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Eine halbe Hertha gegen unbeeindruckte Unioner
Hertha BSC hat sich vor dem Berliner Stadtderby wieder einmal selbst in eine gefährliche Situation gebracht
Neues Jahr, Alte Dame: Wie schnell alle guten Vorsätze vergessen sind, beweist Hertha BSC. Mit zwei Niederlagen in Bochum und gegen Wolfsburg sind die Berliner nach der Winterpause in der Bundesliga auf einen Abstiegsplatz abgerutscht. Null Punkte, 1:8 Tore – der Start ist gründlich missglückt. Sportliche Enttäuschungen schocken eingefleischte Herthaner aber schon länger nicht mehr. Alarmierend hingegen ist, dass der Führungswechsel an der Klubspitze anscheinend keinen Frieden in den Verein bringen konnte. Und ja, auch beim lieben Geld heißt es 2023 im Hauptstadt-Fußball wieder: Im Westen nichts Neues.
Das Schöne am Fußball, so heißt es oft, ist die schnelle Möglichkeit zur Wiedergutmachung. Eine ganz besondere Chance bietet sich Hertha BSC dafür an diesem Sonnabend. Im Olympiastadion empfangen die Charlottenburger den 1. FC Union zum Stadtderby. »Das ist mehr als ein Spiel«, meint Kay Bernstein. Herthas Präsident hat Recht: Ein Sieg würde den grauen Alltag in Westend nicht nur erträglicher machen, sondern könnte auch Kräfte in der Mannschaft wecken, die Trainer Sandro Schwarz und seine Spieler bislang gut versteckt haben. Mit nur 14 Punkten nach 17 Spielen hat Hertha die schlechteste Hinrunde seit 13 Jahren hinter sich – damals folgte der Abstieg.
Allerdings – das ist auch im Fußball so – kann es immer anders kommen, als man denkt. Erst recht, wenn man den Mund zu voll nimmt. Im größenwahnsinnigen Duktus vergangener Tage befeuert nun auch der neue Präsident die Stimmung vor dem Derby: »Berlin gegen Köpenick!« Dabei war es gerade das klare, zurückhaltende und realistische Auftreten von Kay Bernstein nach seiner Wahl im vergangenen Juni, das Sympathien und Hoffnungen für eine Hertha weckte, die selbst unter den treuesten Begleitern für Unverständnis, Ablehnung und Wut sorgte. Die sonnenschimmernde Stimmung des Sommers wurde schnell wieder verspielt, eine weitere Niederlage gegen den ungeliebten Konkurrenten aus Köpenick könnte die Atmosphäre bedrohlich verschlechtern.
Viel spricht nicht für einen Sieg des Vorletzten gegen den Vize-Herbstmeister. Während Hertha beim 0:5 gegen den VfL Wolfsburg am Dienstag laut Trainer Schwarz »auf die Fresse« bekam, gelang dem 1. FC Union einen Tag später mit dem 2:1 bei Werder Bremen der zweite Sieg im zweiten Spiel des neuen Jahres. Mit 33 Punkten und der besten Hinrunde ihrer noch jungen Bundesliga-Geschichte stehen die Köpenicker hinter Rekordmeister Bayern München auf Platz zwei. Dennoch bleibt Demut ein entscheidender Erfolgsfaktor: Anderes als das Ziel Klassenerhalt wird man erst hören, wenn tatsächlich die dafür veranschlagten 40 Punkte eingespielt sind.
»Wir wollen die Woche mit einem Sieg vergolden«, sagt Unions Mittelfeldspieler Rani Khedira mit Blick auf das Derby. Natürlich ist das Duell mit Hertha BSC auch für Union ein besonderes. Nicht nur die Fans, der ganze Verein feiert und genießt es nach mittlerweile vier Siegen in Folge, unangefochtener »Stadtmeister« zu sein. Doch die leiseren Berliner Fußballtöne und die damit verbundene Konzentration allein auf das, was man selbst leisten und beeinflussen kann, sind auch eine Erklärung für die gute Entwicklung des FCU.
Wie stabil die sportliche Basis ist, zeigt der Jahresstart. Unbeeindruckt von einer Schwächephase vor der Winterpause wurden Hoffenheim und Bremen besiegt – beide Spiele wurden gedreht. »Es wurde uns lange als Schwäche ausgelegt, dass wir nach Rückständen nicht mehr reagieren können. Jetzt haben wir es das ein oder andere Mal geschafft. Ich glaube schon, dass uns das eine gewisse Zuversicht gibt«, freut sich Trainer Urs Fischer vor dem Derby über eine neu gewonnene Qualität.
Denn trotz aller Zurückhaltung will der 1. FC Union gewonnenes Terrain verteidigen. Josip Juranovic ist das beste Beispiel. Der jüngste Wechsel von Julian Ryerson nach Dortmund passte Fischer »überhaupt nicht«. »Aber so ist das Geschäft«, ärgerte sich der Trainer – und freut sich jetzt über Juranovic. Der 27-jährige Abwehrspieler lief bei der WM in Katar in sechs Spielen auf und wurde mit Kroatien Dritter. Die Köpenicker können und wollen es sich leisten, für mindestens acht Millionen Euro einen begehrten Fußballer in die Alte Försterei zu holen. Gegen Bremen stand Juranovic in der Startelf – und wurde danach mit lobenden Worten überschüttet.
Die Sprache in Charlottenburg ist wesentlich derber. Sportchef Fredi Bobic beschrieb die erste Halbzeit gegen Wolfsburg als »das Schlechteste, was ich in dieser Saison gesehen habe«. Und der sportliche Offenbarungseid wirkte gleich doppelt. Denn auf der Tribüne des Olympiastadions saß der US-Amerikaner Joshua Wander, der mit seiner Investment-Firma 777 Partners die Klubanteile des bisherigen Investors Lars Windhorst kaufen will. Geeinigt hätten sich die beiden Parteien wohl schon. Hertha BSC wird trotz eines Vetorechts wohl nicht dazwischenfunken. Der Klub ist arm dran: In der vergangenen Saison hat er fast 80 Millionen Euro Verlust gemacht, für die laufende Spielzeit wird mit einem Minus von rund 60 Millionen gerechnet. Und die 374 Millionen Euro von Windhorst sind längst ausgegeben.
Für diese Summe hatte sich die klamme Hertha im Sommer 2019 an den Investor verkauft. Unheilvoll war die Verbindung von Beginn an, sie endete nach unwürdigen Schlammschlachten in einem nicht aufzulösenden Streit, der letztlich auch dem langjährigen Vereinspräsidenten Werner Gegenbauer zum Verhängnis wurde. Ende November kamen Gerüchte auf, dass Windhorsts Anteile von rund 65 Prozent an der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA nur noch die Hälfte wert sein könnten. Besser ist seitdem nichts geworden, ganz im Gegenteil.
Eigentlich sollte man im Verein bemüht sein, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Aber so wie Hertha BSC seit längerem kein wirkliches Team auf den Fußballplatz bekommt, scheint es auch noch immer ein Gegeneinander der Verantwortungsträger zu geben. Bernstein und Bobic trugen gerade zwei Streitfälle in der Öffentlichkeit aus. Erst wollte der Präsident »Reisende nicht aufhalten«, als darüber diskutiert wurde, ob Bobic ein Kandidat für den DFB wäre. »Klappe halten«, konterte der Sportdirektor indirekt, nachdem Bernstein über die Verbindung zum neuen Investor gesprochen hatte. Vielleicht war das ja abzusehen, denn Bobic soll bei der Präsidentschaftswahl für Bernsteins Konkurrenten Frank Steffel gestimmt haben.
Schlechte Arbeit bringt schlechte Ergebnisse, überall. Was all das im Falle eines Abstiegs anrichten könnte, dürfte jedem Hertha-Fan Angst machen. Aber jetzt kommt ja erst einmal Union. »Das Derby kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, weil du eine Riesenchance hast, in diesem Spiel die Stimmungslage zu drehen«, sagt Herthas Trainer Schwarz. Mit Worten wurde jedoch noch kein Fußballspiel gewonnen.
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