Mit dem Flugzeug in die Provinz

Luftbrücke, kommunale Praxis: In Frankreich suchen Bürgermeister neue Wege gegen den Medizinermangel

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Etwas seltsam mutet es den Chirurgen Serge Douvier schon an, in Dijon in ein gewöhnlich von Konzernchefs oder anderen Geschäftsreisenden benutztes kleines Flugzeug zu steigen, das ihn in das knapp 200 Kilometer entfernte Nevers bringen soll. »Man kommt sich vor wie James Bond«, witzelt er. Gemeinsam mit sieben Kollegen hilft er einmal in der Woche im Krankenhaus von Nevers aus, wo aktuell mehr als 50 Ärzte fehlen. Douvier, für den an diesem Tag mehrere Operationen angesetzt sind, weiß den Komfort zu schätzen. Durch den Flug, der 35 Minuten dauert, kommen die Ärzte nicht schon erschöpft von der Reise an. Mit dem Auto würden sie mehr als drei Stunden benötigen, mit der Bahn zweieinhalb Stunden.

Für das Krankenhaus von Nevers kostet das Flugzeug für den wöchentlichen Hin- und Rückflug jedes Mal 5600 Euro. Doch dafür spart es pro Jahr 3,5 Millionen Euro an Honoraren für freiberufliche Interimsärzte ein. Die Fachärzte, die für den »Solidaritätseinsatz« eingeflogen werden, sind am Krankenhaus von Dijon fest angestellt und bekommen für die Zusatzarbeit in Nevers nur einen Zuschlag. In der mitten in einem ausgedehnten Waldgebiet liegenden Stadt ist die Zustimmung zu der Aktion groß. Nur einige Umweltschützer haben Bedenken wegen der durch den Flug verursachten CO2-Emissionen.

Entgegen einer weitverbreiteten Überzeugung der Franzosen mangelt es im Land aber insgesamt nicht an Ärzten. Kamen 1968 auf 100 000 Einwohner 119 Mediziner, so waren es im vergangenen Jahr 318. Doch nach wie vor wehrt sich der Berufsstand gegen Pläne, Berufsanfänger für ihre ersten Jahre in unterversorgte ländliche Gebiete zu schicken, während sich die meisten jungen Ärzte lieber in Paris oder an der Côte d’Azur niederlassen wollen. Dadurch gibt es eine große Diskrepanz vor allem zuungunsten ländlicher Gebiete. Ein Drittel der Bevölkerung lebt in der »medizinischen Wüste«. Selbst im Pariser Umland hat jeder vierte Einwohner keinen Hausarzt, den er regelmäßig konsultieren kann. In abgelegenen ländlichen Gebieten trifft das auf bis zu 90 Prozent der dortigen Bevölkerung zu.

An Ideen und Initiativen, wie dieses Problem vor Ort gelöst werden kann, mangelt es nicht. Viele Kommunen stellen entlang der Umgehungsstraßen große Transparente auf, auf denen sie um Ärzte werben. Hinzu kommen Inserate in Zeitungen oder Auftritte in den sozialen Medien. Oft wird dabei mit einer finanziellen Starthilfe gelockt. Wer einen Arzt vermittelt, bekommt dafür eine Prämie von mindestens 1000 Euro.

So macht es beispielsweise die Kleinstadt Vert-le-Grand, die trotzdem seit zwei Jahren ohne Arzt ist, und dies, obwohl sie nur 40 Kilometer von Paris entfernt liegt. Dabei hat die Gemeinde sogar schon eine Gemeinschaftspraxis vorbereitet, die für zwei Ärzte geeignet wäre und für die in den ersten beiden Jahren keine Miete berechnet werden soll.

Andere Bürgermeister haben längst die Hoffnung aufgegeben, dass sich bei ihnen ein Mediziner auf Dauer niederlässt, und werden selbst aktiv. Die Kleinstadt Olliergues im Departement Puy-de-Dôme hat eine Allgemeinmedizinerin für ein Monatsgehalt von 4500 Euro netto angestellt. Olliergues, das vier Jahre lang ohne Arzt war, nachdem der letzte in Rente gegangen war, hat eine Praxis erworben und zu einer kleinen kommunalen Poliklinik ausgebaut. Im September kommt noch ein zweiter Allgemeinmediziner, und nun ist Bürgermeister Arnaud Provenchère auf der Suche nach Fachärzten, die das Duo ergänzen sollen. Die Erstattungen der Krankenkasse für die Arztkonsultationen bekommt die Stadt, ebenso wie die Beihilfen der regionalen Gesundheitsbehörde.

Das Beispiel macht Schule, denn immer mehr junge Ärzte wollen sich nicht mit einer eigenen Praxis niederlassen, weil das teuer ist und man dann für viele Jahre an den Ort gebunden ist, während man als angestellter Arzt nach einigen Jahren den Ort wechseln kann. Das kalkulieren viele Bürgermeister ein und bieten Medizinstudenten ein Stipendium an, wenn sie sich verpflichten, nach Abschluss des Studiums eine vertraglich vereinbarte Zahl von Jahren in ihrer Kommune zu arbeiten.

Viele Orte müssen sich allerdings mit einer Minimallösung zufriedengeben und ihren Einwohnern anbieten, sich über Internet mit einem Arzt in einer fernen Stadt in Verbindung zu setzen. Dafür haben viele Kommunen einen Raum für Telekonsultation eingerichtet, der mit entsprechender Untersuchungs- und Übermittlungstechnik ausgestattet ist und wo eine Gemeindeschwester dem Patienten bei der Untersuchung und dem Dialog mit dem per Internet zugeschalteten Arzt hilft. Diese Methode hat aber Grenzen. Beispielsweise ist der Herzschlag nicht gut genug zu hören, um Unregelmäßigkeiten festzustellen. Ganz zu schweigen von den nicht möglichen Blutuntersuchungen. So bleibt zu oft doch nur, ins Auto zu steigen oder die Bahn zu nehmen, um zum nächsten Arzt zu kommen.

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