Im öffentlichen Dienst brodelt es

Die Gewerkschaften fordern 10,5 Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten von Bund und Kommunen

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Gewerkschaften fordern 10,5 Prozent mehr Gehalt für die Beschäftigten von Bund und Ländern.
Die Gewerkschaften fordern 10,5 Prozent mehr Gehalt für die Beschäftigten von Bund und Ländern.

Das Kongresshotel Potsdam liegt auf historischem Grund. Wo man heute vor den Toren Berlins logieren und tagen kann, baute Graf Zeppelin einst Anfang des 20. Jahrhunderts am Templiner See einen Luftschiffhafen. Historisch sind auch die Vergleiche, die gezogen werden hinsichtlich der diesen Dienstag beginnenden Tarifverhandlungen für die Beschäftigten von Bund und Gemeinden, zu denen sich die Gewerkschaften und Arbeitgeber in dem Hotel einfinden. 

Gerne wird dieser Tage an den Gewerkschafter und den ÖTV-Vorsitzenden Heinz Kluncker und die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst von 1974 erinnert. Die Ausgangsbedingungen sind ähnlich: Was damals die Ölkrise war, ist heute die durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine verursachte Energiepreiskrise. Damals wie heute fraß die Inflation ein dickes Loch in die Lohntüte der Beschäftigten. 1973 stiegen die Preise um 7,1 Prozent, vergangenes Jahr waren es 7,9 Prozent. Die Verdi-Vorgängergewerkschaft ÖTV verlangte deshalb in den 1970er Jahren 15 Prozent mehr, Verdi fordert jetzt 10,5 Prozent mehr Gehalt für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen. 

Folglich wird es auch dieses Jahr wieder zu harten Verhandlungen kommen. »Im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen brodelt es«, machte der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft, Frank Werneke, vor Beginn der Verhandlungen Stimmung. »Die Arbeitgeber müssen wissen: Die Belegschaften werden sich in der Tarifrunde nicht mit warmen Worten und einem schlechten Ergebnis abspeisen lassen.« Auf der Seite der Arbeitnehmer*innen steht Verdi zusammen mit dem Beamtenbund dbb. Dabei verhandelt Verdi zugleich für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).

Auf der Seite der Arbeitgeber stehen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der Gelsenkirchner Oberbürgermeisterin Karin Welge als Präsidentin der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) zwei SPD-Politikerinnen. Diese sind alles andere als erfreut von der hohen Forderung der Gewerkschaften. Während Faeser nach der Aufstellung der Forderung im vergangenen Oktober noch relativ diplomatisch mitteilte, dass diese »bei Bund und Kommunen auf eine angespannte Haushaltslage« treffen würde, ließ die VKA im Vorfeld der Gespräche verlautbaren, dass die Forderungen „inakzeptabel« seien. »Das können wir so nicht leisten, und viele andere Kommunen auch nicht«, zitierte der »Spiegel« Welge.

Es könnte also bald zu Warnstreiks im öffentlichen Dienst kommen. Theoretisch sind diese schon ab dem 25. Januar möglich. Auch unbefristete Streiks werden seitens der Gewerkschaften nicht ausgeschlossen. Wenn die Arbeitgeber auf der Bremse stünden, »schließe ich Flächenstreiks nicht aus. Dann wird es richtig ungemütlich«, warnte der Chef des Beamtenbunds, Ulrich Silberbach, im »Spiegel«. »Wenn es nötig ist, dann streiken wir«, so Werneke in der »Süddeutschen Zeitung«.

Die Partei die Linke werde »bei einer Nichteinigung und möglichen Streiks an der Seite der Beschäftigten stehen und, wie bei der Post, diese unterstützen«, kündigte Linke-Cochefin Janine Wissler gegenüber »nd.derTag« bereits ihre Unterstützung bei möglichen Arbeitskämpfen an. »Es geht um die Menschen, die den Laden am Laufen halten. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst jetzt mit voller Kraft zu unterstützen, ist nötig, um den Beschäftigten ein Stück Gerechtigkeit zurückzugeben.« Die Reallohnverluste durch steigende Energie- und Lebensmittelpreise seien für viele, die unseren Alltag sichern, nicht mehr zu stemmen, so Wissler weiter. Bei der aktuellen Auseinandersetzung seien Bund und Kommunen in der Verantwortung, dass es zu einer guten Einigung ohne schlechte Kompromisse kommt.

Die Tarifgespräche für Bund und Kommunen sind derzeit nicht die einzigen, in denen die Gewerkschaften wieder höhere Forderungen stellen. Für die Beschäftigten bei der Deutschen Post fordert Verdi derzeit 15 Prozent mehr Gehalt. Weil der Konzern in der zweiten Verhandlungsrunde kein Gegenangebot machte, kam es dort vergangene Woche zu Warnstreiks. Spannend dürfte auch die Ende Februar beginnende Tarifrunde bei der Bahn werden. Zwar hat die Bahn-Gewerkschaft EVG noch keine Tarifforderung aufgestellt, doch erwartet man dort »ein heißes Frühjahr«.

Neben der hohen Inflation ist ein Argument auf Seiten der Gewerkschaften der Personalmangel. Über 300 000 Stellen fehlen demnach im öffentlichen Dienst. »Die Personallücken werden angesichts wachsender Aufgaben immer größer. Und die Inflation hat ihre Spuren gerade auch in den Portemonnaies vieler öffentlich Beschäftigter mit eher niedrigen bis mittleren Gehältern hinterlassen«, betont Verdi-Chef Werneke.

Aus diesem Grund lehnen Verdi und der Beamtenbund auch steuerfreie Einmalzahlungen ab, wie sie zum Beispiel für die Metall- und Elektrobranche vereinbart wurden. Denn diese würden zu Lasten der dauerhaften prozentualen Anhebung gehen. So fordern die Gewerkschaften auch eine Anhebung der Gehälter um mindestens 500 Euro im Monat. »Das würde insbesondere Beschäftigten der unteren Lohngruppen wirklich helfen«, so Werneke in der »Süddeutschen Zeitung«.

Sein ÖTV-Vorgänger Heinz Kluncker hatte 1974 noch mindestens 185 D-Mark gefordert. Nach einem dreitägigen Streik im öffentlichen Dienst setzte er gegen den ausdrücklichen Willen des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt ein zweistelliges Ergebnis durch: Es gab für die Beschäftigten elf Prozent beziehungsweise mindestens 170 D-Mark mehr im Monat.

  

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -