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- Reparationen an Griechenland
Die Verbrechen sind bekannt
Das Thema Reparationen an Griechenland ist noch längst nicht erledigt
Im Juli vergangenen Jahres bekräftigte Außenministerin Annalena Baerbock in Athen die altbekannte Position der Bundesrepublik zu den Reparationsforderungen Griechenlands. Das Thema sei für Deutschland abgehakt, juristisch nichts zu machen. Offenbar zu kurz gedacht, wie eine Veranstaltung am vergangenen Mittwoch im »Haus der Demokratie« in Berlin in Aussicht stellte.
Zwei Dinge seien voneinander zu trennen, äußerte Gregor Gysi: Zum einen die Zwangskredite, zu denen der griechische Staat von den Nazis erpresst wurde; zum anderen Entschädigungen für die menschlichen Opfer und die materiellen Zerstörungen in Griechenland unter der deutschen Besatzung.
Aris Radiopoulos, Autor der an diesem Abend vorgestellten umfassenden Quellenedition über die deutschen Kriegsschulden an Griechenland, schätzt die Rückzahlungssumme der Kriegskredite auf neun bis 13 Milliarden Euro. Der griechische Diplomat hat aus dem Archiv seines Ministeriums aus rund 100 000 Blatt Aktenmaterial eine Dokumentation zusammengestellt, die nunmehr auch auf Deutsch vorliegt und erstmals die griechische Sicht und Argumentation darlegt. Für sein Buch hat der einstige Konsul in Berlin den ehemaligen griechischen Staatspräsidenten Prokopios Pavlopoulos gewinnen können.
Pavlopoulos betont, es gebe »kein einziges stichhaltiges Argument, das heute den griechischen Anspruch auf die Bezahlung der Schulden entkräften würde«. Er beruft sich auf das Völkerrecht – wie es zu jeder Gelegenheit die deutsche Außenministerin tut. Bei ihrem Staatsbesuch in Griechenland im vergangenen Sommer freilich war davon keine Rede. Jedenfalls nicht in Bezug auf die von Deutschland im Zweiten Weltkrieg Griechenland oktroyierten Zwangskredite, die sie nicht einmal erwähnte.
500 Millionen Reichsmark hatten die Nazis von der Athener Zentralbank erpresst. Deren Rückzahlung begründet Pavlopoulos unter anderem damit, dass »die Tilgung des Kredits bereits in der Besatzungszeit begonnen hatte«. Gysi hatte schon im Oktober 2018, als er in seiner Funktion des Vorsitzenden der deutsch-griechischen Parlamentariergruppe im Bundestag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei dessen Staatsbesuch in Griechenland begleitete, geäußert: Wenn Völkerrecht einen Sinn macht und nicht das Recht des Stärkeren gelte, sagte Gysi nun, dann müsse dieser Sachstand endlich anerkannt werden.
Und die Entschädigungen für Zwangsarbeiter und Opfer sowie Reparationen für die Verwüstungen im Land?
Polen und Griechenland haben im Unterschied zu anderen europäischen Nationen, die unter deutscher Okkupation gelitten hatten, nie offiziell auf Entschädigungszahlungen verzichtet. Erst kürzlich ertönten wieder schrille Forderungen aus Warschau – folgerichtig, da aus der Bundesregierung Stimmen laut geworden waren, die Reparationszahlungen von Russland für die Ukraine fordern. Das darf wohl als Doppelmoral bezeichnet werden.
Radiopoulos betonte bei der Veranstaltung in Berlin, wie schlecht das Ansehen der Deutschen in Griechenland derzeit sei – »ein unglaublicher Tiefpunkt« sei erreicht. Diesen sieht er auch in den »Anpassungsprogrammen« während der Schuldenkrise begründet. Im Buch zitiert Radiopoulos auch Claudia Roth (Grüne), die heutige Staatsministerin für Kultur und Medien. Ende 2017 habe sie ihm in einem persönlichen Gespräch gestanden: »Angriffe der deutschen Presse gegen Griechenland in der Zeit der griechischen Schuldenkrise wären nicht erfolgt, wenn die Verbrechen der Wehrmacht während der Besatzung einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland bekannt wären.«
Sie sind bekannt! 500 000 Tote hatte Griechenland unter deutscher Okkupation zu beklagen. Etwa 60 000 griechische Juden wurden in die Vernichtungslager deportiert, darunter fast die Hälfte der Einwohner von Thessaloniki. Die durch die NS-Besatzung verschuldete Hungersnot wird mit weiteren 200 000 Toten beziffert. Radiopoulos schreibt hierzu: »Die deutsche Taktik der verbrannten Erde war der Todesstoß für ein Land, dessen Wirtschaft die Besatzungsmächte bewusst durch die über die Besatzungskosten hinausgehende Ausblutung der öffentlichen Kassen und die Inflation in Millionenhöhe zerstört hatten; eine Politik, die dazu beitrug, dass die Menschen zu Tausenden verhungerten.«
Zur Pariser Reparationskonferenz von 1945 hatte Griechenland 14,6 Milliarden US-Dollar angemeldet; letztlich erhielt Athen laut Radiopoulos weniger als ein Prozent der Ansprüche», rund 20 Millionen.
Radiopoulos erwähnt den «deutsch-griechischen Zukunftsfonds», der seit 2014 so etwas wie ein Ersatz für ausgebliebene Entschädigungszahlungen sein sollte und alljährlich mit einer Summe von einer Million Euro ausgestattet wird. Damit sollen Projekte gefördert werden, «die zu einer Verbesserung der deutsch-griechischen bilateralen Beziehungen, zum Aufbau einer gemeinsamen Erinnerungskultur sowie zur Versöhnung mit den Märtyrerdörfern und jüdischen Gemeinden beitragen», wie es in einer offiziellen Stellungnahme der Bundesregierung heißt. Radiopoulos schreibt bewusst «deutsch-›griechischer‹ Zukunftsfonds», setzt «griechisch» also in Anführungszeichen. Warum? «Weil der Fonds nicht griechisch ist», sagt er. «Sie benutzen uns, ohne uns zu fragen.» Allüren einer großen Nation gegenüber einer kleinen.
Und die Position von Außenministerin Baerbock? Das Buch sei ihr bei ihrem Antrittsbesuch in Athen überreicht worden, so der Autor. Keine Reaktion, nichts. «Die Menschen wieder ins Gespräch zu bringen», wie sie es in einem Interview in «Ta Nea» verkündet hatte? Auch davon ist nichts zu vernehmen. Beim Treffen mit ihrem griechischen Kollegen, Außenminister Nikos Dendias, Ende Juli 2022 habe Baerbock für ein «aufrichtiges Gespräch» mit Griechenland über die Vergangenheit plädiert, hieß es in der Presse. Und: Sie habe sich «zur sozialen und medizinischen Unterstützung von Überlebenden und zur Förderung von Solidaritäts- und Erinnerungsprojekten» bereit gezeigt. Auch dazu sind bisher keine konkreten Folgen bekannt geworden. Wieder also nichts als Worthülsen und Plattitüden einer deutschen Regierungsvertreterin?
Die Stimmen aus Griechenland verstummen jedenfalls nicht. Als die griechische Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou jüngst ihren ersten offiziellen Staatsbesuch in Deutschland absolvierte, erinnerte sie in Gesprächen mit Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz erneut an «deutsche Reparationszahlungen».
Gysi erinnerte daran, dass die Bundesrepublik in und an der Finanzkrise vor über zehn Jahren durch gemein-geschickte Konstruktionen zwei Milliarden Euro verdient hat. Dies hatte eine Anfrage im Bundestag offenbart. Gysi fragte sich und das Publikum: «Wieso verdienen wir an einer solchen Krise? Und warum fallen wir über die Griechen so her?» Der Linkspolitiker forderte, die Sprachlosigkeit und die starrsinnige Haltung deutscher Bundesregierungen endlich zu überwinden.
Aris Radiopoulos: Die griechischen Reparationsforderungen gegenüber Deutschland. Archivdokumente des griechischen Außenministeriums. A. d. Griech. v. Christian Gonsa. Metropol-Verlag, 604 S., kart., 36 €.
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