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Gestürzter Kolonialist
Das Hamburger Wissmann-Denkmal wurde nach Protesten 1968 eingelagert
Der geplante Denkmalsturz wurde öffentlich angekündigt. Vor 55 Jahren rief der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) in Hamburg dazu auf, in den Garten des ehemaligen Kolonialinstituts zu kommen – aus dem 1919 die Hamburger Universität hervorgegangen war –, wo seit 1922 ein bronzenes Denkmal von Hermann von Wissmann steht: »Lasst tausend Wissmänner platzen! Am Dienstag, den 8. August 1967 um 17 Uhr, stürzt im Garten der Hamburger Universität ein berühmt-berüchtigter Kolonialschlächter von seinem Sockel«, hieß es in dem Flugblatt.
Wissmann (1853-1905) war ab 1881 im Auftrag der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, danach im Dienst des belgischen Königs Leopold II. durch Afrika gereist und hatte die notwendige Vorarbeit zur Gründung der Kolonie Deutsch-Ostafrika sowie der belgischen Kolonie Kongo geleistet. Reichskanzler Otto von Bismarck ernannte ihn zum Reichskommissar und später zum Gouverneur von Deutsch-Ostafrika.
100 Student*innen folgten dem Aufruf des SDS – außerdem zivile politische und uniformierte Polizisten mit Mannschaftswagen, Wasserwerfer und Gefangenentransporter. Dirk Siefer vom SDS sprach über Vergangenheit und Gegenwart des Kolonialismus, erkletterte dann das Denkmal, lockerte mit etwas Öl die Bodenschraube und legte dem bronzenen Wissmann eine Schlinge um den Hals. Knapp zehn Student*innen zogen unter dem Jubel der Umstehenden am Seil, aber die Polizei schritt ein und verhinderte in letzter Minute Wissmanns Fall.
Die Denkmaldemontage wurde weiter verfolgt, aber nicht mehr öffentlich angekündigt. In der Nacht zum 27. September 1967 konnte Wissmann schließlich erfolgreich gestürzt werden; im Anschluss wurde gefeiert. Aber die Universität stellte die Bronzefigur bald wieder auf.
Das Hamburger Denkmal war ein propagandistischer Identifikationsort. In der Weimarer Republik war es eine der wichtigsten Kultstätten, an denen »der organisierte Kolonialrevisionismus zusammenkam, um den Kolonialgedanken öffentlichwirksam zu pflegen«, wie der Historiker Joachim Zeller im Jahr 2000 ausführte. Erste studentische Proteste gab es schon 1961 gegen das Standbild Wissmanns und den ihm seit 1935 gegenüberstehenden Offizier Hans Dominik, der Anfang der 1930er Jahre als »Schreckensherrscher von Kamerun« verschrien war.
Die Aufklärungs- und Agitationsschrift »Aspekte« des Hamburger SDS beschäftigte sich mit Wissmanns und Dominiks Rolle bei der Kolonisation Kameruns. Die Denkmäler seien insbesondere für die Kommilitonen aus den betroffenen Ländern eine Provokation. »Aber auch wir deutschen Studenten müssen uns dagegen wenden, dass unsere Universität noch länger Männer ehrt, die mit Methoden gegen Afrikaner gewütet haben, wie sie später von den Nazis gegen unsere Nachbarn und gegen unser eigenes Volk angewandt wurden. Ob es sich um Dörfer in Afrika oder um Oradour und Lidice handelt: Wir haben keinen Anlass, die Tradition deutscher Ausradierer im Universitätsgarten zu pflegen. (…) Um den beiden Kolonialisten doch noch die Rückkehr nach Afrika in zeitgemäßer Form zu ermöglichen, schlagen wir vor, ihren Materialwert der Aktion ›Brot für die Welt‹ zu Verfügung zu stellen.« Die Forderungen von Student*innen, SDS und Akademischem Senat, Wissmann zu entfernen, verhallten damals, ohne dass die Universität Konsequenzen gezogen hätte.
Erst als für November 1968 ein Strafprozess gegen die beim öffentlichen Denkmalsturz Festgenommenen terminiert wurde, kam Wissmanns Ende. Am Abend des 31. Oktober 1968 erklärte sich das Studentenparlament mit den Angeklagten solidarisch und forderte mehrheitlich die Entfernung des Denkmals. Danach schlug ein Redner vor, den Beschluss gleich in die Tat umzusetzen. Alle sollen aufgesprungen und in den Universitätsgarten gelaufen sein, um Wissmann gemeinsam von seinem Sockel zu holen. Gleichzeitig fiel auch Hans Dominik. Die Student*innen schleppten Wissmann in die Mensa und stellten ihn neben ihrer Wandzeitung auf, die über das Gerichtsverfahren informierte.
Die Prozesse wurden mit politischen Aktionen und inhaltlichen Veranstaltungen begleitet, so unter dem Titel »Verwicklung Deutschlands in den Kolonialismus und Neokolonialismus und über die anhaltende Ausbeutung der Völker der Dritten Welt«. Nach einer Veranstaltung im Audimax mit 400 Teilnehmer*innen zogen Studierende zum Hamburger Senat und zum Zweiten Bürgermeister und Schulsenator Wilhelm Drexelius, der ihnen versprach, dass die Denkmäler nicht mehr an der Universität aufgestellt würden.
In einer Berufungsverhandlung im März 1969 vor dem Landgericht sprachen die Angeklagten ausführlich über die Gräueltaten der deutschen Kolonialsoldaten und den fortwirkenden Kolonialismus. Sie luden Historiker in den Zeugenstand, die über die Taten Wissmanns und die deutschen Eroberungszüge durch Südwestafrika berichteten. Erst in einer Revisionsverhandlung hob das Oberlandesgericht die Verurteilungen aus erster Instanz auf, weil die für einen Hausfriedensbruch notwendige Aufforderung, den Garten vor der Universität zu verlassen, selbst vom Universitätsjuristen belacht wurde und deshalb nicht als ernsthaft anzusehen war. Die Denkmalstürzer*innen gingen straffrei aus.
Auch in der Stadtgesellschaft hatten die Denkmäler keinen Rückhalt mehr. Wissmann wurde eingelagert und mehrmals in Ausstellungen und im Rahmen einer Kunstaktion am Hamburger Hafen nochmals öffentlich gezeigt. Heute liegt er wieder im Keller der Sternwarte Hamburg-Bergedorf.
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