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  • 10 Jahre Alternative für Deutschland

Die AfD ist eine Höcke-Partei

Völkischer Nationalismus war von Beginn an dabei

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Es gibt da eine alte E-Mail, die Alice Weidel in diesen Tagen zum zweiten Mal einholt. Versendet am 24. Februar 2013, die AfD ist noch keine drei Wochen alt. In dieser Nachricht soll sich die heutige Parteivorsitzende einem Bekannten gegenüber in einer Mischung aus Reichsbürgersprech und extrem rechter Verschwörungsideologie äußern. In der Mail ist von »kulturfremden Völkern« die Rede, die zur »systematischen Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft« eingesetzt würden. Deutschland werde »von Verfassungsfeinden« regiert, die »nichts anderes als Marionetten der Siegermächte« seien. Stichworte wie »Bürgerkriege«, »Überfremdung« und Zweifel an Deutschlands Souveränität fallen. Die Mail ist unterschrieben mit Lille – Weidels Spitznamen.

Ein Team des ZDF-Magazins »Frontal« konfrontierte die AfD-Vorsitzende kürzlich mit dieser Mail, die vor ein paar Jahren schon einmal kurz Thema war. Die Journalist*innen machten den Empfänger jener mutmaßlich von Weidel stammenden Nachricht ausfindig, der eine eidesstattliche Versicherung abgab, um die Echtheit zu bezeugen. Die AfD-Politikerin wiederum bestreitet nicht, Verfasserin dieser Mail zu sein, sondern sagt nur, sie werde sich dazu nicht äußern. Auch eine eidesstattliche Erklärung lehnt sie ab. Ein zweifelhaftes Vorgehen, wenn Weidel einfach sagen könnte, dass die Nachricht nicht von ihr ist – sofern dies den Tatsachen entspricht.

Solche und andere Beispiele nagen an der Erzählung, die AfD habe sich erst über die Jahre radikalisiert. Exakter müsste es heißen: All das, was die Partei heute ausmacht, war schon im Gründungsjahr 2013 markant erkennbar. Heute tonangebende Figuren wie Parteichefin Weidel, Thüringens Landeschef Björn Höcke, der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, Parteivize Stephan Brandner und Bundesschatzmeister Carsten Hütter sind seit damals dabei. Politisch überlebt haben sie alle die Mehrheit jener Gründungsmitglieder wie Bernd Lucke, Hans-Olaf Henkel oder Konrad Adam, die in der AfD zuallererst ein Projekt zur nationalistischen Kritik an der Europäischen Währungsunion sahen. Das Zeitfenster, in dem dies tatsächlich der Realität entsprach, war denkbar kurz. Bereits im März 2015 wagte sich Höcke mit der »Erfurter Resolution« aus der Deckung, jenem Papier, das als Gründungsdokument des völkisch-nationalistischen »Flügel« gilt. Schon da fragte die liberalkonservative Tageszeitung »Welt«: »Wie viel braune Gesinnung steckt in der AfD?«

Dies lässt sich auch mit einem Blick auf die ersten Wahlkämpfe beantworten: 2014 zog die AfD in die Landtage von Sachsen (9,7 Prozent), Thüringen (10,6 Prozent) und Brandenburg (12,2 Prozent) ein. Die Heinrich-Böll-Stiftung attestierte der AfD damals, sie sei eine »neue parteipolitische Herausforderung für die demokratische Zivilgesellschaft«. Ihre »propagandistischen und programmatischen Verlautbarungen« zielten auf »nationale Identität, Antifeminismus und gesellschaftliche Emanzipationsfeindlichkeit, die angereichert werden mit neurechten Parolen«, die sich »gegen Doppelpass, homosexuelle Gleichstellung, Gender-Mainstreaming, Pazifismus, Antirassismus, Antinationalismus und der Anerkennung Deutschlands als multikulturell verfasster Einwanderungsgesellschaft« richten. Treffender ließe sich die Agenda der AfD im Jahr 2023 nicht zusammenfassen, nur: diese Analyse ist vom September 2014.

Was dagegen stimmt: Anfangs war die Sprache der AfD noch nicht vollumfänglich verroht wie heute, volkswirtschaftliche Themen fanden sich öfters auf Wahlplakaten wieder, teils wirkten die Slogans bemüht. »Die Regierung wird dringend gebeten, sich zum Ausgang zu begeben«, hieß es etwa in Anspielung auf das damalige Chaos beim Bau des Berliner Haupstadtflughafens auf einem Plakat zur Landtagswahl in Brandenburg. Spitzenkandidat damals: Alexander Gauland. Statt mit mittelmäßigen Wortspielen wird auch er wenig später durch provokante Äußerungen auffallen – sei es nach der Bundestagswahl 2017 mit dem Versprechen »Wir werden Frau Merkel jagen« und die Partei wolle sich »unser Land und unser Volk zurückholen« oder 2018 mit der Behauptung, Hitler und die Nationalsozialisten seien »nur ein Vogelschiss« in 1000 Jahren deutscher Geschichte.

Die in Analysen über die AfD gelegentlich genutzte Metapher einer Zwiebel, die gehäutet wird, trifft es besser, als wenn man von einer fortschreitenden Radikalisierung spricht, waren doch die meisten inhaltlichen Elemente wie auch ein Großteil des heute tonangebenden Personals bereits im Gründungsjahr der Partei inhärent. Vorangetrieben haben diese Häutung alle bisherigen Parteivorsitzenden, inklusive Bernd Lucke. Er mag von allen Bundessprecher*innen der Gemäßigste gewesen sein, aber auch er ließ das schon in der Frühphase erkennbare Erstarken der völkisch-nationalistischen Kräfte um Höcke mit ihrer Strategie der permanenten Provokation laufen, weil es an der Wahlurne funktioniert. Später taten es Lucke die Vorsitzenden Frauke Petry als auch Jörg Meuthen nach, sowohl was anfängliche strategische Bündnisse mit den Höcke-Leuten anging, als auch beim Weg in die eigene politische Bedeutungslosigkeit. Auf Widerspruch folgte rasanter Machtverlust, dann der Parteiaustritt.

Man muss wissen: Im September 2013 scheiterte mit 4,7 Prozent der Einzug der Partei in den Bundestag nicht an den ostdeutschen Wähler*innen. Mit Ausnahme Sachsen-Anhalts (4,2 Prozent) lag sie dort überall über fünf Prozent. Anders dagegen im Westen: Hier gelang ihr der Sprung über die wichtige Hürde nur in Baden-Württemberg, Hessen und im Saarland. Schon da zeichnete sich also ab, dass die AfD ihr Machtzentrum im Osten etablieren würde. Dort, wo die Völkischen von Beginn an die Kontrolle hatten. Höcke war 2013 Mitbegründer des Thüringer Landesverbandes, den er seitdem führt. Inzwischen ist er tonangebend in der gesamten Partei, ohne dafür Vorsitzender sein zu müssen.

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