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Schlittern übern Holiday-on-Eis-Kanal
Ottawas Rideau Canal ist der malerische Schauplatz des schrägen Winterlude-Festivals
Ende Januar, minus 10 Grad. Seit Wochen schon hat Ottawa tagsüber und nachts Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Der Rideau Canal ist zugefroren und mit einer dünnen Schnee-decke überzogen. Bestes Wetter zum Kanufahren, ja sogar für eine Kanu-Regatta! Finden jedenfalls die Teilnehmer des Ice-Dragon-Boat-Festivals, schrauben Kufen unter ihre Drachenboote und stechpaddeln los. Wie das geht? Unten an ihren Holzstielen sind keine Paddelblätter, sondern runde, metallene Platten mit spitzen Spikes. Damit stoßen sich die zehn Drachenboot-Kanuten auf dem Eis ab, angetrieben vom taktgebenden Trommler im Bug und gelenkt vom Steuermann im Heck. Winter-Spaß à la Kanada! Die fünf parallel startenden Boote, geschmückt mit goldenen Drachenfiguren, kommen – verglichen mit der Fahrt im Wasser – auf der eisigen Oberfläche nur in Zeitlupe voran. Dennoch feuert das Publikum die in lustigen Drachenkostümen gewandeten Paddler lautstark an. Das »Ice-Dragon-Boat-Festival« ist seit 2017 die Attraktion auf Ottawas »Winterlude-Festival«, bei dem der Rideau Canal und die angrenzenden Parks an den ersten drei Februar-Wochenenden zu einem großen Eis- und Schneespektakel werden – mit schrägen Wettbewerben und spektakulären Aktionen.
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Flatter Einzug
Wer in dieser Zeit in Kanadas Hauptstadt kommt, erlebt seit 1979 ein Winterwonderland, in dessen Mitte sich das wie ein Loire-Schloss anmutende, in neogotischem Stil erbaute Luxushotel »Fairmont Chateau Laurier« auf der einen und Ottawas, an das britische Westminster erinnernde Parlamentsgebäude auf der anderen Seite erhebt. Dazwischen verläuft die im Guinness-Buch der Rekorde eingetragene, längste Natureisbahn der Welt – der Rideau Canal – mit seiner 7,8 Kilometer langen Strecke zwischen Ottawa und dem Dows Lake. Für glatt poliertes Eis und damit gute Schlittschuh-Bedingungen sorgt die auch für Ottawas Parks zuständige National Capital Commission; sie gibt den Kanal jeden Winter für etwa 45 Tage frei, meist so ab Mitte Januar, wenn das Eis mindestens 30 Zentimeter dick ist.
Es ist ein einmaliges Erlebnis, hier inmitten von 20 000 Menschen pro Tag die Kufen unter sich gleiten zu lassen und sich zwischendurch mit einem Beaver Tail, Kanadas gebackener Hefeteig-National-Süßigkeit und heißer Trink-Schokolade an einem der Stände am Ufer zu stärken. Ach ja: Hier bitte nicht nach Glühwein fragen – anders als bei uns ist der Verkauf von Alkohol bei solchen Events verboten. Und nicht wundern, werktags sind auf dem Eis auch Männer im Business-Outfit unterwegs – sie skaten zu ihren Büros. Shopping-Queens bringen – in entgegengesetzter Richtung – ihre Einkäufe auf Schlitten nach Hause. Die Eisbahn des Rideau ist für viele Menschen in Ottawa neben allem Spaß ein ganz normaler Verkehrsweg.
Zu verdanken haben die Kanadier diese Wasserstraße genau genommen den USA. Denn vom mächtigen Nachbarn waren um 1812 – nach dem britisch-amerikanischen Krieg auf dem nordamerikanischen Kontinent – weiterhin Angriffe zu befürchten, vor allem auf britische Versorgungsschiffe, die nahe der US-Grenze den St. Lorenz-Strom befuhren. Daher ließen die Briten eine sichere Versorgungsroute bauen – den Rideau Canal. Irische und franko-kanadische Arbeiter buddelten die 202 Kilometer lange Wasserstraße in fünf Jahren durch Ontarios Wälder – weitgehend ohne maschinelle Unterstützung, dafür aber unter unmenschlichen Strapazen: Etwa 1000 Männer starben an Malaria, kurz vor der Eröffnung 1832 brach eine Cholera-Epidemie aus. Ziemlich tragisch, diese Baugeschichte mit so vielen Opfern, denn seinen Zweck als sichere Bypass-Wasserstraße musste der Kanal nie erfüllen, weil Briten und später die Kanadier sich fortan mit den USA vertrugen.
Dem Erbauer des Kanals, Colonel John By, haben sie in Ottawa ein besonderes Denkmal gesetzt – den ByWard Market: Ein wuseliges, fast 200 Jahre altes Viertel mit kaminroten Backsteinfassaden und luftigen, gusseisernen Markthallen. Ideal, um sich zwischendurch etwas aufzuwärmen beim Schlendern zwischen Reihen von Obsthändlern, die Ontarios leuchtende Äpfel anbieten, Ständen von Werkzeugmachern und Kindermodetresen. Etwa 260 Stände gibt es insgesamt auf dem ByWard Market, auch einen mit Käse aus aller Welt: »The House of Cheese« hat etwa 500 Sorten, beliefert damit Botschaften, den Premierminister und Ottawas Top-Hotels. Gut die Hälfte der Käse-Auswahl kommt aus Kanada. Und – theoretisch 100 Prozent – kann man probieren: Cracker und Fladenbrot als Unterlage liegen dafür auf den Tresen. Wer sich auf dem ByWard Market unters Volk mischt, kommt schnell ins Gespräch und merkt zügig: Die Briten sind zwar 1867 aus Kanada abgezogen, ihren Humor aber haben sie den Kanadiern im Erbgut hinterlassen. Gegenüber vom Markt preist ein knallrotes Plakat den »Highlander Pub« als »Tagespflegeheim für Ehegatten« und verspricht Frauen: »Wenn Sie mal in Ruhe shoppen wollen – geben Sie Ihren Mann einfach hier ab – Sie zahlen nur das Essen und seine Drinks!«
Nein, lieber zurück an den Rideau Canal! Hier lassen sich die Eisskulpturen-Schnitzer im Confederation Park bewundern, DJs legen auf und prasselnde Holzfeuer in Metallkörben spenden etwas Wärme – ebenso wie ein Teller Stew. Der irische Eintopf wird von vielen Restaurants im Rahmen des Winterlude-Festivals gekocht. Die Besucher können erst abschmecken und dann abstimmen, wer der Gewinner des »Stew-Cookoff«-Wettbewerbs ist. Trotz des Feuers und möglicherweise feurigem Eintopf: Wer hier im kanadischen Winter mehrere Stunden durchhalten will, sollte sich im Zwiebellook warm einpacken, unbedingt eine winddichte Mütze gegen die steife Brise aufsetzen, dazu gut isolierte Schuhe und Fausthandschuhe tragen.
Denn sonst friert man im entscheidenden Moment – wenn das alljährliche Krankenhausbetten-Rennen startet. Ja, richtig gelesen: Umgebaute Krankenbetten, dekoriert als Dampflokomotiven oder Piratenschiffe, andere gestylt mit Straßenkreuzer-Kühlern oder einfach nur Luftballons treten an zum Wettrennen für einen guten Zweck: Karneval on the rocks und auf vier Rädern – nicht selten mit Foto-Finish vor unzähligen Handy-Kameras der Zuschauer.
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