Praktikum wegen Kopftuch verwehrt

Chronik des Vereins Utopia dokumentiert rechte und rassistische Vorfälle in Frankfurt (Oder)

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass eine Horde von 20 Skinheads mit Baseballschlägern durch die Straßen von Frankfurt (Oder) zieht und Punks, polnische Studenten oder Asylbewerber brutal zusammenschlägt, ist in den 1990er Jahren mehr als einmal geschehen. 2022 ist so etwas aber nicht mehr vorgekommen. Zumindest hat die Meldestelle des Vereins Utopia nichts dergleichen mitbekommen. Schon seit Jahren befasst sich der Verein mit rechten und rassistischen Vorfällen in der Stadt. Vor einem Jahr hat er dazu eine erste Chronik für 2021 vorgestellt.

28 Vorfälle hatten die freiwilligen Helfer seinerzeit aus Presseveröffentlichungen und Polizeimeldungen zusammengesucht und auch Antworten auf passende parlamentarische Anfragen von Landtagsabgeordneten ausgewertet. Das haben sie für das Jahr 2022 nun erneut getan und dabei wieder auf die genannten Quellen zurückgegriffen. Doch damit nicht genug, kann sich die neue Chronik, die am Dienstagabend in einer Videokonferenz vorgestellt wurde, jetzt zusätzlich auf Berichte von Opfern und Augenzeugen aus erster Hand stützen. Denn im Februar 2022 richtete Utopia eine extra Meldestelle mit Telefonnummer und E-Mail-Adresse ein, die Hinweise auf Übergriffe, rechte Zusammenrottungen und einschlägige Aufkleber an Straßenlaternen entgegennimmt. Aufkleber entdecken die Vereinsmitglieder bei ihren Wegen durch Frankfurt (Oder) zuweilen auch selbst und dokumentieren das.

57 rechte und rassistische Vorfälle vermerkt die neue Chronik. Den starken Anstieg im Vergleich zur ersten Chronik erklären sich die ehrenamtlichen Mitarbeiter damit, dass es inzwischen ihre Meldestelle gebe, an die Vorfälle herangetragen werden, die anders gar nicht öffentlich geworden wären. Insbesondere bei den rassistischen Beleidigungen vermuten die Aktivisten, dass es eine hohe Dunkelziffer gebe, weil viele Betroffene sich weder an die Polizei noch an die Presse wenden, weil es ja doch nichts bringe – und auch nicht an die Meldestelle des Vereins, weil diese Stelle noch nicht so bekannt ist.

Die Leute, die sich im Verein Utopia um die Chronik kümmern, bitten darum, nicht namentlich in der Zeitung zitiert zu werden. Sie wollen nicht selbst Zielscheibe von rechten Attacken werden. Einige von ihnen sind dennoch schon angegriffen worden. Als Beispiel für einen Vorfall, der weder durch die Presse ging noch in den Polizeimeldungen zu lesen war, wird geschildert, wie ein Mensch absichtlich beinahe überfahren worden wäre. Genannt wird hier auch eine Drohung mit einer Pistole am Stand einer Religionsgemeinschaft bei einem Straßenfest.

Für Schlagzeilen hatte im Gegensatz dazu der Fall eines Mädchens gesorgt, das ein Praktikum in einem Modegeschäft absolvieren wollte. Das Mädchen wurde letztlich aber nicht genommen, weil sie ein muslimisches Kopftuch trägt. Schon bekannt ist auch, was dem Künstler Michael Kurzwelly im Sommer widerfuhr. Unbekannte legten Feuer auf dem Gelände des deutsch-polnischen Vereins Slubfurt. Das ist ein Kunstwort, gebildet aus Frankfurt und dem Namen der polnischen Nachbarstadt Słubice am anderen Ufer der Oder. Als der Projektverantwortliche Kurzwelly Fotos von den Brandstiftern machte, griff ihn einer der Täter an und brach ihm mit einem Faustschlag die Nase.

»Auch wenn unsere Daten an sich nicht repräsentativ sind, können wir Schlaglichter auf die Situation werfen«, begründet eine Mitstreiterin, wozu die Arbeit an der Chronik gut sein könne. Die Chronik lege angesichts der Dunkelziffern nahe, dass rechte Ansichten und rassistische Pöbeleien in Frankfurt (Oder) leider alltäglich sind.

Aus den Erkenntnissen ließen sich auch Schlussfolgerungen ziehen, heißt es. Beispielsweise könnte es einen Bedarf für Räumlichkeiten geben, in denen sich Lesben, Schwule und Transpersonen gefahrlos treffen können. Auf der Straße hat es im vergangenen Jahr Übergriffe auf sie gegeben. Dem Verein sind zwar nur zwei Fälle zur Kenntnis gelangt. Aber auch hier gibt es eine Dunkelziffer.

Kontakt zur Meldestelle per Tel.: (0163) 1556003 oder per E-Mail: rechtevorfaelle-ffo@riseup.net

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