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Der Hauptfeind im eigenen Lager
Tausende bei Liebknecht-Luxemburg-Ehrung
Für den Linke-Bundesvorsitzenden Martin Schirdewan ist die Ehrung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg am Jahrestag ihrer Ermordung durch rechte Freikorpssoldaten diesmal Jahr etwas Besonderes. »Es ist das erste Mal, dass ich als Parteivorsitzender den Kranz niederlegen darf«, sagt Schirdewan dem »nd« am Sonntagmorgen vor dem Eingang zur Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde. »Das ist für mich ein bewegender Moment.« Als Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und damit auch als frühe Wegbereiter der heutigen Linken haben sich Liebknecht und Luxemburg »klar gegen Krieg und Kriegskredite« ausgesprochen, erinnert Schirdewan. »Das ist ein Erbe, das wir ausfüllen«, versichert er, bevor die Spitzen seiner Partei und ihrer Bundestagsfraktion kurz nach zehn Uhr den Friedhof mit den Gräbern von Karl und Rosa betreten. Da liegt der Kranz der nd.Genossenschaft bereits seit einer guten Stunde. Geschäftsführer Rouzbeh Taheri hat ihn dort platziert.
Ganz vorn, noch vor Martin Schirdewan und Fraktionschef Dietmar Bartsch, laufen die Genossen vom Landesverband Berlin mit ihrem Kultursenator Klaus Lederer, der auch Spitzenkandidat bei der Wiederholungswahl in der Hauptstadt am 12. Februar ist. »Rosa Luxemburg hat schon früh vor diktatorischen und demagogischen Verengungen sozialistischen Denkens gewarnt. Das ist heute aktueller den je«, betont Lederer.
Die Berliner Linke ist bemüht, die zermürbenden parteiinternen Streitereien so gut es geht aus ihrem Wahlkampf herauszuhalten und den Bürgern der Hauptstadt zu signalisieren, dass am 12. Februar ein Landesparlament gewählt wird und nicht etwa über die Außenpolitik der Bundesrepublik und die Haltung der Linken dazu abgestimmt wird.
Bei der traditionellen Liebknecht-Luxemburg-Ehrung drängt sich die Friedensfrage allerdings auf. Der Ex-Bundestagsabgeordnete Thomas Nord und Ex-Sozialsenatorin Elke Breitenbach kommen kurz vor elf Uhr nach Friedrichsfelde und legen Blumen für Karl und Rosa nieder. Sie sind spät dran und müssen sich beeilen, weil sie mit dem Norddeutschen Rundfunk für ein Interview verabredet sind. Der Sender dreht eine Langzeitdokumentation über den Zustand und die Zukunft der Linken. Nord und Breitenbach kommen für den Flügel zu Wort, der Waffenlieferungen an die Ukraine gutheißt. Der Staat sei angegriffen worden und habe ein Recht, sich zu verteidigen, argumentiert Thomas Nord gegenüber »nd«.
Er zeigt aber auch Verständnis für Genossen, die gegen Waffenlieferungen sind. »Das kann ich akzeptieren«, versichert er und fügt ausdrücklich hinzu, eine pazifistische Strömung gehöre unbedingt zur Partei. Doch Sanktionen gegen Russland müssten sein und es brauche eine eindeutige Haltung zum russischen Angriff auf die Ukraine. Darum drücke sich die Partei leider. Wenn es hier Klarheit gäbe und auch festgestellt sei, ob innerhalb der Linken der Klimawandel geleugnet werden dürfe oder nicht, dann könnte er sich entscheiden, ob die Linke noch seine Partei sei, erklärt Nord. Auf der anderen Seite wüssten dann auch Sahra Wagenknecht und ihre Anhänger, woran sie sind.
Die Freunde Wagenknechts bilden bei der traditionellen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration einen eigenen kleinen Block – genauer gesagt der brandenburgische Liebknecht-Kreis bildet diesen Block. Der Liebknecht-Kreis fertigte extra ein Transparent, das später auch bei anderen Aktionen verwendet werden soll, wie Andreas Eichner von der Koordinierungsgruppe erläutert. Auf dem Transparent steht: »Wer Frieden will, braucht keine Nato. Waffenexporte stoppen!«
Karl Liebknechts Losung »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« – von ihm ausgegeben auf einem Flugblatt zum Ersten Weltkrieg im Mai 1915 – findet sich angesichts des Krieges in der Ukraine bei der diesjährigen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration auf unzähligen Transparenten. Tausende ziehen hinter diesen Transparenten her nach Friedrichsfelde. Die Demonstration zählt deutlich mehr Teilnehmer als in den vergangenen beiden Jahren, in denen die von einem Bündnis organisierte LL-Demo von den Einschränkungen der Corona-Pandemie nicht unberührt geblieben war.
Vom Lautsprecherwagen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) erklingt die sowjetische Hymne. Russland verwendet heute wieder diese Melodie, allerdings mit einem geänderten Text. »Gäbe es die Sowjetunion und die Rote Armee noch, gäbe es keinen Krieg in der Ukraine«, hat der DKP-Vorsitzende Patrick Köbele gesagt und wiederholt es nun hier. Die Polizei habe ihm daraus den Vorwurf der Billigung eines Angriffskrieges gemacht, erzählt Köbele. Was für ein Unsinn, beschwert er sich. »Aus der Nato, aus der Nato raus, raus, raus«, wird im Marschblock der DKP im Chor gerufen. Aus einem Block der DKP-Jugendorganisation SDAJ schallt es: »Das ist nicht unser Krieg.«
Eine weitere kommunistische Organisation verkündet per Transparent: »Keine Parteinahme für die Imperialisten der einen oder anderen Seite.« Über die Frankfurter Allee wogt ein Meer von roten Fahnen, manche davon mit Hammer und Sichel. Vereinzelt sind auch die Fahnen der DDR, Kubas und Palästinas zu sehen. Aber anders, als es vielleicht zu erwarten gewesen wäre, wird nur eine einzige russische Fahne mitgeführt – von den Freidenkern, die zusätzlich mit der Losung »Frieden mit Russland statt weiter in den Dritten Weltkrieg« Stellung beziehen. Außerdem trägt ganz hinten im Demonstrationszug noch ein Mann ein Pappschild mit der Aufschrift: »Russland hat das Recht, sich gegen imperialistische Umzingelung zu verteidigen.« Aber das war es dann auch schon.
Über die eine russische Fahne regt sich ein deutsch-ukrainisches Ehepaar auf, das am Straßenrand demonstrativ eine ukrainische Flagge hochhält. Die Ukrainerin arbeitete bis 2016 zehn Jahre lang in Moskau und machte schlechte Erfahrungen mit ihren Kollegen dort. Sie kann es insbesondere mit Blick auf ihre nach Deutschland geflüchteten Angehörigen nicht verstehen, dass russische Fahnen in Berlin nicht verboten werden. »Die Russen sind Faschisten«, schimpft die Frau und beharrt darauf, wirklich alle Russen seien Faschisten und für den Überfall auf die Ukraine. Sie lässt sich davon nicht durch den Hinweis abbringen, dass mutige Menschen in Russland gegen den Krieg demonstrierten und dabei in Kauf nahmen, zu Haftstrafen verurteilt und von Ordnungskräften verprügelt zu werden.
Dem einen russischen Banner stehen an diesem Tag zwei ukrainische Fahnen gegenüber. Eine davon legte sich Hartmut Richter aus Solidarität um die Schultern. Er stellt sich damit in Friedrichsfelde an dem Stein auf, der den Opfern des Stalinismus gewidmet ist. Richter will den Stein vor möglichen Schändungen schützen, die schon vorgekommen sind. Auch Mario Röllig ist deswegen hier. Seit zwölf Jahren schon macht Röllig das und nicht erst jetzt, da in Berlin Wahlkampf ist. Daran erinnert Röllig, der bei der Wahlwiederholung am 12. Februar für die CDU anttritt. Röllig und Richter waren in der DDR aus politischen Gründen inhaftiert. Dabei war Richter ursprünglich überzeugter Pionier und verteidigte die DDR gegen die Bonner Ultras. So sagte man damals. Doch als 13-Jähriger war er am 13. August 1961, als die DDR die Grenze zu Westberlin abriegelte, zufällig drüben bei Verwandten. Zu den Eltern zurückgekehrt, störte ihn die Bezeichnung der Mauer als »antifaschistischer Schutzwall« und er begann, an der Politik der SED zu zweifeln. Durch den Teltowkanal flüchtete Richter nach Westberlin, betätigte sich dann von dort aus als Fluchthelfer, wurde erwischt, zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt und von der Bundesrepublik freigekauft.
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