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Rückenwind fürs Klima
Senat übernimmt 31 von 47 Empfehlungen des Klima-Bürger*innenrates
31 der 47 Empfehlungen, die der Klima-Bürger*innenrat im vergangenen Jahr erarbeitet hat, sollen umgesetzt, zwölf weitere zumindest teilweise berücksichtigt werden. Das hat der Senat Ende Dezember auf Vorlage der Umwelt- und Klimaschutzsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) beschlossen. Die entsprechenden Empfehlungen werden im neuen Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK 2030) für den Zeitraum 2022 bis 2026 aufgegriffen. »Grundsätzlich ist es super, dass es so einen Prozess gegeben hat und er von der Senatorin so eng begleitet wurde. Das ist einmalig«, sagt Rabea Koss, die den Prozess des Klima-Bürger*innenrates als Sprecherin begleitete, zu »nd«.
Auch die Initiative Klimaneustart, die die Einberufung des Rates 2020 per Volksinitiative durchgesetzt hatte, ist mit dem Verfahren zufrieden. 100 zufällig ausgeloste Berliner*innen, die nach Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bezirk, Bildungsgrad und Migrationserfahrung möglichst genau die Berliner Bevölkerung repräsentieren sollten, wurden für den Klima-Bürger*innenrat ausgewählt. Siegfried Vix, eines der Mitglieder, findet die Auswahl und die Unterstützung der Teilnehmer*innen sehr gelungen. Er sei sehbehindert und zu Hause persönlich in die Technik für die Online-Sitzungen eingeführt worden, erzählt der 72-jährige Wilmersdorfer »nd«.
In neun Sitzungen, beraten von Expert*innen, erarbeitete der Rat Handlungsempfehlungen für die Politik, um die Berliner Klimaschutzziele in den Bereichen Mobilität, Gebäude und Energie zu erreichen. Da diese Empfehlungen jedoch rechtlich nicht bindend waren, wurde mit Spannung erwartet, wie viele und welche davon der Senat wohl übernehmen würde. »Dass es so viele sind, überrascht mich schon«, sagt Vix.
Zum Teil habe der Senat es sich aber »sehr einfach gemacht«, sagt Klimaneustart-Sprecherin Michaela Zimmermann zu »nd«. In seiner Stellungnahme kommentiert der Senat zahlreiche Empfehlungen mit: »Sie entspricht der bisherigen Politik des Senats.« Allgemein heißt es: »Diese Empfehlungen geben dem Senat Rückenwind.« Es klingt, als habe der Senat sämtliche vorgeschlagenen Maßnahmen ohnehin schon geplant. »Da könnte mehr Wertschätzung für den Klimabürger*innenrat kommen«, findet Zimmermann.
Auffällig ist in dem Zusammenhang, welche Empfehlungen übernommen werden – und welche nicht. Ins BEK aufgenommen werden vor allem jene, die der Außendarstellung des Senats entsprechen: zum Beispiel ein günstigerer und attraktiverer Nahverkehr, sichere Radwege, schnellere Umsetzung energetischer Sanierungen, bürokratische Erleichterungen beim Ausbau erneuerbarer Energien oder der Austausch von Öl- und Gasheizungen. Insgesamt würden die Empfehlungen laut Berliner Kimaliste jedoch »völlig unzureichend aufgenommen, obwohl die Stellungnahme des Senats eine größtmögliche Übereinstimmung behauptet«.
»Ausgeklammert wurden die Empfehlungen, bei denen konkrete Zahlen genannt wurden«, kritisiert Zimmermann. So wird die Verbannung des Verbrennermotors ab 2023 und die Umsetzung einer emissionsfreien Innenstadt bis 2030 »weitgehend aufgegriffen« – das heißt, ohne Zusage der anvisierten Zieljahre. Nicht oder nur teilweise übernommen werden auch jene Vorschläge, die auf soziale Gerechtigkeit zielen: Schutz vor Mieterhöhungen, eine sozial gerechte Kostenverteilung bei energetischen Sanierungen oder die Umwidmung von leer stehenden Gebäuden zu Wohnungen. Bei diesen drei Beispielen wird auf die fehlende Landeskompetenz verwiesen, aber auch kein Einsatz auf Bundesebene in Erwägung gezogen, wie es zum Beispiel bei der Ausweitung von Tempo-30-Zonen geschieht. Dabei sei gerade die soziale Gerechtigkeit den Teilnehmer*innen sehr wichtig gewesen, sagt Rabea Koss.
