»Twitter soll profitabel werden«

Ohne Rücksicht auf Verluste geht der Umbau des beliebten Kurznachrichtendienstes voran. Ein Gespräch über die Zukunft des Mediums.

Während Elon Musk selbst sich gern als Befreier der Plattform inszeniert, sehen andere längst den Untergang des Mediums eingeläutet.
Während Elon Musk selbst sich gern als Befreier der Plattform inszeniert, sehen andere längst den Untergang des Mediums eingeläutet.

Drei Monate Twitter unter Elon Musk: Wie ist es derzeit um die Plattform bestellt?

Interview

Sebastian Sevignani ist Soziologe und Medien- und Kommunikationswissenschaftler. Er hat mit einer Arbeit über die Widersprüche von Privatheit im digitalen Kapitalismus promoviert und arbeitet am Fachbereich Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Natürlich, allgemein ist die mediale Berichterstattung eher negativ. Und das hat auch direkte Auswirkungen auf das Geschäft. Denn genauso wie andere soziale Medien ist auch Twitter sehr stark von Werbeanzeigen abhängig. Dieser Bereich macht immerhin 90 Prozent des Umsatzes aus. Offizielle Zahlen veröffentlicht das Unternehmen gerade zwar nicht, aber aus internen und medialen Berichten geht hervor, dass seit der Übernahme etwa 500 der wichtigsten Werbekunden vorerst ihre Tätigkeit auf der Plattform eingestellt haben. Die Rede ist dabei von einem Rückgang des Tagesumsatzes von etwa 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Neben dem drastischen Einbruch der Werbeeinnahmen trägt Twitter auch noch einen gehörigen Schuldenberg mit sich. Das liegt daran, dass das Unternehmen Kredite in Höhe von 13 Milliarden US-Dollar aufnehmen musste, um die Übernahme finanzieren zu können. Gleichzeitig darf man aber auch nicht vergessen, dass Twitter bereits zuvor kein unbedingt gewinnträchtiges Unternehmen war.

Das könnte sich in Zukunft ändern?

Ja, wir können gerade in Echtzeit verfolgen, wie das Unternehmen auf Profitabilität getrimmt wird. Und die Leute, die dafür verantwortlich sind, haben wirklich Erfahrung damit. Ich glaube, man sollte nicht unterschätzen, was da gerade passiert.

Nämlich?

Ein radikaler Umbau des gesamten Unternehmens, bei dem die Einsparung von Personal oberste Priorität hat. Bereits wenige Wochen nach der Übernahme veranlasste Elon Musk ja eine umfassende Entlassungswelle. Nach Angaben des Unternehmens hat sich die Zahl der Angestellten von ehemals 7500 auf mittlerweile 2300 reduziert. Das heißt, es wurden mal eben knapp 70 Prozent der Belegschaft rausgeschmissen. Das reduziert die laufenden Kosten schon mal enorm. Zugleich führt es dazu, dass die Verbliebenen mehr und vor allem unter schlechteren Bedingungen arbeiten müssen. Diejenigen, die bleiben, sind die Angestellten, die entweder mit dem Umbau des Unternehmens keine Probleme haben oder aber für sich auf dem Arbeitsmarkt keine anderen Chancen mehr sehen.

Hat das auch Auswirkungen auf die Performance der Plattform?

Es ist bereits zu Ausfällen der technischen Infrastruktur gekommen, ja. Aber im Großen und Ganzen scheint man das wieder in den Griff bekommen zu haben. Und das muss man sich auch mal verdeutlichen: Es gelingt Twitter, trotz 70 Prozent weniger Personals, die technische Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Eine Übersicht darüber, was im Detail alles gekürzt wurde, habe ich nicht. Was man aber weiß, ist, dass die für die Sicherheit und die Content-Moderation verantwortlichen Teams als Erstes abgebaut und neu aufgestellt wurden. Zum einen, weil die ziemlich hohe Kosten verursachen – ohne dass sie direkt daran beteiligt sind, dem Unternehmen Geld einzubringen. Zum anderen, weil die ganze Übernahme eben auch einen politischen beziehungsweise ideologischen Überbau hat. Bei dem sich, grob gesagt, die Positionen rein negativer Meinungsfreiheit – jede und jeder darf uneingeschränkt alles sagen, was sie oder er gerade denkt – und die Regulierung der Kommunikationsflüsse im Sinne einer positiv bestimmten Meinungsfreiheit gegenüberstehen. Also zum Beispiel das Sanktionieren von »Hassrede«, auf die auch staatliche Eingriffe in diese Medienmärkte zielen. Es ist für Twitter nicht nur ökonomisch teuer, Teams zu unterhalten, die sich um Nutzer*innensicherheit, Content-Moderation oder die Privatsphäre kümmern. Es ist unter dem neuen Eigentümer auch einfach politisch nicht gewollt.

Führt das nicht zu einem Dilemma? Die Reduzierung der redaktionellen Regularien hat ja überhaupt erst zu einem Anstieg rassistischer und antisemitischer Inhalte auf Twitter geführt, woraufhin die großen Werbepartner begonnen haben, ihre Anzeigen einzustellen. Wie wird das Unternehmen künftig Geld verdienen?

Es wird fieberhaft nach neuen Geschäftsmodellen gesucht. So wurde bereits mit verschiedenen Abo-Modellen experimentiert, bei denen man gegen Zahlung eines monatlichen Beitrags Sonderfunktionen bekommt. Etwa einen besonderen Status als verifizierte*r Nutzer*in oder auch den Vorzug, keine Werbung angezeigt zu bekommen. Bislang hat sich das aber nicht als erfolgversprechend erwiesen und wird daher noch überarbeitet. Was wir schon beobachten können: Die Werbeeinnahmen sollen auf eine breitere Basis gestellt werden. So ist etwa politische Werbung auf der Plattform mittlerweile wieder erlaubt. Für Europa mag das weniger relevant sein. Aber insbesondere auf dem Heimatmarkt USA, wo im Wahlkampf mit ganz anderen Summen hantiert wird, ist das ein nicht zu unterschätzender Faktor für Einnahmen. Außerdem wird aktiv versucht, Influencer*innen anzuziehen. Diese sollen auf Twitter eine entsprechende Resonanz entfalten und neue Nutzer*innen und Werbekund*innen auf die Plattform ziehen. Also so ähnlich, wie das auch bei Youtube längst der Fall ist.

Auf Twitter war in letzter Zeit häufiger zu lesen, dass Nutzer*innen vermehrt Inhalte von Leuten angezeigt werden, denen sie nicht folgen und die eher dem konservativen bis rechten Spektrum zuzuordnen sind. Ist das ein rein subjektiver Eindruck, oder wurde tatsächlich etwas am Algorithmus verändert?

Also zum jetzigen Zeitpunkt, ohne empirische Befunde, lässt sich das nur theoretisch beantworten. Klar ist, dass dieser Algorithmus, wie und wem Dinge angezeigt werden, der Kern des gesamten Geschäftsmodells ist. Und es wäre äußerst verwunderlich, wenn dieser bei einer so radikalen Übernahme eines Unternehmens unangetastet bliebe. Es steht also außer Zweifel, dass dieser Algorithmus auf bestimmte Weise weiterentwickelt wird. Aber dass da jetzt bestimmte politische Bias in Richtung konservativ und rechts eingebaut wurden, das glaube ich nicht.

Ob Digital Services Act (DSA) oder Datenschutzgrundverordnung, in der EU sind Plattformen deutlich strengeren Regularien unterworfen als in anderen Teilen der Welt. Und obwohl gegen Twitter in Deutschland derzeit mehrere Verfahren anhängig sind, in denen es um die Löschung von Falschbehauptungen und antisemitischer Inhalte geht, zeigt sich Musk bislang wenig beeindruckt. Was muss passieren, damit sich das Unternehmen auch hierzulande an die eigenen Geschäftsbedingungen hält?

Diese Ankündigungen, dass es in den sozialen Medien so unreguliert nicht weitergehen dürfe, gibt es von politischer Seite bereits seit Langem. Doch auch wenn der DSA im nächsten Jahr auf EU-Ebene in Kraft tritt, bleibt immer noch die Frage, wie viel Biss das Ganze wirklich hat. Also, ob es auch dann lediglich bei Ankündigungen bleibt, oder ob tatsächlich entsprechende Sanktionen und Maßnahmen ergriffen werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Twitter bereits vor der Ära Musk ein kommerzielles Unternehmen war und auch da nicht aus freien Stücken auf Content-Moderation gesetzt hat.

Sondern?

Immer nur dann, wenn sie es mussten. Nämlich wenn sie aufgrund gesetzlicher Bestimmungen dazu verpflichtet waren. Oder wenn es einen schädlichen Effekt auf das Werbegeschäft hatte.

Aber genau Letzteres passiert doch gerade.

Und deswegen wird Twitter, wenn es sich wie Instagram oder Facebook weiter etablieren und auf mehreren Märkten tätig sein will, über kurz oder lang auch wieder zu entsprechenden Regulierungen zurückkehren.

Und wenn nicht, was wäre die Alternative?

Solche Entscheidungen sind immer auch davon abhängig, wie lukrativ die jeweiligen Märkte sind und wo welches Geld gemacht wird. Klar ist Twitter in Deutschland etwas anderes als in den USA. Hierzulande handelt es sich eher um so etwas wie ein Elitenmedium, auf dem vor allem Journalist*innen, Politiker*innen und Wissenschaftler*innen miteinander in Austausch treten. In den USA erreicht das Medium aber viel breitere Schichten, wodurch die Frage der Werbung ein ganz anderes Gewicht bekommt. Es macht schon einen Unterschied, ob man das neueste SUV-Modell auf Twitter bewerben kann oder doch nur den Bestseller aus dem Suhrkamp-Verlag. Dennoch halte ich einen Rückzug aus Europa für kein realistisches Szenario. Derzeit sind es ja vor allem US-amerikanische Unternehmen, die den europäischen Markt bespielen. Aber zu all diesen Diensten gibt es eben auch chinesische Pendants. Und auch die wollen wachsen und könnten irgendwann mal den europäischen Markt erobern …

Ein Blick in die Zukunft: Wie geht es mit Twitter weiter?

