Ein Gespenst geht um in Washington

Julian Hitschler zur Resolution des US-Repräsentantenhauses gegen »die Schrecken des Sozialismus«

  • Julian Hitschler
  • Lesedauer: 2 Min.
Beschäftigt die Gemüter in Washington auch noch posthum: Fidel Castro, hier 1963 in der Sowjetunion
Beschäftigt die Gemüter in Washington auch noch posthum: Fidel Castro, hier 1963 in der Sowjetunion

Das US-Repräsentantenhaus hat eine Resolution »zur Verurteilung der Schrecken des Sozialismus« verabschiedet – und diese liest sich genau so, wie man sich das vorstellt. Als Beispiele für welthistorische Schurken, die »einige der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte« begangen hätten, nennt das Dokument Stalin und Pol Pot in einem Atemzug mit Hugo Chávez, Nicolás Maduro und Fidel Castro. Vor allem Letzterer scheint im rapide gentrifizierenden Washington weiter mietfrei im Kopf des US-Establishments zu wohnen: Enteignungen von Land und Betrieben nach der kubanischen Revolution schaffen es auf dieselbe Liste der Vergehen wie sowjetische Gulags. Diese Vergleiche sind so absurd, dass sie sich selbst disqualifizieren sollten.

Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden, sind und bleiben Verbrechen und müssen verurteilt werden – ohne Wenn und Aber. Man kann dies tun, ohne vorzugeben, das Erbe des »Sozialismus« beschränke sich auf gescheiterte autoritäre Experimente. Sozialist*innen riefen vielerorts die Arbeiterbewegung ins Leben, erkämpften fundamentale demokratische Rechte, ebenso wie die Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten und führten antikoloniale Befreiungsbewegungen an.

Niemand in Washington käme jemals auf die Idee, die Gewalttaten, die unter Augusto Pinochet oder Suharto begangen wurden, »dem Kapitalismus« anzulasten. Mit der Resolution verfolgten die Republikaner wohl den Zweck, die Demokratische Fraktion bloßzustellen, die dem Entwurf etwa zur Hälfte zustimmte. Doch schon daran zeigt sich, dass sich »Sozialismus« in den USA nicht mehr annähernd so gut als Schreckgespenst eignet wie zur Zeit des Kalten Krieges: Vor 20 Jahren wäre die Abstimmung wohl einstimmig ausgefallen – oder gegen die einsame Gegenstimme eines gewissen Abgeordneten Sanders.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -