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Keine Konkurrenz
Eine Doppelspitze soll in der größten Gewerkschaft Deutschlands einen Machtkampf verhindern
Über Namen wollte man in der IG Metall am Donnerstag eigentlich nicht sprechen. Personal folge Strukturen, erklärte der Erste Vorsitzende der mit derzeit exakt 2 146 815 Mitgliedern stärksten Gewerkschaft des Landes, Jörg Hofmann. Doch für den 67-Jährigen war es die letzte Jahrespressekonferenz als großer Vorsitzender. Auf dem Gewerkschaftskongress im Oktober steht er nicht mehr zur Wiederwahl. Deswegen wird schon seit Längerem gemunkelt, wer Hofmann beerben könnte.
Auf seiner letzten Pressekonferenz konnte Hofmann immerhin noch eine Trendwende verkünden. Zwar musste seine Gewerkschaft auch 2022 noch einen kleinen Mitgliederschwund verzeichnen, doch im zweiten Halbjahr legte sie wieder zu. Mit 117 000 neuen Mitgliedern war der Zulauf zur Gewerkschaft vergangenes Jahr so hoch wie seit 2018 nicht mehr. Und mit Beitragseinnahmen von 596 Millionen Euro konnte IG-Metall-Hauptkassierer Jürgen Kerner ein kleines Plus bei den Einnahmen präsentieren.
Neben Hofmann saß auf der Pressekonferenz Kandidatin Nummer eins um seine Nachfolge: die Zweite Vorsitzende Christiane Benner. Doch es gibt noch jemanden, der sich auch Hoffnung macht auf den Chefposten in der IG Metall. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter in Baden-Württemberg, an die Bundesspitze aufrücken will.
Weil man einen Machtkampf zwischen beiden vermeiden und die Organisation fit für die Herausforderungen der Zukunft machen will, steht seit geraumer Zeit eine Doppelspitze mit Benner und Zitzelsberger als gleichberechtigtes Team im Raum. Gleichzeitig soll der geschäftsführende Vorstand von sieben auf fünf Mitglieder reduziert werden. Hofmann und Co wollen bis März darüber beraten, ob man darüber auf dem Kongress im Oktober abstimmen lassen will.
»Wenn ich es mir nicht vorstellen könnte, würde ich nicht dafür werben«, sagte Benner, angesprochen auf die Doppelspitze. Es gehe aber an erster Stelle um die IG Metall, nicht um Personen. Die Herausforderungen der Zukunft seien komplex, eine Führung als Team sei da das passende Modell. Schließlich kann sich die IG Metall nicht nur mit sich selbst beschäftigen. Die Digitalisierung und die Energiewende verändern grundlegend die Branchen, deren Beschäftigte die IG Metall vertritt. »2023 muss zum Jahr des fairen Wandels werden«, sagte dazu Hofmann.
Als seine Vize hätte Benner eigentlich nicht nur den ersten Zugriff auf den Spitzenposten. Sie steht auch für diesen Wandel. Sie wäre die erste Frau an der Spitze der Industriegewerkschaft, und es gibt durchaus Stimmen, die sagen, dass die Zeit für eine weibliche Spitze reif sei. Gleichzeitig steht die Soziologin Benner für einen neuen Typus von Gewerkschaftsmitglied: die Angestellten. Angesichts des digital-ökologischen Strukturwandels wird diese Gruppe von Beschäftigten auch für die IG Metall wichtiger. »Digital und Gewerkschaft gehören selbstverständlich zusammen. Wir brauchen ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften und keinen versteckten Link im Intranet«, forderte Benner deshalb angesichts der sich durch Digitalisierung, Homeoffice und Künstliche Intelligenz wandelnden Arbeitsbedingungen.
Anderseits: »Tarifpolitik ist und bleibt der Markenkern der Gewerkschaft. Und daran werden wir auch gemessen«, sagte Noch-Chef Jörg Hofmann. Und da hat Benner keine Erfahrung vorzuweisen. Im Gegensatz zu Zitzelsberger. Als Chef der Gewerkschaft in Baden-Württemberg verhandelte er zuletzt im vergangenen Herbst das Pilotergebnis für die Beschäftigten in der Metall- und Elektrobranche, das auch von den anderen Tarifbezirken übernommen wurde. Demnach erhalten die Beschäftigten in der für die IG Metall so wichtigen Branche in den nächsten zwei Jahren Gehaltssteigerungen in zwei Schritten von insgesamt 8,5 Prozent sowie zwei steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen von jeweils 1500 Euro.
Das ist ein Ergebnis, hinter dem sich Zitzelsberger nicht unbedingt verstecken muss. Zudem steht auch er gewissermaßen für einen Wandel in der IG Metall. Bei seinen »Erschließungsprojekten«, mit denen er die IG Metall in bisher gewerkschaftsfreien Betrieben verankern will, wendet er auch neue Organizing-Methoden an. Das kommt mitunter auch bei linken Gewerkschafter*innen gut an.
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