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Belegschaft gegen lautlose Schließung
Beim traditionsreichen Automobilzulieferer GKN in Sachsen sind über 800 Arbeitsplätze bedroht
Am Anfang stand der Trabant. In dem populären DDR-Kleinwagen sorgten Gelenkwellen aus Mosel bei Zwickau für die »Kraftübertragung des Antriebsdrehmoments« vom Motor auf die Vorderräder. So heißt es in einem Kurzfilm von 1985, in dem das vier Jahre zuvor neu errichtete Gelenkwellenwerk des VEB Sachsenring Zwickau vorgestellt wird. Es handle sich um einen Betrieb mit einem Automatisierungsgrad von 80 Prozent und einer »freundlichen Gestaltung der Arbeitswelt«, die sich bei den 1000 Beschäftigten »leistungsfördernd« auswirke.
42 Jahre später besteht das Werk, das nach dem Ende der DDR und der Zerschlagung des Sachsenring-Kombinats vom britischen Unternehmen GKN übernommen wurde, immer noch. Allerdings stellt sich die Arbeitswelt für die aktuell 835 Beschäftigten derzeit alles andere als freundlich dar. Mitte Januar gab GKN bekannt, das Werk in Mosel schließen zu wollen. Die Mitarbeiter sind entsprechend sauer. Ihnen sei jahrelang erklärt worden, dass bei GKN der Mensch im Mittelpunkt stehe, sagt Betriebsrätin Petra Seifert: »Aber wir sind alle nur eine unbedeutende Nummer.«
Als sicher kann gelten, dass Zahlen beim derzeitigen Eigentümer des Unternehmens oberste Priorität haben. Das Unternehmen GKN, das seinerseits auf eine Geschichte seit Mitte des 18. Jahrhunderts zurückblickt, sich als Weltmarktführer im Bereich Antriebe bezeichnet und an 51 Standorten rund 25 000 Beschäftigte hat, wurde 2018 nach finanziellen Schwierigkeiten und einem harten Übernahmekampf für elf Milliarden Dollar von dem Sanierungsspezialisten Melrose Industries übernommen. Dessen Devise lautet: kaufen, verbessern, verkaufen (»buy, improve, sell«). Firmen werden in der Regel binnen vier bis fünf Jahren auf höhere Gewinne getrimmt und dann wieder abgestoßen. Anfang 2022 gab Melrose bekannt, dass die Schulden aus der Übernahme von GKN vorfristig hätten getilgt werden können. Im September erklärte man, die Automobilabteilung von GKN aufspalten und unter dem Dach einer neuen Gesellschaft in London an die Börse bringen zu wollen.
Leidtragende der Geschäftsoptimierung waren wiederholt Beschäftigte. So wurde im Juli 2021 ein GKN-Werk im italienischen Florenz mit 450 Beschäftigten dicht gemacht. Nun soll es das Werk in Mosel treffen. Melrose habe offenbar »hier in der Region genug herausgeholt«, sagt Benjamin Zabel, zuständiger Sekretär der IG Metall in Zwickau. Schon in den vergangenen Jahren seien Investitionen zunehmend reduziert worden. Die Belegschaft habe trotzdem für schwarze Zahlen gesorgt, sagt Jörg Kirsten, Chef des Betriebsrats. »Das ist jetzt der Dank.«
Die IG Metall betont, dass die drohende Schließung keine unmittelbare Konsequenz aus der laufenden Transformation in der Automobilbranche sei. Der Umstand, dass etwa im benachbarten Werk von Volkswagen inzwischen ausschließlich E-Autos vom Band laufen, gilt generell als große Herausforderung für sächsische Automobilzulieferer, von denen viele auf Komponenten spezialisiert sind, die nur in Autos mit Verbrennermotor verwendet werden. Aber »Gelenkwellen brauchen auch Elektroautos«, sagt Zabel. Tatsächlich empfiehlt sich GKN selbst als Technologiepartner im Bereich E-Mobilität und verweist auf Lösungen »für alle elektrifizierten Fahrzeuge«. In Mosel aber habe man auf entsprechendes Drängen von Belegschaft und Gewerkschaft ablehnend reagiert, sagt der Gewerkschafter. »Es war keinerlei Bereitschaft erkennbar, sich der Transformation zu stellen.« Das Motiv für die Abwicklung ist wohl ohnehin ein anderes. So plant GKN die Eröffnung eines Werks in Ungarn. Der Linksabgeordnete Nico Brünler vermutet daher »Kostengründe« und kritisiert »Profitgier zu Lasten der Beschäftigten«. Zabel erklärt, GKN wolle »Lohnkosten sparen und noch mehr für die Anteilseigner herausschinden«.
Die Mitarbeiter sind indes nicht gewillt, sich einfach vor die Tür setzen zu lassen. Auf einer Belegschaftsversammlung am Sonntag wurde ein Katalog von Forderungen an das Management beschlossen, der am Montag übergeben wurde und unter anderem Verhandlungen über einen Sozialtarifvertrag vorsieht. Damit sollen die Gründung einer Transfergesellschaft sowie Abfindungen geregelt werden. Vorrangiges Ziel sei aber der Erhalt der Arbeitsplätze. GKN wurde daher aufgefordert, auf die Suche nach Investoren zu gehen.
Zudem drängt die IG Metall auf Unterstützung durch die Politik in Bund, Land und Kommune. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) hatte nach Bekanntwerden der Schließungspläne erklärt, er »erwarte von GKN, diese Entscheidung zu überdenken und weiter auf die hohe Kompetenz der Beschäftigten und die gute Qualität der Arbeit in Zwickau zu setzen«. Das Ministerium und Sachsens Wirtschaftsförderer stünden für Gespräche bereit.
Mitarbeiter zeigen sich auch gewillt zum Widerstand. »Eine lautlose Werksschließung wird es mit uns nicht geben!«, sagt Betriebsratschef Kirsten. Konkrete Aktionen, etwa Demonstrationen oder Mahnwachen, sind bisher allerdings nicht geplant. Wie hartnäckig sich Belegschaften der Abwicklung ihres Betriebes widersetzen können, zeigt das Beispiel von GKN Florenz. Dort halten Hunderte Mitarbeiter das Werk seit anderthalb Jahren besetzt. Jetzt haben sie eine Solidaritätsadresse nach Mosel geschickt. In beiden Belegschaften sieht man neben dem sächsischen Werk auch die anderen drei deutschen GKN-Standorte in Offenbach, Kiel und Trier gefährdet. Die vom Management für Mosel angeführten wirtschaftlichen Argumente träfen für diese in gleicher Weise zu. »Wenn wir weg sind«, sagt Betriebsratschef Kirsten, »ist das nächste Werk dran.«
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