So auch für Siegfried Vix, der selbst eine Mieterhöhung aufgrund von Gebäudesanierung befürchtet. In dieser Hinsicht habe er vom Senat aber auch nicht viel erwartet, sondern sei ohnehin pessimistisch: »Da sehe ich keine Hoffnung.« Für die Ablehnung einer City-Maut hätte er sich eine ausführlichere Begründung gewünscht. Dazu schreibt der Senat lediglich, man konzentriere sich in dieser Wahlperiode auf andere Maßnahmen. Vix befürwortet auch höhere Gebühren für Parkplätze und eine Abkehr vom Individualverkehr, was vom Senat nur »teilweise aufgegriffen« werde. Dabei machen gerade diese Vorschläge des Klima-Bürger*innenrates deutlich, dass ein Querschnitt der Menschen progressive Maßnahmen akzeptiert. Sie würden aber wohl zu »unbequemen Diskussionen mit den Koalitionspartnern führen«, vermutet Klimaneustart-Sprecherin Michaela Zimmermann.
Sie kritisiert zudem, dass der Senat den Klimabürger*innenrat explizit mit Maßnahmen zur BEK-Umsetzung beauftragt hatte, das die Klimaneutralität Berlins bis 2045 vorsieht, ein Vorziehen dieses Zieljahres aber gar nicht diskutiert wurde. »Die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze ist somit unmöglich«, schreibt auch die Klimaliste in ihrer Stellungnahme. Da für die einzelnen Maßnahmen auch keine Termine genannt werden, hält Zimmermann es für schwierig, die Realisierung zu evaluieren. Zwar soll die Umsetzung im Rahmen des BEK-Monitorings nachvollzogen werden, prinzipiell wäre es aber gut gewesen, wenn der Prozess des Bürger*innenrates noch über die Erarbeitung der Empfehlungen hinausgehen oder es eine Art Kontrollgremium geben würde, meint Rabea Koss.
Für künftige Gremien dieser Art fände Michaela Zimmermann mehr Öffentlichkeitsarbeit und eine Einschränkung auf konkretere kritische Fragen sinnvoll. In Irland gab es beispielweise Bürger*innenräte, die ausschließlich über die Legalisierung von Abtreibung oder der gleichgeschlechtlichen Ehe berieten. Dass die Themenvielfalt des Berliner Rates so groß war, »ermöglicht der Politik, ausweichend zu reagieren«, sagt sie. Außerdem könnten zu einzelnen großen Fragen, wie der nach einer emissionsfreien Innenstadt, Volksentscheide abgehalten werden. »Aber die Politik hat Angst, dass Menschen mitreden. Dass Bürger*innen Expert*innen in eigener Sache sind, ist noch nicht so richtig angekommen«, bedauert sie.
Der große Mehrwert des Bürger*innenrates habe aber im Prozess selbst gelegen: dass die Teilnehmer*innen das Gefühl bekamen, ernstgenommen zu werden. Und die Politik dafür, was konsensfähig ist. So habe sich die SPD-Sprecherin für Bürgerschaftliches Engagement, Dunja Wolff, überrascht gezeigt, dass dem Rat Klimaschutz wichtiger als Denkmalschutz ist, berichtet Zimmermann. Sie hofft auf eine Fortsetzung des Formats, »denn wir brauchen in der Klimapolitik mehr denn je Aufklärung und Dialog zwischen Politik und Bevölkerung«. Allein durch den Input der Wissenschaftler*innen habe er sehr viel gelernt und in den Diskussionen gute Erfahrungen gesammelt, sagt Siegfried Vix. »Ich habe jetzt viel mehr Argumente in der Hand.«
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