Einerseits denke ich, dass es mit Twitter so weitergeht wie auch mit anderen privaten Medienunternehmen. Bei klassischen Medienunternehmen war das früher gang und gäbe, dass die einen Eigentümer hatten, der eben auch die Blattlinie mitbestimmt hat. Nehmen wir als Beispiel Bertelsmann als großen Konzern. Das ist auch ein kommerzielles Unternehmen, das gleichzeitig eine politische Agenda hat und wo ausgehandelt wird, wie beides zusammenpasst. Ähnlich wird das auch bei Twitter passieren. Möglich, dass Twitter dann nicht mehr so neutral oder attraktiv für linksliberale User*innen sein wird, wie das in der Vergangenheit vielleicht der Fall gewesen ist. Aber es wird vermutlich auch kein rechtes Nischen-Netzwerk. Es wird sich irgendwo dazwischen einpendeln, um profitabel zu sein.

Nach der Übernahme hatten Nutzer*innen in Scharen die Plattform verlassen, um bei anderen Diensten ihr Glück zu suchen. War Twitter vor Musk etwa ein besserer Ort?

Ein besserer Ort war es nicht, aber vielleicht war es dort netter. Doch unabhängig vom Eigentümer lässt sich am Beispiel Twitter ganz gut zeigen, was passieren kann, wenn wir unsere Kommunikationsinfrastruktur nicht gemeinschaftlich-öffentlich oder in irgendeiner Form dezentral organisieren. Der Unterschied ist einer ums Ganze. Früher gab es die Öffentlichkeit, und da hatten wir einzelne Knotenpunkte. Vielleicht auch total mächtige Knotenpunkte, die unter privater Kontrolle waren. Heutzutage ist die Ausgangslage eine völlig andere. Jetzt haben wir nicht mehr einzelne Knotenpunkte in der Öffentlichkeit, sondern Öffentlichkeit als solche, also die Infrastruktur, auf der sich unterschiedliche Medien tummeln und unterschiedliche Kommunikator*innen etwas sagen, die ist privatisiert. Und das ist ja eigentlich, was wir aus der ganzen Geschichte lernen sollten: Wir brauchen weder Twitter vor noch nach Musk, sondern ein öffentlich-dezentrales, demokratisch kontrolliertes Medium im digitalen Bereich.

Wie muss man sich das vorstellen?

Vereinfacht gesagt geht es um eine Mischung öffentlich-rechtlicher und dezentraler Medien. Dabei handelt es sich um das völlige Gegenteil von geschlossenen sozialen Netzwerken, wie wir es von Facebook, Twitter oder ähnlichen Diensten gewohnt sind. Das Stichwort lautet Interoperabilität. Im Grunde genommen geht die Forderung auf die Idee des Fediverse zurück, zu dem auch Mastodon gehört. Damit ist eine gemeinsame Infrastruktur voneinander unabhängiger sozialer Netzwerke, Mikroblogging-Dienste, Webseiten wie etwa Wikipedia et cetera gemeint, die sich allesamt mit nur einem einzelnen Benutzer*innenkonto ansteuern lassen und die nicht darauf ausgelegt sind, profitabel zu sein. In dieses dezentrale Medienuniversum sollten auch die öffentlich-rechtlichen Medien eingebunden werden.

Wenn es aber doch schon Alternativen wie Mastodon gibt, wo liegt dann noch das Problem?

Ein großer Vorteil an Twitter ist, dass man durch die Funktion der Trends sehr schnell mitbekommt, was gerade diskutiert wird und relevant ist. Deshalb ist die Plattform ja auch für Journalist*innen und Wissenschaftler*innen so interessant. Aber damit das überhaupt erst möglich wird, bedarf es bestimmter technischer Voraussetzungen. Man muss sich das mal vorstellen: Da gibt es Abertausende unterschiedlicher Gesprächsfäden auf dieser Plattform, die mal mit, mal ohne jeglichen Bezug zueinander laufen, und einen mächtigen Mechanismus im Hintergrund, der darüber entscheidet, was von diesen unzähligen Gesprächen für eine große Zahl von Menschen relevant werden kann – und warum. Genau das gehört zu den Stärken von Twitter. Und das Unternehmen nutzt diese Stärke, um damit Geld zu verdienen. Einen vergleichbaren Mechanismus für ein dezentrales Netzwerk wie Mastodon oder das Fediverse zu entwickeln, die keiner ökonomischen Logik folgend funktionieren, ist jedoch eine wichtige Herausforderung.

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