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Austern essen und Natur retten
In Dänemark kann man auf speziellen Safaris die Schalentiere sammeln und viel über deren Geschichte erfahren
Helles Holz, überdimensionale Fenster, dahinter hauptsächlich: Wasser. Die minimalistisch eingerichtete Danish Oyster Bar wirkt ziemlich edel für diese verlassene Gegend am oberen Zipfel Dänemarks.
- Safaris: In Limfjorden werden Austern-Safaris vom Danish Shellfish Center angeboten. (www.skaldyrcenter.dk)
- Im Wattenmeer bietet das Naturcenter Tonnisgaard auf Rømø verschiedene Führungen an, etwa Kräutertouren durch die Salzwiesen und Austerntouren.
(www.tonnisgaard.dk) Ein weiterer Anbieter ist Sort Safari. (www.sortsafari.dk) - Saison: Am besten sammelt und isst man Austern zwischen September und April. Das freie Sammeln ist erlaubt, jedoch sollte man im Wattenmeer unbedingt die Gezeiten im Blick behalten, um nicht von der Flut überrascht zu werden.
Bereits auf der Hinfahrt zeigte sich die Landschaft ländlich und verschlafen. Büsche voller Hagebutten, Gartenzwerge, ein Traktor-Museum. In einem einsamen Dorf warb ein Bräunungsstudio mit »Extreme Tanning«. Kurz fragten wir uns, wer sich heutzutage noch freiwillig grillen lässt – und schon umgaben uns wieder Wiesen, Felder und der weite Himmel.
Nun also sind wir am Limfjord. Der Meeresarm zieht sich wie eine Schlange einmal quer durch den Norden Dänemarks. Uns interessiert vor allem die Auster. Wir wollen die seltenen Europäischen Austern kennenlernen, die in diesem Gewässer leben. Die Danish Oyster Bar in Glyngøre zu besuchen, ist da naheliegend.
Der schmale Mann hinter dem Tresen, Besitzer und Gründer der Bar, wirkt zunächst zurückhaltend wie das gesamte Ambiente. Doch im Laufe des Abends entpuppt er sich als Besessener. Als Schalentier-Freak und vom Austernfieber Befallener, der sich in diesem Leben kaum kurieren lassen wird. Svend Bonde, ausgebildeter Tiefseetaucher und Maschinist, erzählt von seiner Mission, die Auster aus dem Limfjord nicht nur bekannter, sondern geradezu berühmt zu machen. So hat er jahrelang einen lokalen Bierbrauer bedrängt, ein mit Austernschalen versetztes Stout zu brauen. Das Ergebnis steht vor uns auf dem Tresen und schmeckt erstaunlich gut – jedenfalls nicht nach Muschelresten. Der nationalen Post ist Svend Bonde so lange auf die Pelle gerückt, bis die eine Briefmarkenserie mit Schalentieren herausgab. Und jede Woche fährt er nach Kopenhagen, um die Spitzenrestaurants mit seiner Ware zu beliefern. Selbst die Königsfamilie versorgt er, obwohl er bei diesem Thema etwas wortkarger wird.
Egal, wir können ein wenig Stille gebrauchen, um endlich zu probieren. Die Austernschale ist kreisrund, nicht löffelartig wie bei der bekannteren Pazifischen Auster. Das Tier schmeckt fleischig, etwas nussig, nur leicht salzig und im Abgang überraschenderweise nach Eisen.
Die Auster gilt als Luxusgut, als verruchte Delikatesse oder Casanova-Häppchen. Dass ihr Fang alles andere als glamourös ist, können wir am folgenden Tag bei einer Austern-Safari miterleben. Im Danish Shellfish Centre auf der Insel Mors steigen wir in Ganzkörper-Gummistiefel, schultern Plastikkörbe und Kescher, stapfen ein paar Hundert Meter über den Asphalt und schließlich hinein in den Limfjord.
