Ezzes

Ezzes von Estis: Wann ist ein guter Rat gut?

  • Alexander Estis
  • Lesedauer: 4 Min.

Wisst ihr, was Ezzes sind? Ihr wisst es nicht? Dann braucht Ihr Ezzes. Und ich geb euch Ezzes. Ezzes, das ist guter Rat, kluger Rat, weiser Rat, nur leider falscher. Und wenn es ausnahmsweise richtiger Rat ist, dann kommt er zur falschen Zeit: »Wenn ich dir Ezzes geben soll: Du hättest dein Geld nicht verspielen können, hättest du es vorgestern nicht von der Bank genommen!« – »Oj wej, ich hätte es nicht genommen, hätte ich vorgestern gewusst, dass ich heute verliere!«

Aber Ezzes, das ist auch richtiger Rat zur richtigen Zeit, nur an die falsche Person. »Itzik, ich rate dir, hör auf zu lügen!« – »Aber ich bin gar nicht Itzik!« – »Du Schmock, tust du es schon wieder?«

Ezzes von Estis

Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.

Oder: »Gott, ich rate dir, gib mir etwas Glück, wer weiß, was sonst passiert – am Ende lasse ich mich noch taufen!« Oder: »Ich hätte Ezzes für den Krankheitsminister!« – »Ezzes-Schmezzes! Es gibt keinen Krankheitsminister, es gibt nur einen Gesundheitsminister!« – »Nu, und wer kümmert sich um all die kranken Leut?«

Aber Ezzes, das ist auch richtiger Rat zur richtigen Zeit an die richtige Person – nur von der falschen. »Sara, ich rate dir, dein Mann soll aufhören fremdzugehen!« – »Oj wej, Mona, sag das doch meinem Mann!« – »Scha, sei still, ich sage es ihm jede Nacht, aber er geht uns trotzdem fremd!«

Ezzes, das ist allerdings auch richtiger Rat zur richtigen Zeit an die richtige Person von der richtigen, nur mit den falschen Wörtern und dann auch noch mit dem falschen Inhalt. So oder so, Ezzes sind nutzlos: Erstens, weil niemand auf Ezzes hören will, selbst wenn sie richtig sind. Und zweitens, weil niemand auf Ezzes hören will, besonders wenn sie richtig sind.

Wisst ihr jetzt, was Ezzes sind? Auch wenn ihr es wisst, gebe ich euch trotzdem Ezzes. Denn Ezzes kriegt jeder, ob er Ezzes braucht oder nicht. Vielleicht brauchst du nämlich nicht Ezzes, sondern Moos oder Kies oder sogar Schotter, und zwar viel und dringend. Aber du kriegst keinen, weder viel noch dringend, sondern du kriegst ganz viel und ganz dringend Ezzes.

»Chaim, leih mir etwas Geld!« – »Ich gebe dir Ezzes: Wenn ich du wäre, würde ich mir kein Geld von mir leihen.« – »Warum?« – »Nu, wie soll ich mir Geld leihen von mir, wenn ich du bin?«

Vielleicht brauchst du einen Arzt, weil du bald draufgehst, aber was kriegst du? Ezzes.

»Oj wej, Sara, ich sterbe, hol mir den Arzt!« – »Wenn ich dir soll geben Ezzes: Besser ich hole dir den Notar!«

Vielleicht brauchst du auch nur etwas Zuspruch, aber was kriegst du? Ezzes.

»Mojsche, ich sehe so dick aus in diesem Kleid!« – »Nu, nimm entweder selbst ab – oder das Kleid!«

Du brauchst keine Ezzes, aber du bekommst sie von Mojsche und von Itzik und von Sara und von Mona und von Chaim und von Lija und von Jekel und von Levi und sogar noch von Schlojmo. Und je mehr Ezzes du bekommst, desto weniger brauchst du sie, weil du sie ja schon am Anfang nicht gebraucht hast, und danach brauchst du sie doppelt nicht, und danach dreifach und danach fast schon fünffach.

Andererseits: Je mehr Ezzes du bekommst, desto mehr Ezzes brauchst du, weil du nicht mehr weißt, wie vielfach du die Ezzes nicht brauchst und überhaupt, wie du dich retten sollst vor all den Ezzes, und da kann etwas Ezzes nicht schaden.

Manchmal nämlich denkst du, du brauchst keine Ezzes, aber in Wirklichkeit brauchst du Ezzes.

»Mamele, hör mal, ich hätte Ezzes für dich!« – »No na, ich werd Ezzes brauchen von meinem eigenen Sohn!« – »Wirst du wohl, wenn du erzogen hast einen Sohn, der seiner Mutter gibt Ezzes!«

Dann wiederum glaubst du manchmal, du brauchst Ezzes, aber in Wirklichkeit brauchst du keine.

»Sara, will ich trinken noch einen Tee?« – »Wenn du noch einen Tee trinken wolltest, würdest du mich dann erst fragen müssen?« – »Wenn ich dich nicht hätte, Sarele! Ich hätte womöglich ganz umsonst noch einen Tee getrunken!«

Aber meistens ist es doch so: Du glaubst, dass du keine Ezzes brauchst, und du brauchst auch wirklich keine, aber Mojsche und Itzik und Sara und Mona und Chaim und Lija und Jekel und Levi und erst recht Schlojmo, die brauchen alle Ezzes, und zwar viel und dringend. Schließlich wird man durch Ezzes genauso schlau, wie man es vorher schon nicht war. Wenn ich euch also Ezzes geben soll: Gebt nie wieder Ezzes, und hört mir einfach mal alle zu.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -