Unerlaubte Schönheit

Der Pere-Ubu-Sänger David Thomas als Trio mit den Two Pale Boys

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.
David Thomas mit Pere Ubu in Oslo, Oktober 2019.
David Thomas mit Pere Ubu in Oslo, Oktober 2019.

Die Avantgarde, sie kann einem fürchterlich auf die Nerven gehen, und das ist ja auch ihr Sinn und Zweck. Oder einer ihrer Zwecke. Zugleich gelingt Bands, die ihre Musik konstant gegen und in Abgrenzung verschiedener Varianten des Gängigen organisieren, immer wieder Überraschendes. Das gilt auch für die Avantgarde von zirka 1978, die seitdem einfach immer weitergemacht hat. David Thomas hat mit den ersten vier, fünf Alben seiner Band Pere Ubu ein stark schillerndes Klangkunstwerk geschaffen, in dem Rockmusik vieles ihr Fremdes (Synthesizer-Experimente, Musique concrète, Free Jazz, Garagenrock, Klarinetten-Soli, Atonales) einsaugt, um die Songs und damit auch die Tradition des eigenen Genres von all dem zerlegen zu lassen, gleichsam von Innen heraus.

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Zusammengehalten wurde das alles nicht so sehr wie sonst im Rock von Bass, Gitarre, Schlagzeug, sondern von David Thomas gleichfalls nervtötender Stimme. Die überschlägt sich sehr gerne, geht in gequälte Höhen, nörgelt, murmelt, und ist ein in dieser Form singulärer Widerspruch gegen Stärke und Platzhirschentum und trotzdem machtvoll wie nur was. Obwohl, singulär – wer der Unternehmung Böses will, kann in David Thomas’ Hauptband auch einfach »a bunch of arty geezers led by a washed-up Beefheart imitator« (eine Gruppe von Künstlern, angeführt von einem abgehalfterten Beefheart-Imitator) sehen. Wenig ist im Pop so angreifbar wie die Avantgarde von einst.

Aber egal, David Thomas, selbst als Musikkritiker tätig, bevor er sich als Sänger auf die Bühne stellte, war es immer hörbar wurscht, was über ihn geschrieben wird. Wenn etwas dieses Werk durchzieht, dann ist es ein Eigensinn, der dieser Musik durch die Jahre eine schöne Kontinuität schenkt.

Noch tiefer unter dem Radar fliegen heute die Solo-Projekte des Pere-Ubu-Sängers. Was im Fall des Trios David Thomas & Two Pale Boys besonders schade ist, denn so eine Musik wird man ansonsten nicht zu hören bekommen. Das kürzlich erschienene Live-Album »I‹m Alive« dokumentiert ein Konzert in Schio aus dem Jahr 2004. Pere-Ubu-Gitarrist Keith Moliné produziert spröde Loops, Andy Diagram (sonst Saxofonist bei der britischen Band James) fisselt kurze Linien auf der Parallelspur und schickt sein Instrument durch viele Verzerrer und Filter. Und David Thomas schluchzt und schwitzt und erzählt.

»As close to perfection as you can get«, sei die Show in Schio gewesen, sagt der Sänger. Zu hören ist die eine Mischung, die nicht Jazz, nicht Blues, nicht Rock ist, sondern alles das zugleich, in Form eines mit klassischen Instrumenten (Gitarre, Saxofon, Akkordeon) angefertigten Geisterambient.

Letzten Endes ist das Americana: Songs über Highways, Vogelarten, eine Frau, die Kathleen heißt. Was David Thomas & Two Pale Boys zum Beispiel aus »Surfer Girl« von den Beach Boys gemacht haben, muss man gehört haben, um es zu glauben: eine wehmütige Theremin-Ballade, bei der man nicht weiß, ob sie eine Persiflage oder eine Hommage ist, die nach knapp zehn Minuten aber wie die überhaupt angemessene Art klingt, dieses Stück zu spielen.

Da wird dann auch noch mal deutlich, wie verwandt die Sounds von Pere Ubu mit denen anderer idiosynkratischer Künstler wie, sagen wir, The Fall oder Mission of Burma waren. Oder auch mit den Bildern der späten Filme von David Lynch. »Don’t worry about the blood / It rains like that everyday«, singt David Thomas im hier mit »Surfer Girl« zusammengedübelten Song »Around the Fire«. Nur wenig ist schöner in der Kunst als radikaler Eigensinn, der noch die Kurve kriegt, bevor er Richtung Querulantentum abdriftet und damit in der Lage ist, unerlaubte Schönheit zu fabrizieren.

David Thomas & Two Pale Boys: I’m alive (Bandcamp)

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