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Schaulaufen vor der Wiederholungswahl
Parteien im Abgeordnetenhaus nutzen die Gunst der Stunde für munteres Wahlkampfgetöse
Alles geht kaputt, alles geht in Schutt: Wer Berlins CDU-Landes- und Fraktionschef Kai Wegner aufmerksam zuhört, gewinnt den Eindruck, die Hauptstadt stehe nach sechs Jahren Regierungsverantwortung von SPD, Grünen und Die Linke nahe am Abgrund. Die Arbeitslosigkeit sei hoch, die U-Bahn fahre nicht und Wahlen bekomme Berlin auch nicht auf die Reihe. »Unsere Regierung ist eine schlechte Regierung für Berlin«, sagte Wegner am Donnerstag im Plenum des Abgeordnetenhauses.
Es war das traditionelle Schaulaufen in der letzten Parlamentssitzung vor der Wahl, die im Berliner Fall bekanntermaßen eine verfassungsgerichtlich verordnete Wahlwiederholung ist. Und Wegner will nach dem Wahlsonntag Regierender Bürgermeister werden. »So wie es ist, darf es nicht bleiben!«, rief der CDU-Spitzenkandidat in der Aktuellen Stunde zum Thema »Zukunftshauptstadt Berlin« am Ende seiner aus vielen Ausrufezeichen bestehenden Rede dann auch aus. Und obendrauf: »Berlin feiern, Senat feuern!« – ein intellektuell durchaus dürftiger Wahlkampfslogan seiner Partei, den Kai Wegner auch sonst ständig zitiert.
Amtsinhaberin und SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey verbat sich im Anschluss die Schlechtrederei Wegners. »Wenn wir das Soziale nicht mehr sehen, dann wird es schwierig, und das ist etwas, was diesen Senat, diese Regierung verbindet«, sagte die Regierende Bürgermeisterin nicht minder wahlkämpferisch gestimmt. Gerade nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sei »deutlich geworden, dass wir in Krisenzeiten eine sehr große Handlungsfähigkeit bewiesen haben«. Wobei Giffey, wenig verwunderlich, für den Fall ihrer Wiederwahl ein ganz anderes, nämlich komplett rosarotes Zukunftsbild »unserer Chancenstadt Berlin« an die Wand malte. Denn: »Berlin boomt!« Ebenfalls so ein Ausrufezeichensatz.
Auch SPD-Fraktionschef Raed Saleh nutzte die Gunst der Stunde, um vor allem die »großen Entwicklungen« der Hauptstadt in den vergangenen Jahren zu preisen. Ob Bruttoinlandsprodukt, Start-up-Gründungen oder Beschäftigtenzahlen – überall gehe es bergauf. Nur die CDU rede eben alles schlecht. »Das wurde gemacht – und Sie waren Zuschauer. Wir arbeiten. Und Sie? In 80 Phrasen um die Welt«, sagte Saleh Richtung Union. Als deren Abgeordnete anfingen, sich aufzuregen, gab Saleh zurück: »Ich trage nur Fakten vor, das müssen Sie jetzt aushalten.«
Glaubt man den letzten Umfragen, liegt die CDU wenige Tage vor der Wahl weiterhin stabil in Führung. Je nach Umfrageinstitut kommt die Union auf 24 bis 26 Prozent, gefolgt von der SPD mit 17 bis 21 Prozent und den Grünen mit 18 Prozent. Durchaus abgeschlagen dahinter wird Die Linke auf 11 bis 12 Prozent taxiert, die AfD auf 10 und die FDP auf 5 bis 6 Prozent. Für eine Fortsetzung des rot-grün-roten Regierungsbündnisses könnte das rein rechnerisch reichen, wenn auch möglicherweise nur mit Ach und Krach.
Deutlich wurde dabei am Donnerstag im Abgeordnetenhaus noch einmal, dass dem aktuellen Umfragekönig CDU inzwischen alle für eine Regierung notwendigen Partner ausgegangen sein dürften. Auf den letzten Metern vor der Wahl rückt die sonst so rauffreudige Koalition aus SPD, Grünen und Die Linke schon fast ungewohnt harmonisch zusammen gegen einen gemeinsamen Gegner: die CDU und ihren Spitzenkandidaten Kai Wegner.
Mit Blick auf die von der Union nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht losgetretene Diskussion um die Herkunft der Tatverdächtigen nebst Vornamen-Abfrage sagte SPD-Chef Raed Saleh: »Wir teilen die Stadt nicht in gute und schlechte Vornamen. Die Stadt von Willy Brandt und Richard von Weizsäcker braucht keine Spalter an der Spitze.« Ähnlich Linksfraktionschef Carsten Schatz, der zur Rhetorik von Spitzenkandidat Wegner und CDU-Bundeschef Friedrich Merz erklärte: »Nennen wir das Problem beim Vornamen: Fritz und Kai lassen sich seit Jahrzehnten keine Gelegenheit entgehen, mit ihrem rassistischen Gerede Deutschland zu einem Abweisungsland zu machen.«
Schatz erinnerte bei der Gelegenheit auch an »die geballte Wirtschaftskompetenz« des letzten CDU-geführten Senats, die »Berlin in den 90er Jahren in den Ruin getrieben« habe. Auch Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel verwies auf den 2001 aufgeflogenen Berliner Bankenskandal, an dem CDU-Politiker maßgeblichen Anteil hatten: »Wissen Sie, Herr Wegner, als die CDU das letzte Mal an der Macht war, hatten wir den größten Finanzskandal in der Geschichte Berlins. Und wir zahlen für den Schaden noch heute.« Anders als Wegner und die CDU behaupten würden, habe Rot-Grün-Rot die Entwicklung in Berlin inzwischen zum Besseren gedreht: »Gehen Sie doch mal raus!«
Wegner hatte bei all dem verbalen Hauen und Stechen definitiv keinen besonders guten Stand. Zuletzt warb auch noch FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja für seine Partei als Partner in einer neuen »Reformkoalition«, um »die Zukunftshauptstadt Berlin zukunftsfest« zu machen – wohlgemerkt an SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey gerichtet, nicht an ihren CDU-Konkurrenten.
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