Warnstreik im öffentlichen Dienst: »Jetzt klatscht es zurück!«

In Berlin verliehen die Beschäftigten von Bund und Kommunen ihrer Forderung nach 10,5 Prozent mehr Gehalt mit einem Warnstreik Nachdruck

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.
Beschäftigte des öffentlichen Dienstes bei der Warnstreik-Kundgebung am Berliner Abgeordnetenhaus
Beschäftigte des öffentlichen Dienstes bei der Warnstreik-Kundgebung am Berliner Abgeordnetenhaus

Es ist sechs Uhr morgens. Die meisten Menschen in Berlin schlafen noch. Doch vor dem Jüdischen Krankenhaus im Berliner Stadtteil Wedding herrscht bereits reges Treiben. Man begrüßt sich, erzählt sich, was man alles dabei hat, um durch den Tag zu kommen – vor allem warmen Tee. Es ist fünf Grad minus. Und für die rund 70 Kolleg*innen, die sich vor dem Krankenhaus eingefunden haben, ist dieser Donnerstag kein Arbeits-, sondern ein Streiktag.

»Wenn es bei der nächsten Verhandlungsrunde kein Ergebnis gibt, wissen wir, wie wir weiter Druck machen«, macht Dana Lützkendorf von Verdi Stimmung. Die Dienstleistungsgewerkschaft hat die Beschäftigten zu einem Warnstreik aufgerufen. Derzeit verhandelt sie mit Bund und Kommunen über einen neuen Tarifvertrag für deren rund 2,5 Millionen Beschäftigte. Verdi fordert für sie 10,5 Prozent, beziehungsweise 500 Euro mehr Gehalt im Monat. Bei einer ersten Verhandlungsrunde wiesen die Arbeitgeber*innen die Forderung zurück, machten aber kein Gegenangebot.

»Jetzt klatscht es zurück!«, steht auf Papschildern, die die Krankenhausbeschäftigten in die Höhe halten. Es ist eine Anspielung darauf, dass es zu Beginn der Corona-Pandemie viel Applaus für Pfleger*innen gab, substantielle Verbesserungen bei Arbeitsbedingungen und Gehalt aber ausblieben. Neben dem Jüdischen Krankenhaus wird auch an der Charité, den Vivantes-Krankenhäusern, den Wasserbetrieben, der Hochschule für Technik und Wirtschaft und dem Studierendenwerk Berlin gestreikt. Bei der Stadtreinigung BSR geht der Ausstand noch am Freitag weiter.

Eine kleine Delegation der Linkspartei kommt mit einem roten Lastenrad vorbei. Sie hat unter anderem warme Getränke zur Stärkung mitgebracht. »Ich bin hier, weil ich den Kampf der Beschäftigen für bessere Arbeitsbedingungen schon lange begleite«, sagt Tobias Schulze, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und gesundheitspolitischer Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus. In der aktuellen Inflationskrise brauchten sie einen »großen Schluck aus der Pulle« bei der Bezahlung. »Sie haben so viel geleistet in den letzten Jahren der Pandemie und auch vorher schon in den durchökonomisierten Krankenhäusern.« Da sei es »einfach nur gerecht, wenn sie jetzt 10,5 Prozent als Inflationsausgleich verlangen und auch bekommen sollen«, so Schulze.

Nicht nur in Berlin wurde am Donnerstag gestreikt. So legten auch in Nordrhein-Westfalen in zahlreichen Städten die Beschäftigen von Verkehrsbetrieben, Stadtverwaltungen, Kliniken, Schwimmbädern, Kitas und anderen Einrichtungen die Arbeit nieder. Größere Protestkundgebungen waren nach Angaben von Verdi in Köln, Aachen, Dortmund und Düsseldorf angesetzt. Doch in Berlin hat der Warnstreik eine besondere Brisanz, weil am Sonntag das Abgeordnetenhaus neu gewählt wird. »In den Berliner Krankenhäusern wurde über Jahrzehnte ein Sanierungsstau angehäuft. Wir fordern deshalb 500 Millionen Euro jährlich zur Ausfinanzierung der Krankenhäuser«, sagt Linke-Politiker Schulze.

Weil am Sonntag gewählt wird, ziehen die Streikenden vom Jüdischen Krankenhaus nach einem kurzen Pfeifkonzert später Richtung Abgeordnetenhaus. Die Dienstleistungsgewerkschaft spricht im Laufe des Tages von 3000 Beschäftigten, die dort ihrer Forderung nach einem satten Lohnplus Nachdruck verleihen und anschließend zum Kreuzberger Oranienplatz laufen.

Einer von ihnen ist Alexander. Er ist seit 14 Jahren Krankenpfleger. »Ich habe heute ganz unruhig geschlafen. Das ist mein erster Streik«, erzählt der 38-Jährige, der eine olivgrüne Bomberjacke trägt und Piercings in der Nase hat. »Ich streike, weil das Leben teurer geworden ist und ich den Inflationsausgleich brauche. Wir reden hier gar nicht von einer Lohnerhöhung.« Seit Jahren hinke diese der Inflationsrate hinterher.

Die Inflation macht auch dem 42-jährigen Ronny zu schaffen. Seit zwei Jahren arbeitet er bei der BSR und hat zwei Kinder zu versorgen. »Gerade in Berlin sind die Lebenskosten sehr hoch«, erzählt er. Die geforderten 10,5 Prozent seien da erst mal ein Anfang.

Überhaupt ist die Inflation das Thema bei den gegenwärtigen Tarifauseinandersetzungen. Kein Wunder, schließlich betrug die Inflationsrate im vergangenen Jahr 7,9 Prozent und war damit so hoch wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Folge ist, dass die Beschäftigten ärmer werden. 2022 sanken die Reallöhne im Schnitt um 4,1 Prozent und damit das dritte Jahr in Folge. Deswegen fordern die Gewerkschaften nicht nur im öffentlichen Dienst zweistellige Lohnerhöhungen. Bei der Deutschen Post, wo es derzeit ebenfalls zu Warnstreiks kommt, verlangt Verdi für die Beschäftigen 15 Prozent. Die Eisenbahngewerkschaft EVG hat diese Woche ihre Forderung für die Beschäftigten bei der Deutschen Bahn & Co. aufgestellt: zwölf Prozent.

Deswegen kommt es bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst auch nicht gut an, dass Bund und Kommunen noch kein Angebot vorgelegt haben. Die erste Verhandlungsrunde sei »enttäuschend« gewesen, heißt es auf der Kundgebung vorm Abgeordnetenhaus. Dass die Forderung nach mindestens 500 Euro mehr Lohn, mit der die Gewerkschaft Verdi vor allem die unteren Lohngruppen besserstellen will, abgelehnt wurde, erhitzt die Gemüter ganz besonders. »Vom Arbeitskräftemangel haben die Arbeitgeber wohl noch nichts mitbekommen«, heißt es.

Mit Blick auf die zweite Verhandlungsrunde Ende Februar gibt man sich konfliktfreudig: Man sei bereit, weiter in Warnstreiks zu gehen und nach einer Urabstimmung auch in den unbefristeten Streik zu treten. Nicht nur hier in Berlin und Brandenburg, sondern auch in ganz Deutschland.

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