Ein tiefer Atemzug aus dem Auspuff

Ob im Berliner Wahlkampf oder in der Bundespolitik – Christoph Ruf findet das verbreitete Anschmachten von Automobilen befremdlich.

Heute ist ein guter Tag. Denn es ist der Tag, nach dem nun endlich auch Berlin weiß, wen es eigentlich vor anderhalb Jahren gewählt hat. Noch zwei, drei Tage werden die Ergebnisse seziert, die Koalitionsoptionen durchgespielt und allerlei andere Langweiligkeiten durchdekliniert werden, die manche Kolleginnen und Kollegen aus dem Politikressort so spannend finden. Und dann ist endlich Ruhe. Keine bekoksten Hipster-Oden an die Hauptstadt mehr, kein Söder-Sermon, der jeden Tag aufs Neue überrascht festzustellen scheint, dass Berlin doch ganz anders ist als Garmisch-Partenkirchen oder Plattling. Und vielleicht, ganz vielleicht, räumen die Parteien, die ja gerade unter Tränen beim Bundesverfassungsgericht erfolglos mehr Geld für ihren aufopferungsvollen Dienst an der Demokratie einklagen wollten, dann ja auch endlich die Armada an Plakaten weg, die von Spandau bis Köpenick noch jede Verkehrsinsel und jede Sackgasse zugemüllt haben.

Wobei ich zugeben muss, dass ich in diesem Winter so einige Belege für meine bislang noch unausgereifte These gefunden habe, dass nicht nur die Menschheit immer dümmer wird. Das ist eigentlich millionenfach bewiesen. Sondern, dass endlich auch die Politik gelernt hat, ihre Wählerinnen und Wähler so anzusprechen, wie sie von den Wahlkampfstrategen wahrgenommen werden: als Kinder. Einen Sonderfall stellt hier natürlich die AfD dar, denn deren Klientel vermag derart gut zwischen den Zeilen zu lesen, dass es eigentlich egal ist, was in den Zeilen steht. »Kriminelle jagen, nicht Autofahrer«, plakatierte der Berliner Landesverband. Und zwar wirklich der der AfD, nicht der einer Satirepartei, die sich als AfD ausgibt. Interessant aber immerhin, dass die AfD nun auch beim Kampf für die einzig wahren Opfer von Diskriminierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung den Ton setzt: die Menschen mit Führerscheinklasse II. »Berlin, lass dir das Autofahren nicht verbieten«, greinte tatsächlich auch die CDU. Als rede da jemand seinem guten Freund zu, er solle sich doch nach einem harten Arbeitstag nicht das Feierabendbier vermiesen lassen. »Gönn’ dir mal was, mein Lieber!« Aaaah, ein tiefer Atemzug aus dem Auspuff. Freiheit, die ich meine …

Christoph Ruf
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.

Lebensweltlich passt das Anschmachten eines Fortbewegungsmittels so ganz zur großen weiten Bundespolitik. Und zum Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP, der ebenfalls ein erotisches Verhältnis zum Blech hat, Radwege und Straßenbahnen hingegen bekämpft, als hätten sie Marx und Lenin erfunden. Folgerichtig kümmert er sich beim 49-Euro-Ticket ausschließlich darum, dass der Fahrschein auch zum Datensammeln taugt, also digital ist. Der Mann ist in einer Partei, die sich ja angeblich die individuelle Freiheit auf die Fahnen geschrieben hat. Es dem Individuum zu überlassen, ob es volldigitalisiert oder nicht unterwegs sein will, wäre da eigentlich logisch. Es sei denn, man ist in einer Partei, die schon im Aufnahmeantrag abfragt, welcher Lobbygruppe das potenzielle Neumitglied denn angehört. Die Verbrenner-Lobby sieht ihre Investitionen jedenfalls in guten Händen, wenn Wissing solch erstaunliche Dinge ankündigt wie, dass er »den Straßenverkehr in Deutschland nicht einschränken« wolle. Weil, und jetzt für ganz Doofe: »Auto ist Freiheit«. Was wiederum eine sehr traurige Nachricht ist für all die kümmerlichen Existenzen, die doch tatsächlich zu Fuß zum Bäcker gehen, ehe sie in ihre dunklen, muffigen Buden zurückkehren und im Licht einer übelriechenden Paraffinkerze den nächsten sinnlosen Tag beginnen. Nie werden sie das Glück erleben, der Gattin an einem Samstagabend noch einen Gute-Nacht-Kuss zu geben, um sich dann klammheimlich aus den Ehegemächern Richtung Carport zu schleichen, wo die Geliebte schon wartet. Wer noch nie einen teuren Bordeaux entkorkt hat, um dann zu den sanften Klängen einer Phil-Collins-Ballade zärtlich den Lack eines frisch geschminkten Automobils zu streicheln, der wird nie erfahren, was echte Freiheit ist.

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