Nichtwissen bringt (anderen) Macht

Die Ampel-Koalition strebt eine weitere Aufsplitterung der Geheimdienstaufsicht an

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer nichts weiß, verliert sich im Glauben. So ist das auch mit der Mehrheit der Deutschen, die glaubt, dass unsere geheimen Dienste für den Umgang mit ausländischen Spionen nicht richtig aufgestellt sind. Bei einer Umfrage, die Meinungsforscher von YouGov unlängst im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur durchführten, vertraten 55 Prozent der Teilnehmer die Auffassung, die deutsche Spionageabwehr sei den aktuellen Herausforderungen nicht gewachsen. Lediglich jeder Fünfte war vom Gegenteil überzeugt. Da Nachrichtendienste zumeist im Unsichtbaren agieren, sah sich ein Viertel der Befragten jedoch nicht in der Lage, ein Urteil abzugeben.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat die Angst vor Spionen und Saboteuren – vor allem jenen, die Moskau ausschickt – wachsen lassen. Kurz vor der Umfrage war ein Doppelagent aufgeflogen, der in leitender Funktion beim Bundesnachrichtendienst (BND) für einen russischen Dienst spioniert haben soll. Auch sein Kurier, der Informationen nach Moskau weitergeleitet hat, sitzt in Untersuchungshaft. Der bis dahin letzte sogenannte Maulwurf beim BND war 2014 aufgeflogen. Ein Mann wurde wegen jahrelanger Spionage vor allem für den US-Geheimdienst CIA zu acht Jahren Haft verurteilt.

Nach den sogenannten Nowitschok-Giftanschlägen der vergangenen Jahre, hinter denen Moskaus militärischer Geheimdienst GRU stecken soll, wurden mutmaßliche Geheimdienstmitarbeiter Moskaus nicht nur aus Großbritannien ausgewiesen. Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erklärten zahlreiche westliche Staaten russische Botschaftsmitarbeiter zu unerwünschten Personen.

Vorkommnisse wie dieses bestimmen maßgeblich die Sicht der Menschen auf die geheime Welt der Spione. Vor zehn Jahren, nachdem der damalige NSA-Dienstleister und Whistleblower Edward Snowden vor allem die elektronische Aufklärung westlicher Dienste transparenter werden ließ, glaubten 84 Prozent der Deutschen, dass die ausufernde Überwachung durch den US-Geheimdienst und seinen britischen Partner GCHQ grundsätzlich gegen die Bürgerrechte in Deutschland verstoße.

Im Rahmen der – auch von einem Untersuchungsausschuss des Bundestages betriebenen – Aufklärung kam heraus, dass der BND an den illegalen NSA-Aktiven beteiligt war und bei seiner Aufklärungsarbeit gleichfalls gesetzliche Regeln gebogen, übertreten und ausgehebelt hat. Es wurde auf nahezu erschreckende Art und Weise deutlich, dass die parlamentarische Überwachung aller deutschen Geheimdienste – BND, Bundesamt für Verfassungsschutz sowie Militärischer Abschirmdienst – nur unzureichend ist.

Weder das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr), in dem zur Zeit 13 Abgeordnete von SPD, Union, Grünen, FDP und Linkspartei sitzen, noch die sogenannte G10-Kommission, die über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch die Nachrichtendienste des Bundes durchgeführten inländischen Beschränkungen im Bereich des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses befindet, haben ihre Aufgaben erfüllt. Schlimmer noch: Die Gremien wurden mehrfach von den zu Kontrollierenden hinters Licht geführt. Das sogenannte Vertrauensgremium des Bundestages hat ohnehin nur über die – wachsenden – Budgets der Nachrichtendienste zu befinden.

Inzwischen gibt es mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die eine striktere Kontrolle vor allem der Technischen Abteilung des Auslandsdienstes verlangen. Dazu gehört, dass gewünschte Abhörmaßnahmen vorab geprüft und genehmigt werden müssen. Mit heißer Nadel wurde daraufhin ein neues Gesetz geschrieben, dessen wichtigster Inhalt: ein Unabhängiger Kontrollrat (UK-Rat). Er ist vom Rang her mit Bundesministerien oder dem Bundesrechnungshof vergleichbar. Seit dem 1. Januar 2022 darf die Technische Abteilung des BND nicht mehr ohne dessen vorherige Zustimmung Überwachungsmaßnahmen durchführen. Laut Vorgabe soll der Rat rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen.

Einmal pro Woche treffen sich die sechs Ratsmitglieder auf dem BND-Gelände in Berlin-Lichterfelde, wo das Gremium seinen offiziellen Sitz hat. Geleitet wird der UK-Rat von dem Juristen Josef Hoch, der einst als Richter am Berliner Kammergericht über Terroristen und Spione urteilte. Auch am Bundesgerichtshof in Karlsruhe hatte der inzwischen 63-Jährige mit dem Geheimdienst-Metier zu tun.

WDR, NDR und die »Süddeutsche Zeitung« vermeldeten unlängst, dass der eigentlich schon schwer beanspruchte Rat zusätzliche Aufgaben erhalten soll. Geht es nach der regierenden Koalition aus SPD, Grünen und FDP, könnte er im Zuge einer Reform des Nachrichtendienstrechts künftig neben der technischen Spionagearbeit des BND auch den Bereich der »menschlichen Quellen« beaufsichtigen und für die Überwachung des Bundesamtes für Verfassungsschutz zuständig werden.

Die Reform sei verfassungsrechtlich dringend geboten, behauptet Konstantin von Notz (Grüne). Er ist Chef des PKGr, das der geänderten Geschäftsordnung des UK-Rates zustimmen muss. Ob das geschieht, ist fraglich, denn nicht nur André Hahn, der für Die Linke im PKGr sitzt, mahnt zum Innehalten. Er befürchtet eine Schwächung der ohnehin schon schwachen parlamentarischen Geheimdienstkontrolle. Bereits jetzt wisse man im PKGr nicht, was der UK-Rat treibt. Auch CDU-Kollege Roderich Kiesewetter meinte gegenüber der »Süddeutschen Zeitung«, es sei nicht Aufgabe des UK-Rates, die »bestehende parlamentarische Kontrolle zu delegitimieren, indem sie obsolet wird«.

Kritiker dieses Umbaus befürchten eine weitere Zersplitterung der ohnehin geringen Kontrollmöglichkeiten und ein Kaltstellen des Parlaments, das seine Informationen über die deutschen Geheimdienste demnächst noch gefilterter bekommen soll. Jene, die das vielleicht beabsichtigen, wissen: Demokratieabbau ist immer dann am einfachsten, wenn Menschen diffuse Ängste verspüren. Der Krieg in der Ukraine und die Furcht vor russischen Spionen ist so allgegenwärtig in der Gesellschaft wie die Unkenntnis über das Treiben der eigenen geheimen Dienste.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -