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Ein Unentschieden beim »Erlebten«
Spitzenkandidaten zur Abgeordnetenhauswahl suchen einen Rettungsplan für Berlin
Der Treffer des Abends ging an Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), nachdem sie von FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja zu hören bekam: »Sie hatten auch versprochen, dass Sie einen echten politischen Wechsel machen 2021.« Woraufhin Giffey, bezugnehmend auf das seinerzeit nicht zustande gekommene Senatsbündnis unter FDP-Beteiligung, zurückgab: »Sind Sie immer noch traurig?« Die Lacher waren auf Giffeys Seite.
Unter der krawalligen Leitfrage »Wer rettet Berlin?« waren die Spitzenkandidat*innen der Parteien – mit Ausnahme der Rechtsextremen – am Freitagabend in Mitte der Einladung eines Telefonanbieters gefolgt.
Glaubt man den letzten Umfragen, liegt die CDU wenige Tage vor der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus weiterhin in Führung. Die Union kommt dabei auf 24 bis 25 Prozent, gefolgt von der SPD mit 19 bis 21 Prozent und den Grünen mit 18 Prozent. Durchaus abgeschlagen dahinter wird Die Linke auf 11 bis 12 Prozent taxiert, die AfD auf 10 und die FDP auf 6 Prozent. Bei den Beliebtheitswerten liegen SPD-Frontfrau Giffey und ihr CDU-Konkurrent Kai Wegner mittlerweile gleichauf.
»Umfragen sind Umfragen, Ergebnisse sehen wir am Wahlabend«: So klingt das Mantra der Regierenden Bürgermeisterin, das sie auch an diesem Abend wiederholte. »Dann werden wir sehen, wie das nächsten Sonntag aussieht«, erklärte Giffey. »Ich würde das als Wechselstimmung bezeichnen«, sagte CDU-Spitzenkandidat Wegner. »Das ist, was ich auf den Straßen der Stadt spüre«, so Wegner. Weil er mit vielen Berliner*innen ins Gespräch komme. Auch Giffey »erlebt« selbstverständlich Dinge, nur andere als Wegner. Nämlich, »dass das Soziale nicht aus dem Blick gerät«. Das zumindest, sagte sie, würden sich viele Menschen wünschen, mit denen sie wiederum Gespräche führe. Ein Unentschieden beim »Erlebten« sozusagen.
Gerade in den sozialen Bereichen habe man stabile Arbeit geleistet, reklamierte dann Linksfraktionschefin Anne Helm – in Vertretung für Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer – einen Teil der »Erfolge« des rot-grün-roten Giffey-Senats auch für ihre Partei. »Da haben wir einiges vorzuweisen«, sagte Helm.
Die wiederkehrende Frage des Abends lautete zugleich: Warum ist Berlin so kaputt? Und ist die Politik daran schuld? »Es haben viele nicht vergessen, dass das durchaus etwas mit der Politik zu tun hat«, erklärte Helm und verwies auf den Berliner Bankenskandal, der dafür gesorgt habe, dass die Berliner Verwaltung in den Folgejahren kaputtgespart wurde: »Das rächt sich jetzt.«
Natürlich waberte auch die logische Anschlussfrage durch die Runde, wie es mit dem, so Autor und Moderator Sascha Lobo, »kaputten Berlin« künftig weitergehen soll. CDU-Chef Wegner hatte hierzu etwa dieses beizutragen: »Ich will, dass Berlin wieder funktioniert.« Wichtig war ihm auch zu betonen, dass er Berliner ist. »Ich bin hier geboren, ich bin hier aufgewachsen.« Und »leidenschaftlicher Berliner« ist er auch noch. Bei so viel Leidenschaft stellte Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch eher nüchtern fest: »Es gibt einiges, was hier im Argen liegt, aber Berlin ist keine kaputte Stadt.« Was es dringend brauche, sei eine Verwaltungsreform.
Zu möglichen Koalitionen nach der Wahl gab es von SPD-Landeschefin Giffey für die bisherigen Partner von Grünen und Linke auch an diesem Abend kein Versprechen. Stattdessen sagte sie: »Es funktioniert immer das politisch, wofür es stabile Mehrheiten gibt.« Oder: »Ich möchte das machen, was mit starken Partnern möglich ist, um diese Stadt voranzubringen.« Was die Liebe zu Floskeln betrifft, sind sich Franziska Giffey und Kai Wegner immerhin schon sehr nahe.
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