsszenarien. Es gibt also viel zu tun, denn auch in diesem Jahr stehen Landtagswahlen an. Und die Europawahl 2024 sowie die Bundestagswahl 2025 scheinen schon am Horizont auf.
»Lasst uns 2023 zu unserem Jahr machen, zu einem Jahr der Gerechtigkeit«, forderte deshalb der Bundesgeschäftsführer Tobias Bank beim Politischen Jahresauftakt seine Genossen auf. Parteichef Martin Schirdewan bezeichnete die Solidarität als »Mittel, mit dem wir die Herzen der Menschen wieder erreichen können« – Solidarität mit den Verlieren der Krise, Solidarität auch »im Umgang mit uns selbst«. Und Solidarität mit der Ukraine, fügte die Ko-Vorsitzende Janine Wissler hinzu. Die Linke lehne die Lieferung von immer mehr schweren Waffen an die Ukraine ab, weil das »keinen Frieden bringt, sondern Eskalation«. Sich für mehr Diplomatie einzusetzen sei »keine Parteinahme für Putin«.
Wie Die Linke wieder stärker punkten will, ist einem Beschluss der Vorstandsklausur vom Sonnabend mit dem Titel »Nach der Ampel links« zu entnehmen. Darin heißt es, die Ampel-Regierung werde den historischen Aufgaben dieser Zeit nicht gerecht. Ihre Politik verstärke viele Probleme noch, was sich am deutlichsten bei Aufrüstung und Militarisierung zeige. Die Linke setzt dem Forderungen nach einer »Zurückverteilung« von oben nach unten, von privaten Vermögen in die öffentliche Hand entgegen. Realisiert werden soll das durch eine Vermögensteuer, eine Übergewinnsteuer sowie eine gestaffelte Vermögensabgabe, um die Krisenkosten gerecht zu verteilen. Zudem wird ein Investitionsprogramm von 120 Milliarden Euro pro Jahr für den klimaneutralen Umbau vorgeschlagen. Überhaupt will Die Linke der »politische Partner der Klimabewegung« werden.
Ermutigt darf sie sich durch die Grußansprache eines Aktivisten aus Lützerath beim Jahresauftakt fühlen, der Die Linke aufrief, »nicht den Weg der Grünen« zu gehen. Auch ein Redner der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen forderte Konsequenz: Nach der Berlin-Wahl im Februar werde eine Linke gebraucht, »die mutig für die Umsetzung des Volksentscheids zur Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen eintritt. 2023 müsst ihr liefern!«
Unvermeidlich war die Krise der Linkspartei ein Thema bei den Treffen zum Jahresauftakt. Man müsse Mitglieder halten und gewinnen, heißt es im Beschluss des Vorstands. Es sei »nicht egal, dass die Linke in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten ist«, sagte Bundesgeschäftsführer Bank. Das ist ein dezenter Hinweis auf die Abspaltungsgerüchte rund um Sahra Wagenknecht. Sollte eine neue Partei entstehen, der sich eine Reihe linker Bundestagsabgeordneter anschließen könnten, wäre der Fraktionsstatus gefährdet – und damit die politische Schlagkraft.
Im Hintergrund sollen vermittelnde Gespräche im Gange sein, bei denen Gregor Gysi zu versöhnen versucht, wie Medienberichten zu entnehmen ist. Zugleich liest man, dass Wagenknecht und ihre Anhänger für das späte Frühjahr eine Konferenz planen. Am Rande der Fraktionsklausur sprach der Abgeordnete Klaus Ernst von einem Druck in der Öffentlichkeit, »ein neues Projekt zu starten, in dem man sich wieder mehr um die Interessen der Bürger kümmert als um Minderheitenpositionen«.
Der Soziologe Oliver Nachtwey versuchte es beim Politischen Jahresauftakt mit einem Vergleich aus der Paartherapie: Der Linken gehe es derzeit wie Eheleuten, die in Scheidung leben: »Sie sehen alles durch das Prisma des eigenen Konflikts und werden von anderen nicht mehr so gern eingeladen.« Da habe Die Linke durchaus einiges zu verspielen. Ein Betriebsrat der Berliner Stadtreinigung rief der Partei zu, sie müsse »draußen mehr erkennbar sein. Zerreißt euch nicht in Streitigkeiten!«
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