Kniehoch steht das kalte Wasser, wir fühlen uns wie in der Kneippkur. Und finden keine einzige Europäische Auster. Das liege am Wellengang, erklärt unsere kompetente Begleitung. Normalerweise halten sich die Tiere auch eher im tieferen Wasser auf und werden meist mit Fischernetzen oder von spezialisierten Tauchern gefischt. Schließlich ergattern wir einige Pazifische Austern – immerhin ein Erfolgserlebnis an diesem kühlen Morgen. Zurück im Center, das als Forschungsinstitut einer Universität dient und nebenbei Führungen für Besucher anbietet, erfahren wir mehr über die Lebewesen. Zum Beispiel, dass Ostrea edulis, die Europäische Auster, nur sehr langsam heranreift.
Die Pazifische Auster hingegen ist erst seit Kurzem an dänischen Küsten heimisch. Sie ist agil und zäh und hat es in Rekordzeit von den westdänischen Stränden bis hier hinauf in den Limfjord geschafft. Fast scheinen die beiden Austernsorten ihre Herkunft zu repräsentieren – das alte, gemächliche Europa, das vom jungen boomenden Asien übertrumpft wird.
Bei einem Kaffee (der zu dieser Tageszeit deutlich besser passt als rohe Meeresfrüchte) hören wir von archäologischen Funden in der Region. Die beweisen, dass die Menschen in diesem Gebiet schon vor 5000 Jahren Austern aßen – mangels Messer legte man die Schalentiere einfach ins Feuer, bis sie sich öffneten. Im Lauf der Geschichte scheint die kulinarische Bedeutung der Auster mehrere Hoch- und Tiefpunkte erreicht zu haben – wirklich up to date war sie offensichtlich im 16. Jahrhundert. Damals waren Austern ein Privileg des Königs und exklusiv royalen Tafeln vorbehalten. Wilderer mussten mit der Todesstrafe rechnen. Dabei ging es den Adligen nicht nur um das eigene Vergnügen, der Export nach ganz Nordeuropa war eine einträgliche Geldquelle. Durch Überfischung und Eindeichungen schrumpfte die Austernpopulation Dänemarks immer mehr, bis in den 1930er Jahren fast keine mehr übrig waren.
Auch heute sind Europäische Austern generell rar. Im Gegensatz zu den Pazifischen Austern. Seit rund 20 Jahren führen sie sich vor den dänischen Küsten auf wie Fruchtfliegen im Sommer – sie vermehren sich rasant. Derzeit geht man von mindestens 80 000 Tonnen Pazifischer Austern aus. Ein Teil davon befindet sich im Limfjord, die meisten sind an der dänischen Westküste.
Für uns Grund genug, auch diesem Teil des Landes einen Besuch abzustatten. Nach wenigen Stunden Fahrt erreichen wir den Nationalpark Vadehavet, den dänischen Teil des Weltnaturerbes Wattenmeer. Auch hier begeben wir uns auf eine Safari, bleiben fast mit unseren Gummistiefeln im Schlick stecken und finden diesmal so viele Schalentiere, dass wir sie gar nicht alle einsammeln können. Unterwegs erfahren wir Überraschendes über den Nationalpark: Obwohl das Wattenmeer wie in Deutschland geschützt ist, wird der dänische Bereich ganz anders verwaltet.
Kurz gesagt: Was bei uns zu Hause verboten ist, ist hier erlaubt. Pflanzen auf den Salzwiesen dürfen gepflückt werden, man darf überall spazieren gehen und das Sammeln von Austern ist nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht. Tatsächlich bedrängen die invasiven Pazifischen Austern die Vielfalt an Wattbewohnern, besonders die Miesmuscheln, die wiederum den Zugvögeln als Futter dienen. Hinzu kommt, dass die Pazifischen Austern keinen natürlichen Feind kennen – abgesehen von uns Menschen.
So nehmen wir von dem Besuch an der dänischen Westküste nicht nur Matschflecken auf den Hosen und einen Sack voller Schalentiere mit, sondern auch eine wirklich überraschende Botschaft: Wer hier möglichst viele der im Schlick liegenden Austern sammelt und verspeist, tut nicht nur sich selbst etwas Gutes. Sondern auch der Natur.
Die Recherche wurde unterstützt von Visit Denmark.
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