• Berlin
  • Bundesverfassungsgericht zu Wahlwiederholung

Ein einziger Wahlkrampf

Die Berliner Wiederholungswahl kann am 12. Februar stattfinden, doch die Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit steht noch aus

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein kollektives Aufatmen geht durch die Berliner Landespolitik und die Behörden: Die Wiederholungswahl darf wie geplant am 12. Februar stattfinden. Diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag veröffentlicht. Es lehnte damit den Eilantrag der 42 Beschwerdeführer*innen ab, die einen vorläufigen Stopp der Wiederholungswahl gefordert hatten. »Wir atmen jetzt durch, weil die Entscheidung uns Planungssicherheit gibt«, sagte der Landeswahlleiter Stephan Bröchler am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. »Wir können nun auf Hochtouren mit der Planung und Durchführung der Wahl fortfahren.«

Auch die aktuell wahlkämpfenden Parteiführungen begrüßen die Entscheidung. »Wir nehmen mit Erleichterung zur Kenntnis, dass das Gericht (…) einen Stopp der Wiederholungswahl nicht für geboten hält«, schreiben Susanne Mertens und Philmon Ghirmai, Landesvorsitzende der Berliner Grünen. Raed Saleh, Landes- und Fraktionsvorsitzender der Berliner SPD, nimmt den Beschluss zum Anlass für noch etwas Wahlwerbung: »Nicht Frau Jarasch und Herr Wegner, sondern die Berlinerinnen und Berliner treffen am 12. Februar zwei echte Richtungsentscheidungen.« Und Stefan Evers, Generalsekretär der Berliner CDU, freut sich: »Die Möchtegern-Wahlverhinderer aus FDP, SPD und Linke sind mit ihrem Versuch gescheitert, die Wahl noch in letzter Minute zu stoppen. Gut für die Demokratie, gut für Berlin.«

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Doch der höchstrichterliche Beschluss in der Hauptsache steht noch aus: War das Urteil des Landesverfassungsgerichtes vom 16. November, die Wahl müsse komplett wiederholt werden, verhältnismäßig? Und steht damit die Wahlwiederholung überhaupt auf rechtmäßigen Füßen? Frühestens Anfang März, also erst nach den Wiederholungswahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen, wird das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit entscheiden. Es hat alle Mitglieder des Abgeordnetenhauses gebeten, bis zum 2. März zu der Frage Stellung zu beziehen.

Die Wiederholungswahl steht deshalb weiterhin unter Vorbehalt. Falls das Bundesverfassungsgericht das Urteil des Landesverfassungsgerichtes tatsächlich revidiert, hätte Berlin diesen Februar umsonst gewählt. Zu welcher Haltung das Gericht tendiert, lässt sich aus der Ablehnung des Eilantrages allerdings schwer herauslesen – eine Begründung liegt bisher nicht vor und soll erst in den kommenden Tagen die Beschwerdeführer*innen erreichen.

Dass sich so kurz vor der Wiederholungswahl das Bundesverfassungsgericht einmischt, geht auf eine Verfassungsbeschwerde von Mitte Dezember zurück. Acht Abgeordnete der SPD-, FDP- und Linksfraktion des Abgeordnetenhauses, dazu 15 Mitglieder verschiedener Bezirksverordnetenversammlungen, neben einem Grünen ebenfalls von SPD, FDP und Die Linke, klagten gegen das Urteil des Landesverfassungsgerichts. Zwar zweifelten sie nicht an den zum Teil mandatsrelevanten Wahlbeanstandungen – sie sahen aber keine ausreichenden Nachweise für flächendeckende Fehler, die eine Komplettwiederholung erforderlich machten. Sechs der zwölf Bezirke wiesen demnach keine relevanten Pannen vor. Für die angeblich »erheblichen Wartezeiten« habe das Landesverfassungsgericht keine Beweise vorgelegt, wichtige Zeug*innenvernehmungen habe es unterlassen. Außerdem schrieben die Beschwerdeführer*innen, das Gericht habe unter »Außerachtlassung der in der (bundes-)verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Wahlprüfung« geurteilt.

Für Sebastian Schlüsselburg, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und Teil der beschwerdeführenden Gruppe, bedeutet alleine die Prüfung der Beschwerde einen Erfolg. Denn ob sich das Bundesverfassungsgericht überhaupt mit der Beschwerde beschäftigen würde, sei anfangs nicht klar gewesen. Normalerweise sieht sich das Gericht nicht für Landesverfassungsfragen zuständig – doch da in diesem Fall gleichzeitig für den Bundestag gewählt wurde, betrifft die Frage der angemessenen Wahlprüfung nicht nur das Land Berlin.

Schlüsselburg betont gegenüber »nd«, dass es ihm vor allem um die 1,8 Millionen fehlerfreien Stimmen vom 26. September 2021 geht. »Das ist die in einer Demokratie entscheidende Frage: Können diese Stimmen gelöscht werden, nur weil bei rund 20 000 Stimmen ein Fehler gefunden wurde?« Fast die Hälfte aller Stimmen sei damals bereits über Briefwahl eingegangen – »da gab es kein Problem mit langen Schlangen, Wählen nach 18 Uhr oder Mangel an Wahlkabinen«. In Schlüsselburgs Augen ist das Landesverfassungsgericht mit seinem Urteil »deutlich über das Ziel geschossen«.

Ein Parlament dürfe nicht leichtfertig aufgelöst werden, meint auch Stefan Förster, FDP-Abgeordneter und Mit-Beschwerdeführer. »Das ist eine Lehre aus der Weimarer Republik, sonst könnten extreme Kräfte immer wieder Neuwahlen herbeiführen.« Er hält den Ausgang für offen. »Es gibt eine ganze Reihe von Eilanträgen, die abgelehnt wurden, und später wurde in der Sache trotzdem Recht gegeben.« Neben den zwei Optionen, entweder die Beschwerde in der Hauptsache abzulehnen oder eben anzunehmen und damit das Urteil zur Komplettwiederholung zu revidieren, sieht er noch einen dritten Weg. Von der Februar-Wahl könnten nur die rund 15 Prozent der Stimmen gewertet werden, die bei der Pannenwahl von 2021 tatsächlich beanstandet wurden.

Moheb Shafaqyar, Bezirksverordneter der Linken in Friedrichshain-Kreuzberg und ebenfalls an der Beschwerde beteiligt, hält die jetzige Situation für problematisch. »Berliner*innen sollen nun zur Wahl gehen, auf die Gefahr hin, dass das am Ende umsonst sein könnte?« Pessimistisch stimmt ihn auch die Beteiligung des Bundesverfassungsrichters Peter Müller an der aktuellen Entscheidung. Müller hatte im Vorfeld des Landesverfassungsurteils in einem Interview mit dem FAZ-Podcast »Einspruch« eine persönliche Einschätzung zur Pannenwahl abgegeben. Er verglich sie mit Wahlen »in irgendeinem diktatorischen sogenannten Entwicklungsland«. Shafaqyar hält ihn deshalb für befangen. »Dass er jetzt mitentschieden hat und über die Befangenheitsfrage nicht einmal entschieden wurde, ist extrem befremdlich. Derselbe Senat hat Richterinnen für weit weniger wegen des Eindrucks der Befangenheit ausgeschlossen.«

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